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Im Interview mit Fr. Doris C. Schmitt „Kopf hoch, das wird schon wieder“ – oder etwa doch nicht?

Interview Autor: Dr. Miriam Sonnet

Im Interview gibt die Kommunikationsexpertin Doris C. Schmitt hilfreiche Tipps für eine bessere Kommunikation im Patient:innengespräch. Im Interview gibt die Kommunikationsexpertin Doris C. Schmitt hilfreiche Tipps für eine bessere Kommunikation im Patient:innengespräch. © VIX – stock.adobe.com
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Jede Onkologin und jeder Onkologe kennt es: Die Diagnose liegt auf dem Tisch, für das Gespräch mit der oder dem Betroffenen bleiben nur wenige Minuten Zeit. „Machen Sie sich keine Sorgen. Die Heilungschancen sind gut und Ihnen stehen zahlreiche Therapieoptionen zur Verfügung“ ist ein Satz, der wohl häufig fällt – aber eigentlich so lapidar nicht fallen sollte. Fühlen Sie sich ertappt? Dann hat Kommunikationsexpertin Doris C. Schmitt hilfreiche Tipps für Sie parat.

Frau Schmitt, was sind die Herausforderungen in der Kommunikation mit Krebspatient:innen?

Doris C. Schmitt:  Tumorerkrankte und Onkolog:innen kommunizieren nicht auf einer Ebene – vor allem zum Zeitpunkt der Diagnose. Das liegt daran, dass Ärzt:innen natur­gemäß viel mehr wissen als die Betroffenen und Letztere keine fundierten Vorinformationen zur Hand haben. Denn wo soll ein Mensch, der sich noch nie mit dem Thema „Krebs“ auseinandergesetzt hat, auch ein solches Fachwissen hernehmen? Eine gute Kommunikation kann jedoch nur gelingen, wenn beide Parteien auf der gleichen Ebene miteinander sprechen. Die Verantwortung liegt hier bei den Behandelnden. Sie müssen die Person erst einmal dort abholen, wo sie sich gerade gedanklich befindet.

Warum funktioniert genau das häufig nicht?

Fr. Schmitt: Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie als Patient:in sitzen vor ihrer Ärztin oder ihrem Arzt und das Gespräch beginnt mit dem Satz: „Sie haben ein Mammakarzinom mit Metastasen in den Knochen.“ Was passiert? Sie als Betroffene:r schalten ab und hören nicht mehr zu. Alle Informationen, die auf diesen ersten Satz folgen, gehen damit verloren und eine offene, gute Kommunikation ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Dabei stellt die Reaktion einen völlig normalen Schutzmechanismus dar, der auf einen solchen Schockmoment folgt und den jeder Mensch innehat. 

Die Behandelnden müssen also verstehen, in welcher Ausnahme­situation sich die Person, die gerade vor ihnen sitzt, befindet. Ärzt:innen unterschätzen dies leider immer noch zu häufig bzw. können nicht angemessen auf die Situation reagieren. Sie müssen verstehen, dass die Patient:innen unter Schock stehen und deshalb überhaupt nicht verstehen können, was sie gerade hören.

Wie können Ärzt:innen die Dia­gnose besser vermitteln?

Fr. Schmitt: Grundsätzlich gilt, dass das, was gesagt wird, wahr ist. Es kommt vor allem darauf an, wie man die Dia­gnose kommuniziert. Ein Patent­rezept dafür gibt es leider nicht, denn jeder Mensch reagiert unterschiedlich. Eines haben aber alle gemeinsam: Jede:r hat Angst vor Krebs. Ich habe schon oft den Satz gehört: „Ich hätte lieber einen Herzinfarkt als einen Tumor“, obwohl Ersteres eine meist viel akutere und zunächst gefährlichere Situation darstellt. Ärzt:innen sollten auf die Körpersprache der Betroffenen achten: Schaut er mich an oder weicht sie meinen Blicken aus? Daran kann man oft schon ausmachen, wie aufmerksam eine Person gerade ist. Hilfreich sind auch Fragen wie: „Möchten Sie, dass wir das Gespräch weiter­führen oder wollen Sie erst einmal alles sacken lassen und sich mit ihren Angehörigen besprechen, bevor wir uns wieder treffen?“ So kann man herausfinden, ob Patient:innen bereit für das Gespräch sind oder ob sie noch Zeit benötigen. 

Wichtig ist auch, sich der Person zuzuwenden. Das bedeutet, die Dia­gnose nicht vom Computer abzulesen, sondern die Betroffenen anzuschauen und sich nicht ablenken zu lassen. Für die Patient:innen ist es in dieser Situation besonders wichtig, dass man herausfindet, was sie jetzt am dringendsten brauchen.

Gibt es weitere Tipps, die eine Kommunikation zwischen Patient:in und Onkolog:in verbessern?

Fr. Schmitt: Es ist hilfreich, zu spiegeln, was man beobachtet. Ein Beispiel: „Ich habe das Gefühl, dass Sie sehr durcheinander sind und im Moment nicht bereit für das Gespräch. Trifft das zu?“ Wichtig dabei: In „Ich“-Botschaften sprechen. Es braucht Empathie, wenn man mit Patient:innen kommuniziert. Leider kann man das nicht lernen – entweder man ist empathisch oder eben nicht. Aber durch die bereits erwähnten Fragetechniken kann man zumindest empathisch wirken, was enorm hilfreich ist.

Welche Sätze sollte man im Gespräch auf keinen Fall sagen?

Fr. Schmitt: Die Klassiker: „Das wird schon wieder“, „Kopf hoch“ und „Ich kann Sie gut verstehen“. Auch beliebt: „Machen Sie sich keine Sorgen“. Das sind alles Floskeln – denn natürlich machen sich die Patient:innen Sorgen! Auch wenn Sie sagen „Brustkrebs ist eine gute Krebserkrankung“ – ein No-Go! – und „die Heilungschance beträgt 70 %, wir haben drei zugelassene Medikamente, die alle gut wirken“ kommt das bei den Betroffenen erst mal nicht an. Alles was sie hören ist, dass immerhin 30 % nicht geheilt werden und sie fragen sich, was passiert, wenn sie zu diesen 30 % gehören­.

Oftmals fehlt es im klinischen Alltag an Zeit – wie kann eine gute Kommunikation dennoch gelingen?

Fr. Schmitt: Der Zeitfaktor ist ein sehr großes Problem. Dennoch kann auch in Kürze ein gutes Gespräch geführt werden. Die Voraussetzung: Der oder die Behandelnde hat sich gut vorbereitet, lässt keine Störungen zu, ist empathisch und konzentriert sich voll und ganz auf den Patienten bzw. die Patientin.

Was ist bei Gesprächen mit ausländischen Patientinnen und Patienten zu ­beachten?

Fr. Schmitt: Kulturelle Vorgaben und Sprachbarrieren stellen hierbei die größten Hürden dar. Problematisch wird es in Kulturen, in denen die Frau eine „untergeordnete“ Rolle spielt und der Mann als Familienoberhaupt gilt. Die Patientinnen bringen oft ihren Partner oder Sohn mit zum Termin, der dann mit den Ärzt:innen über den Kopf der Frau hinweg spricht. Onkolog:innen müssen in einer solchen Situation versuchen, die Patientin trotzdem miteinzubeziehen. Zum Beispiel funktioniert das mit Sätzen wie: „Ihr Mann sagte gerade, dass ... Sehen Sie das genauso?“ Wichtig ist es dabei, dem Mann nicht über den Mund zu fahren oder ihn ausgrenzen zu wollen. Man muss hier sehr sensibel und vorsichtig vorgehen. 

Diese Situation hat aber nicht unbedingt etwas mit anderen Kulturen zu tun, denn auch hierzulande gibt es viele Familien, in denen der Mann noch immer das Sagen hat. Hier gilt es ebenso, zu versuchen, die Frau miteinzubeziehen, sich aber gleichzeitig nicht über den Mann hinwegzusetzen. Auf keinen Fall aber sollte man mit dem Angehörigen über die Patientin sprechen und sie außen vor lassen.

Und auch männlichen Patienten muss man manchmal eine Brücke bauen. Bei vielen gilt oft noch die Devise „ein Indianer kennt keinen Schmerz“. Deshalb öffnen sich manche nur schwer im Gespräch. Da hilft immer mal wieder nachzufragen und abzuklären, was den Patienten belas­tet.

Wie können sich Studierende und Onkolog:innen hinsichtlich Kommunikationsskills weiterbilden?

Fr. Schmitt: Die Universitätskliniken bieten regelmäßige Kommunikationstrainings für Medizinstudierende an – meines Erachtens aber noch viel zu selten. Ich bin der Ansicht, dass ein solches Training für jeden Medizinstudierenden verpflichtend sein muss, und zwar nicht nur in Form eines einfachen Kurses, sondern als Curriculum und das kontinuierlich. Auch für „ausgelernte“ Onkolog:innen sollte es verpflichtend sein, regelmäßig an einem Kommunikationstraining teilzunehmen. In einem Training lernt man nicht nur die verschiedenen Techniken, die es für ein gutes Gespräch braucht, sondern auch wie man dieses in kürzerer Zeit durchführen kann. Die Regeln der verbalen und nonverbalen Gesprächsführung helfen, patient:innenorientiert zu ­kommunizieren.

Ich erlebe immer wieder, dass diejenigen, die gut kommunizieren können, regelmäßig an solchen Trainings teilnehmen – diejenigen, die es wirklich nötig hätten, leider nicht. Gerade in der Onkologie haben die Behandelnden eine sehr hohe Verantwortung im Hinblick darauf, was mit dem Menschen, der vor ihnen sitzt, passiert. Es hilft nichts, wenn man hier die zahlreichen Therapieoptionen und Studien aufzählen kann. Man muss sich immer wieder bewusst machen, was die Diagnose für die einzelne Person bedeutet.

Warum haben Sie sich als Kommunikationsexpertin auf die Onkologie fokussiert?

Fr. Schmitt: Vor einigen Jahren habe ich selbst die Diagnose Brustkrebs erhalten. Als Betroffene wurde mir die dramatische Situation bewusst. Ich konnte beobachten, wie hilflos die meisten Patient:innen in dem Moment sind, wenn sie die Dia­gnose Krebs erhalten. Übrigens geht es Ärzt:innen, die selbst an einem Tumor erkranken, genauso. Auch ich als „Kommunikationsprofi“ fühlte mich oft hilflos und überfordert.

Was muss sich auf politischer Ebene ändern, damit sich die Situation für alle Beteiligten verbessert?

Fr. Schmitt: Hier treffen Sie auf einen wunden Punkt. Denn so viele Tipps ich Onkolog:innen auch geben kann, der Zeitfaktor spielt, wie bereits erwähnt, eine zentrale Rolle. Es kann nicht sein, dass von Ärzt:innen verlangt wird, innerhalb weniger Minuten ein Diagnosegespräch zu führen. Hinzu kommt der Personalmangel: Gerade Kliniken und medizinische Versorgungszentren sind extrem unterbesetzt. Die Behandelnden müssen im Minuten­takt mit Patient:innen sprechen, zwischendurch klingelt das Telefon oder Mitarbeiter:innen platzen herein, weil sie dringend Hilfe benötigen. Gerade ein Diagnosegespräch muss unter vier Augen stattfinden und es darf nicht irgendwo dazwischengeschoben werden. Es ist ein Missbrauch an Menschen, die mit einer lebensbedrohlichen Diagnose konfrontiert werden.

Ich appelliere an die Politik, Gespräche besser zu honorieren. Es muss endlich anerkannt werden, was Ärzt:innen leisten – und das beginnt nun mal bei der Kommunikation!

Interview: Dr. Miriam Sonnet

Doris C. Schmitt, Expertin für Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen in der Onkologie
Doris C. Schmitt, Expertin für Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen in der Onkologie © Foto: Harms 046