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Warum bleiben Bären trotz Bewegungsmangel gesund, wir aber nicht?

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Auch außer­halb der Wintermonate liegen Bären tagsüber gerne herum. Auch außer­halb der Wintermonate liegen Bären tagsüber gerne herum. © iStock/ blewisphotography
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Für Menschen ist die sedentäre Lebensweise Gift. Sie fördert Diabetes und Herzinfarkt und beschleunigt das Altern. Bären hingegen können problemlos das halbe Jahr verschlafen – jedoch nur, weil sie einiges haben, was uns fehlt.

Zur Erforschung des metabolischen Syndroms und anderer sedentär bedingter Erkrankungen werden derzeit hauptsächlich Nagetiere genutzt. Das könnte ein Fehler sein. Denn der Braunbär ist dem modernen Menschen was diesen Lebensstil anbelangt physiologisch gesehen weit voraus, schreibt ein Autorenteam um Dr. Ole Fröbert­ von der Universität Örebro. Das große Raubtier eigne sich deshalb als Modell für die Entwicklung von Therapien gegen lebensstilbedingte Erkrankungen.

Braun- und Schwarzbären sind einzigartig unter den Winterschläfern, so die skandinavischen Wissenschaftler. Die Tiere verbringen die Hälfte des Jahres in ihrer Höhle – behalten allerdings eine gewisse „Restwachheit“. Sämtliche Organfunktionen bleiben erhalten und werden nur etwas herunterreguliert: Die Körpertemperatur sinkt auf 33–34 °C, die Herzfrequenz auf zehn Schläge pro Minute und für die Sauerstoff-Versorgung reichen bei reduziertem Stoffwechsel ein bis zwei Atemzüge in der Minute.

Hoher Cholesterin-Spiegel, keine Atherosklerose

Trotz des extrem bewegungsarmen Winters leiden die Bären im Frühjahr weder an kardiovaskulären Erkrankungen noch an Niereninsuffizienz oder Osteoporose. Sie haben den entscheidenden Vorteil, dass sie sich an den Wechsel von Winterschlaf und Wachphasen angepasst und durch An- und Abschalten zuständiger Gene eine zirkuläre metabolische Plastizität entwickelt haben. Sie ermöglicht es ihnen, Adipositas und „sedentären Lebensstil“ gesundheitlich zu tolerieren.

Damit sie die Winterruhe überstehen, befällt die Bären im Herbst die Fressgier. Schließlich müssen sie ihr Körpergewicht im Vergleich zum Frühjahr um bis zu 30 % steigern, um den Winterschlaf zu überleben. Im Gegensatz zu adipösen Menschen wird dadurch die Insulinsensitivität aber nicht verringert.

Ein weiterer Unterschied zum sedentären Menschen: Winterschlafende Bären bilden trotz des geringen Blutflusses nicht vermehrt Thrombosen. Ihr Körper reduziert vielmehr die Thrombozyten-Aggregation und die Serumspiegel wichtiger Gerinnungsfaktoren. Ein rudimentäres Gerinnungssystem bleibt erhalten, um Blutungen zu verhindern. Verwirrend erscheinen die hohen Cholesterin-Spiegel der Bären. Sie gelten bei Menschen als Gefäßrisiko, aber Meister Petz entwickelt keine Atherosklerose.

Typisch für Menschen ist die Sarkopenie als Reaktion auf mangelnden Muskeleinsatz (Immobilisation, Alter und so weiter). Der Bär dagegen erhält sein Muskelkleid aufrecht. Eine Studie ergab, dass Bären dafür im Sommer verstärkt Muskelprotein aufbauen und dessen Abbau im Winter verlangsamen. Dass das Raubtier im Frühjahr keine Osteoporose hat, obwohl der lange Schlaf auf die Knochen gehen müsste, könnte an dem im Winter erhöhten Vitamin-D-Spiegel liegen. Wichtig scheint aber auch die spontane Differenzierung von Stammzellen aus dem Fettgewebe (mesenchymale Stammzellen) zu sein, die knochenähnliche Knoten produzieren.

Die Fähigkeit zum Winterschlaf der Bären basiert nicht auf speziellen Genen, sondern wird wahrscheinlich durch die Regulation verschiedener Proteine erreicht. Tatsächlich lassen sich zwischen Sommer und Winter Differenzen im Plasmaproteom nachweisen. Inzwischen konnten diverse solcher Stellfaktoren detektiert werden.

Mesenchymale Zellen wirken präventiv

Eine besondere Rolle scheint das Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG) zu spielen: Sein Spiegel ist während des Winterschlafs 45-fach erhöht. Beim Menschen scheinen hohe SHBG-Spiegel mit einer guten Gesundheit zu korrelieren. Dazu gehört auch der Schutz vor dem metabolischen Syndrom – einschließlich Adipositas, Typ-2-Diabetes und erhöhter Insulinsensitivität. Außerdem sind hohe SHBG-Spiegel mit einem niedrigeren kardiovaskulären Risiko und einem günstigeren Lipidprofil verbunden.

An der präventiven Wirkung haben beim Bären auch die mesenchymalen Zellen ihren Anteil – mit ihrer Fähigkeit zur Selbsterneuerung und multipler Differenzierung wären sie möglicherweise auch bei Menschen in der Prävention von Organschäden und Gewebsatrophie denkbar.

Quelle: Fröbert O et al. J Intern Med 2019; DOI: 10.1111/joim.12983