
Medizinerkarriere trotz Querschnitt Unfallchirurg im Rollstuhl leitet BG-Klinik

Jung, gesund, aktiv: So startet der damals 25-jährige Mirko Aach 1999 in eine Skiexkursion – zurück kehrt er mit dem Learjet. Der Grund: ein Snowboardunfall mit schwersten Wirbelsäulenverletzungen. Eine erste Not-OP erfolgt noch vor Ort in der Schweiz, drei Tage später, an seinem 26. Geburtstag, wird der Sportstudent nach Bochum in die Abteilung für Rückenmarkverletzte am BG Universitätsklinikum Bergmannsheil verlegt. Fünf Monate verbringt er dort, sieben weitere in der ambulanten Reha. Er lernt, mit dem Rollstuhl zu leben und ordnet langsam sein Leben neu.
Radiologie und Neurologie reizten ihn nicht
Die Fortsetzung des Sportstudiums und der Traum vom Sportlehrer sind nun undenkbar, stattdessen plant er ein Medizinstudium. Auf die Frage, ob das zu schaffen ist, bekommt er als Antwort, es sei kein Problem. „Es hieß, ich könne jederzeit später als Radiologe oder vielleicht Neurologe arbeiten“, erzählt der Kollege. Doch das sind nicht die Fächer, die ihn reizen: Mirko Aach will Chirurg werden, schließlich hat ihn Handwerkliches schon immer begeistert.
Er zieht es durch – das Studium an der Universität Münster und die weitere Ausbildung in „seiner“ Klinik, dem Bergmannsheil. Er macht den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, wird Oberarzt, habilitiert sich und übernimmt 2018 die Leitung der Abteilung für Rückenmarkverletzte. Im Januar 2025 schließlich folgt die Ernennung zum Ärztlichen Direktor der Klinik.
Das heißt: viel Administratives. „Für mich hat aber die klinische Tätigkeit weiterhin die größte Bedeutung“, sagt Dr. Aach. Etwa 70 % seiner Arbeitszeit widmet er den klinischen Aufgaben. Dazu gehören auch zwei OP-Tage in der Woche. Mit einem Spezialrollstuhl kann er sich in eine stehende Position am Tisch bringen und so mehrere Stunden lang operieren. „Der längste Eingriff dauerte neun Stunden“, berichtet er. Eine kleine Erleichterung bedeutet es für ihn, dass sein Querschnitt auf Höhe Th 8 inkomplett ist, d. h., er eine gewisse Restbeweglichkeit hat.
Mehr Verletzungen bei knappen Ressourcen
In Deutschland gibt es 26 Zentren für Rückenmarkverletzte, „das reicht haarscharf“, sagt Dr. Aach. Denn die Verletzungen nehmen zu. Derzeit werden etwa 1.200–2.000 Fälle pro Jahr verzeichnet. Bei jüngeren Menschen sind in der Regel schwere Unfälle der Grund, bei Älteren dominieren osteoporotische Sinterungsfrakturen als Ursache.
Die Patientinnen und Patienten der Klinik reagieren sehr unterschiedlich auf den Chefarzt im Rollstuhl. Manche Frischverletzte ziehen sich eher zurück, weil sie an ihm die Endgültigkeit ihrer Diagnose erkennen. Andere – auch viele Angehörige von frisch Verunfallten – empfinden den Kontakt mit ihm als sehr positiv. „Sie sehen dann voller Hoffnung, wo der Weg enden kann“, erklärt Dr. Aach. „Aber natürlich brauchen die Menschen Zeit, um diesen Schicksalsschlag zu verarbeiten.“
Noch keine rollstuhlbedingten Folgeerkrankungen
Viele Querschnittgelähmte kommen über Jahre immer wieder in die Klinik, sei es, weil neue Rehamaßnahmen anstehen oder Komplikationen behandelt werden müssen. Im Verlauf nehmen in jedem Fall die Berührungsängste deutlich ab, mit vielen Patientinnen und Patienten pflegt der Mediziner mittlerweile ein fast freundschaftliches Verhältnis. Er selbst verzeichnet trotz der hohen körperlichen Belastungen noch keine rollstuhlinduzierten Folgeerkrankungen wie neuropathische Schmerzen, Dekubitalulzerationen oder altersvorauseilende Verschleißerscheinungen der Schultern: „Man stellt nur fest, dass der Körper weniger regenerierfreudig ist.“
Insgesamt gibt es für Dr. Aach im Alltag kaum Hürden und er erfährt im gesamten Klinikteam viel Wertschätzung. Doch das war nicht immer so. Zuerst musste er sich über befristete Arbeitsverträge beweisen. Aber Mirko Aach verfolgte seinen Weg auch mit Unterstützung seiner damaligen Vorgesetzten und des Kollegiums unbeirrt – bis an die Spitze einer hochmodernen BG-Klinik.
Kontrollierte Studie mit Exoskelett steht bevor
In Kürze startet unter der Leitung von Dr. Aach eine multizentrische randomisierte Erprobungsstudie zur neuromuskulären Feedbacktherapie bei Patientinnen und Patienten mit inkomplettem Querschnitt. Bei dieser Therapie werden über Elektroden auf der Haut Restnervenimpulse gemessen und an ein Exoskelett weitergeleitet, das dadurch Gehbewegungen steuert. Die Impulse, die wiederum durch die Bewegungen in der Beinmuskulatur ausgelöst werden, meldet das Exoskelett zurück an das zentrale Nervensystem.
Ziel der Studie ist es, über eine Laufzeit von drei Monaten zu belegen, dass diese Behandlung der klassischen Physiotherapie in puncto „Gehfähigkeit“ überlegen ist. Zu den bislang etablierten Maßnahmen bei inkompletten Querschnittslähmungen zählen z. B. Laufbandtrainings mit Gewichtsentlastung oder Lauftrainings mit Hilfsmitteln. Die Studie wird vom G-BA finanziert, geplant sind 180 Teilnehmende.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht