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Herzprobleme Was die Überweisung zum Facharzt in vielen Fällen überflüssig macht

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Das EKG einer 51-jährigen Patientin offenbart eine AV-Knoten-Reentry-Tachykardie. Das EKG einer 51-jährigen Patientin offenbart eine AV-Knoten-Reentry-Tachykardie. © wikimedia/Ewingdo
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Bei Schmerzen hinter dem Sternum oder bei besorgniserregendem Herzpochen muss der Hausarzt im Rahmen der Erstdiagnostik einschätzen, ob eine kardiale Ursache vorliegt. Mit einer erweiterten Diagnostik lassen sich viele Fälle oft auch ohne den Kardiologen abklären. 

Bei Patienten mit akutem Thoraxschmerz steht zunächst die Anamnese im Vordergrund. Schließlich darf keinesfalls ein akutes Koronarsyndrom übersehen werden. Der Berliner Internist Dr. Kai Schorn schult seine Fachangestellten so, dass sie die Entscheidung für ein Akut-EKG schon vor dem Arztkontakt treffen können. Bei typischer Vorgeschichte, entsprechenden Risikofaktoren und einer pathologischen Kurve mit ST-Hebungen oder -Senkungen sollen sie ihn dann sofort hinzuziehen. 

Die charakteristische Anamnese und ein pathologisches Ruhe-EKG kennzeichnen das akute Koronarsyndrom. Es erfordert den sofortigen Transport in die Klinik mit Arztbegleitung. Bei normalem Befund trotz hochgradigem klinischem Verdacht kann ein Troponin-Schnelltest das Erkennen eines Nicht-ST-Hebungs­infarkts erleichtern. Schwieriger ist der Nachweis einer instabilen ­Angina ­pectoris. Hierfür ist zunächst zu klären, ob die Beschwerden überhaupt kardialer Natur sind. 

Relevant sind zunächst Alter, Geschlecht und Symptomatik

Zur Einschätzung der Wahrscheinlichkeit für eine relevante KHK empfehlen DEGAM* und Nationale VersorgungsLeitlinie den ­Marburger ­Herzscore (s. ­Kasten). Dieser hilft aber in der Praxis oft nicht weiter, wie Dr. Schorn anhand eines Beispiels erläutert: Ein 55-Jähriger, der mit Thoraxschmerzen in die Praxis kommt und dessen Beschwerden per Palpation nicht auslösbar sind, käme bereits auf eine Vortestwahrscheinlichkeit von 17 % und müsste aufwendig untersucht werden, unter anderem mittels Kardio-MRT und Linksherzkatheter.

Marburger Herzscore zur Einschätzung von Brustschmerz

Männer ab 55, Frauen ab 65 Jahren

 1 Punkt

bekannte Gefäßerkrankung

1 Punkt

belastungsabhängige Beschwerden

1 Punkt

Schmerz durch Palpation nicht reproduzierbar

1 Punkt

Patient vermutet kardiale Ursache 

1 Punkt

0–2 Punkte: Wahrscheinlichkeit für stenosierende KHK als Schmerzursache liegt bei <  2,5 %; 3 Punkte: Wahrscheinlichkeit für stenosierende KHK etwa 17 %; 4–5 Punkte: Wahrscheinlichkeit für stenosierende KHK etwa 50 %.  

Punkte gesamt

Die europäische Fachgesellschaft ESC** plädiert dagegen für eine Berechnung der Vortestwahrscheinlichkeit, die vor allem auf dem Alter, dem Geschlecht und der Symptomatik beruht. Für eine typische ­Angina ­pectoris müssen die folgenden drei Punkte gegeben sein: 

  • retrosternale Beschwerden von kurzer Dauer
  • auslösbar durch körperliche und psychische Belastung
  • Rückbildung in Ruhe und/oder innerhalb weniger Minuten nach Nitratgabe

Liegen nur zwei Charakteristika vor, spricht man von einer atypischen Angina. Trifft nur ein Punkt zu oder keiner, bezeichnet man dies als nicht-­anginöse thorakale Symptomatik. Allerdings verbleibt auch dann eine gewisse Unsicherheit, weshalb die anamnestischen Risikofaktoren mitberücksichtigt werden müssen. 

Eine Überweisung zum Kardiologen mag der juristischen Absicherung dienen, ist nach Dr. Schorns Einschätzung in vielen Fällen medizinisch aber eher überflüssig. Bei normalem ­Ruhe-EKG und unauffälliger Auskultation hilft der in Ruhe erhobene UItraschall oft nicht weiter. Wandbewegungsstörungen im normalen Echo sind bei dieser Konstellation eher die Ausnahme. Auch höhergradige Aorten­stenosen und schwere Linksherzhypertrophien werden ohne Herzgeräusch und EKG-­Veränderung nur selten gesehen. 

Bei stabilen Patienten kann die Ergometrie die Diagnostik verbessern. Sie ermöglicht eine gute Einschätzung von körperlicher Belastbarkeit und allgemeiner Fitness. Auch die Blutdruckregulation und die Belastungsabhängigkeit der Symptome können gut erfasst werden. Die diagnostische Genauigkeit zum Ausschluss einer koronaren Herzkrankheit liegt zwar nur bei 15 %, aber bei einem pathologischen Befund besteht in 85 % der Fälle eine stenosierende KHK. Potenziell gefährlich ist die Ergometrie bei Patienten mit hoher Vortestwahrscheinlichkeit. Sie kann zum Beispiel im Fall einer Hauptstamm­stenose Kammerflimmern auslösen. 

Ohne aufwendige Diagnostik die Symptomatik erfassen

Als Palpitationen werden alle Arten von Herzklopfen bezeichnet, die der Patient als störend oder beängs­tigend empfindet. Nur in 40 % der Fälle liegt ihnen eine kardiale Ursache zugrunde, in 31 % besteht eine psychische Genese. Letztere wird aber oft vorschnell vermutet. Aufgabe des Hausarztes ist es, ohne Überdiagnostik die Symptome möglichst genau zu erfassen. Dr. Schorn empfiehlt hierzu die Basisabklärung in fünf Schritten (s. ­Kasten).

Fünf Schritte reichen für die Palpitationsdiagnostik

  • Was meint der Patient überhaupt?
    Empfindet er den Herzschlag als regel- oder eher als unregelmäßig? Enden die Beschwerden abrupt, gibt es Pausen/Aussetzer? Wie häufig sind die Symptome? Manifestieren sie sich in Ruhe oder eher unter Belastung? 
  • Gibt es Begleitsymptome?
    Treten Brustschmerz, Dyspnoe oder Präsynkopen auf?
  • Liegen anamnestische Hinweise vor?
    QT-Zeit-verlängernde Medikamente, Depression, Alkohol etc.?
  • Bestehen familiäre Risiken?
    Sind Verwandte am plötzlichen Herztod gestorben? Gibt es Fälle von KHK im jungen Alter oder Herzmuskel­erkrankungen in der Familie?
  • Basisdiagnostik:
    Auskultation, EKG, Blutdruck, thyroideastimulierendes Hormon, Elektrolyte

Bleibt der Verdacht auf eine Arrhythmie bestehen, kann ein 24-Stunden-EKG weiterhelfen. Es ist allerdings nur sinnvoll, wenn die Beschwerden regelmäßig auftreten, bei sporadischen Rhythmusstörungen verbessert sich die Diagnostik kaum. Aufschlussreicher als die Herzstromkurve ist oft die Symptombeschreibung durch den Patienten. So spricht ein wiederkehrendes belastungsunabhängiges Herzrasen mit abruptem Ende für eine supraventrikuläre Reentry-­Tachykardie. Beim Ausschluss lebensbedrohlicher Rhythmusstörungen helfen zwei einfache Fragen: 

  • Treten die Palpitationen bei körperlicher Belastung auf? 
  • Gibt es in der Familienanamnese genetisch bedingte Rhythmus­störungen oder gibt es Fälle von plötzlichem Herztod in der Verwandtschaft?

Wenn eine dieser Fragen bejaht wird oder eine schwere strukturelle Herzerkrankung vorliegt, ist die dringliche Überweisung zum Facharzt indiziert.

Quelle: Schorn K. internistische praxis 2023; 66: 211-219
*    Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin
**    European Society of Cardiology