
Kasuistik Todesursache bei Radfahrer: Unfall oder Herzinfarkt?

Zwei Männer waren mit Rennrädern auf einer ebenen Landstraße unterwegs. Der 58-Jährige fuhr voraus, in größerem Abstand gefolgt von seinem 55-jährigen Bekannten. Wie der Erstgenannte später berichtete, habe ihn unvermittelt ein Trecker mit Anhänger überholt, mit recht hoher Geschwindigkeit und geringem Seitenabstand. Er habe deshalb in den Grünstreifen ausweichen müssen und sei fast gestürzt. Als er sich nach seinem Begleiter umsah, entdeckte er ihn leblos im Straßengraben liegend. Alarmierte Rettungskräfte konnten den Mann nicht wiederbeleben. Der Notarzt vermutete einen Genickbruch. Um die Todesursache zu klären, wurde eine Obduktion veranlasst.
Verkehrstote rechtsmedizinisch zu untersuchen, ist eine übliche Routine, erklären Prof. Dr. Claas Buschmann, Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, und sein Team. Es gilt dabei, sowohl Verletzungen als auch organische Erkrankungen, die zum Tod geführt haben könnten, festzustellen.
Der angeklagte Treckerfahrer stritt eine Touchierung ab
In dem beschriebenen Fall lag es nahe, eine Kollision mit dem Treckergespann mit nachfolgendem Sturz anzunehmen. Der Fahrer wurde ermittelt und angeklagt. Vor Gericht sagte er aber aus, dass er den Radfahrer nicht touchiert habe. Noch vor dem Überholvorgang sei dieser nach anfänglicher deutlicher Beschleunigung plötzlich langsamer geworden und auf den Grünstreifen abgebogen.
Das rechtsmedizinische Gutachten und die Auswertung der Multisportuhr des Verstorbenen passten zu dieser Darstellung. Bei der Obduktion ließen sich keine Verletzungen und keine Hinweise auf Kontakt mit einem Fahrzeug finden. Bei näherer Betrachtung des Herzens fiel aber ein etwa 2 cm langer intramyokardialer Verlauf des Ramus circumflexus der linken Herzkranzarterie auf. Dieses Phänomen nennt man „Muskelbrücke“ und findet sich in Autopsiestudien bei ca. einem Drittel aller Erwachsenen. Während der Systole kommt es zur Kompression dieses Gefäßabschnitts. Eine relevante Ischämie kann entstehen bei einer Tachykardie und damit verbundener Verkürzung der Diastole und bei erhöhter myokardialer Kontraktilität in Stresssituationen.
Als Todesursache nahm man daher ein akutes Pumpversagen im Sinne eines frischen Myokardinfarkts an. Auch ohne Kollision könnte es bei dichtem Überholen durch das Treckergespann zu einem Schreckmoment gekommen sein mit reflektorischer Tachykardie, wurde vor Gericht diskutiert. Dagegen sprach aber die Auswertung der Daten aus der Multisportuhr. Danach hatte der 55-Jährige seine Geschwindigkeit während der letzten 325 m deutlich von ca. 22 km/h auf maximal 42,4 km/h gesteigert. Parallel hatte sich die Herzfrequenz von 130 Schlägen auf 170 Schläge/min erhöht, gefolgt von einem abrupten Abbruch. Bei einem Schreckmoment hätte man einen sehr viel steileren Anstieg der Herzfrequenz ohne Anstieg der Geschwindigkeit erwartet.
„Gravierende kardiale Ereignisse im Zusammenhang mit (isolierten) Muskelbrücken sind eine Rarität“, schreibt das Autorenteam. Dass man bei Patientinnen und Patienten, die scheinbar aus völliger Gesundheit heraus plötzlich sterben, bei der Autopsie kardiale Veränderungen findet, kommt dagegen häufig vor.
Der Treckerfahrer wurde wegen Gefährdung des vorausfahrenden Radfahrers zu einer Geldstrafe verurteilt. Eine fahrlässige Tötung konnte man ihm aber nicht nachweisen – in Verbindung mit dem Todesfall hat er sich nur zur falschen Zeit am falschen Ort befunden.
Quelle: Buschmann C et al. Rechtsmedizin 2025; 35: 179-183; doi: 10.1007/s00194-025-00762-8