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Wann ein gerissenes Kreuzband rekonstruiert werden muss

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Das gerissene Kreuzband von Profisportlern repariert man am besten zeitnah mit autologen Sehnen. Das gerissene Kreuzband von Profisportlern repariert man am besten zeitnah mit autologen Sehnen. © iStock/MedicalArtInc, RaulTopan
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Beim Basketballspielen hat sich eine 18-jährige Freizeitsportlerin das vordere Kreuzband gerissen. Das heißt aber nicht, dass sie gleich unters Messer muss.

Bei mehr als der Hälfte aller Knieverletzungen erwischt es das vordere Kreuzband. 40 % der Risse passieren ohne Kontakt mit einem Gegner, z.B. durch Dreh-/Abscherbewegungen oder Sprünge, schreiben Dr. Volker Musahl vom Department of Orthopaedic Surgery am University of Pittsburgh Medical Center und Dr. Jon Karlsson, Department of Orthopaedics am Sahlgrenska University Hospital in Göteborg.

Als sichere Risikofaktoren kennt man:

  • weibliches Geschlecht (3-fach höheres Risiko als bei Männern)
  • junges Alter (v.a. 16–18 Jahre)
  • frühere, hochintensive und -frequente sportliche Betätigung

Häufig wird die Ruptur von Schäden am Innenband (19–38 %) sowie am lateralen (20–45 %) oder medialen (0–28 %) Meniskus begleitet. Die Ruptur präsentiert sich gewöhnlich als akute Verletzung, manchmal hören die Betroffenen ein Geräusch oder spüren, wie das Band reißt. Oft kommt es praktisch sofort zur Ergussbildung. Mit verschiedenen klinischen Tests lässt sich die Diagnose schon recht zuverlässig stellen, gesichert wird sie mit dem MRT.

Klinische Tests für das vordere Kreuzband

  • Vorderer Schubladentest: Bei fixiertem Fuß fasst man den Unterschenkel proximal an und versucht, ihn gegenüber dem Oberschenkel nach vorne zu verschieben. Gelingt diese „Schublade“, besteht der hochgradige Verdacht auf eine Ruptur des VKB.

  • Lachman-Test: Die Ferse des Patienten bleibt auf der Liege. Der Untersuchende umgreift den Unterschenkel mit beiden Händen und legt die Zeigefinger in die Kniekehle. Er zieht dann den Unterschenkel nach vorne. Lässt er sich verschieben, dürfte das Kreuzband lädiert sein.

  • Pivot-shift-Test: In Rückenlage des Patienten beugt man schnell sein gestrecktes Kniegelenk unter Valgusdruck, axialem Druck und leichter Innenrotation. Der Test ist positiv, wenn in 20–30° Flexion dabei die Tibia subluxiert. Weiteres Beugen führt dann zur spontanen Reposition.

Kaum Unterschiede nach früher oder später OP

Natürlich „heilt“ die Verletzung auch irgendwie unter konservativer Therapie. Das Management umfasst dann dreimonatige überwachte Physiotherapie, Bewegungsradiusübungen, antiinflammatorische Medikation, Kräftigungsübungen der Muskulatur und die schrittweise Rückkehr zu sportlichen Aktivitäten. Nach 6–12 Wochen sollte man die Fortschritte prüfen, eventuell kann dann noch die nachträgliche Rekonstruktion erfolgen. Lange galt die klare Empfehlung, das kaputte vordere Kreuzband bei jungen, gesunden Menschen, die weiterhin Sportarten mit vielen Drehbewegungen (z.B. Fußball, Handball, Hockey, Skifahren) ausüben, rasch zu rekonstruieren. In einer randomisierten, wenngleich kleinen Studie an 121 aktiven Athleten fand sich kein Unterschied bei Schmerz, Funktion, Instabilität, Erholung und kniebezogener Lebensqualität zwischen früher (binnen zehn Wochen) und späterer OP. Nach fünf Jahren lagen die Gruppen in puncto OP-bedürftige Meniskusschäden oder Arthrosen gleichauf. Bei rein konservativer Behandlung erlitten dagegen insgesamt mehr Patienten Meniskusrisse und ihre Knie waren weniger stabil. Diese Ergebnisse bestätigen im Wesentlichen ein systematisches Review mit 3583 Personen und eine Studie an mehr als 5000 Verletzten. Auch hier änderte der OP-Zeitpunkt nichts an den späteren Outcomes. Allerdings wurde der mediale Meniskus durch die verzögerte chirurgische Therapie deutlich öfter in Mitleidenschaft gezogen, im Review nahm auch medial der tibiofemorale Knorpel vermehrt Schaden.

Eine Woche nach dem Eingriff mit der Reha beginnen

Die Autoren raten zu folgendem Vorgehen: Freizeitsportler können mit konservativer Therapie starten. Zeigt die Kontrolle nach drei Monaten eine hohe Instabilität, folgt die Operation spätestens fünf Monate nach dem Unfall. Bei Hochleistungssportlern dagegen sollte die Rekonstruktion so rasch wie möglich erfolgen. Denn in einer Studie mit 50 Athleten schlackerten die Knie der Nichtoperierten doch gewaltig. Zur Wiederherstellung eignen sich in erster Linie autologe Materialien, bevorzugt die Sehnen des M. semitendinosus und gracilis oder die Patellarsehne. Auch die des M. quadriceps kommt infrage. Die Doppelbündeltechnik führt dabei zu weniger Rezidiven als ein Einzelbündel. Begleitende Meniskusläsionen können direkt mit versorgt werden, im Falle konkomitierender Bandverletzungen richtet sich das Vorgehen nach dem Ausmaß des Traumas und dem Grad der Instabilität. Die Rehamaßnahmen sollten eine Woche nach der OP starten.

Jeder Zweite wird wieder so belastbar wie vor dem Unfall

Vollständig zum Sport zurückkehren sollten die Patienten erst nach frühes­tens neun Monaten und wenn erste Belastungstests erfolgreich verliefen. Im Allgemeinen erreichen nur etwa 40–55 % der Betroffenen das gleiche Level wie vor dem Unfall. Europäische Profikicker schaffen zu 65 % wieder ihr Ausgangsniveau, was die Autoren auf die hohe Motivation der Sportler und die exzellenten Rehabilitationsmöglichkeiten zurückführen.

Quelle: Musahl V, Karlsson J. N Engl J Med 2019; 380: 2341-2348