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Gichtanfälle Weder Alkohol noch radikale Diäten

DGIM 2024 Autor: Dr. Sonja Kempinski

Gichtpatienten können durch eine purinarme Ernährung weiteren Anfällen vorbeugen. Gichtpatienten können durch eine purinarme Ernährung weiteren Anfällen vorbeugen. © airborne77 – stock.adobe.com
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Durch Lebensstiländerungen können Patienten mit manifester Gicht oder asymptomatischer Hyperurikämie eine Menge tun, um Attacken vorzubeugen. Bei der Gewichtsabnahme heißt es allerdings aufpassen – die geht in manchen Fällen zunächst nach hinten los.

Das Anpassen der Ernährung ist für Gichtpatienten eine gute Möglichkeit, ihr Anfallsrisiko zu reduzieren. Der harte Weg einer harnsäurearmen Kost mit Aufnahme von weniger als 300 mg Harnsäure pro Tag ist allerdings recht steinig, gab Prof. Dr. Matthias Laudes von der Klinik für Innere Medizin I vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel zu. Machbar ist allerdings, die tägliche Harnsäurezufuhr auf unter 500 mg zu senken. Wer das durchhält, darf mit Erfolg rechnen. Denn eine solche moderat harnsäurereduzierende Ernährung kann die Spiegel im Serum um immerhin 2 mg/dl verringern.

Zu den Lebensmitteln ohne oder mit nur wenig Harnsäure zählen z.B. Milch, Kartoffeln, Brot und Backwaren. Im mittleren Bereich von 50 bis 176 mg/100 g liegen Gemüse, Pilze und Rindfleisch. Anderes Fleisch, Innereien und Fisch schlagen mit einem Harnsäuregehalt bis zu 460 mg/100 g mehr zu Buche. Spitzenreiter ist jedoch Kalbsbries. Die im Thymus versteckten Massen von Lymphozyten lassen den Harnsäuregehalt auf fast 1.500 mg/100 g steigen. Doch es gibt noch andere Purinquellen, auf die man achten sollte, betonte der Experte. Zurückhaltung wird z.B. empfohlen beim Konsum von Kaffee, Tee und dunkler Schokolade.

Neben Purin führt auch Fruktose über verschiedene Stoffwechselmechanismen zu erhöhten Harnsäurespiegeln. Das Monosaccharid findet sich nicht nur in Früchten wie Weintrauben, Äpfeln und Birnen. Gemüse enthält ebenso Fruktose, allen voran Paprika, Kohl und Rüben. Oft werden Getränke, Marmeladen und Soßen mit dem Zucker angereichert. Nicht vergessen werden darf das Bier: Die darin enthaltene Hefe fördert durch Fermentation die Bildung von Fruktose.

Zur Vorbeugung von Gichtanfällen ist zudem die pH-abhängige Löslichkeit der Harnsäure in Blut und Urin zu beachten. Je niedriger der Wert, desto weniger löslich ist sie. In der Folge wird sie schlechter ausgeschieden und vermehrt in Gelenken und Geweben abgelagert. Bei üblicher Mischkost liegt der pH-Wert des 24-Stunden-Urins knapp unter 6, bei ausgewogener Mischkost um 6,5 und bei ovo-lakto-vegetabiler Kost bei etwa 6,75. Die milde Urinalkalose verbessert die Harnsäureausscheidung und ist neben der purinarmen Ernährung der Grund dafür, dass Vegetarier selten an Gicht erkranken, erklärte Prof. Laudes. Für Freunde von Mischkost hat der Experte einen Hinweis: Auch wer an fünf Tagen in der Woche vegetarisch lebt und nur am Wochenende sein Schnitzel oder Steak genießt, profitiert in puncto Harnsäure. Wollen Patienten ihre Kost nicht umstellen, ist die Gabe von Kalium-Natrium-Hydrogencitrat eine sinnvolle Maßnahme zur Alkalisierung des Urins. Verschlechtert wird die Löslichkeit der Harnsäure in Blut und Urin auch durch Alkohol, erinnerte Prof. Laudes. Empfehlenswert für Patienten mit Hyperurikämie ist deshalb, den Konsum zu reduzieren oder ganz zu lassen.

Schon die alleinige Umstellung der Ernährung ist für Gichtpatienten lohnenswert. Aber auch eine Gewichtsabnahme gehört langfristig zu den Maßnahmen, die den Stoffwechsel entlasten. Doch bei Gichtpatienten oder Patienten mit einer asymptomatischen Hyperurikämie muss man damit aufpassen, betonte Prof. Laudes. Ob durch eine bariatrische Operation oder durch Fasten: Purzeln die Pfunde zu schnell und zu tief, kann es leicht zu einem Gichtanfall kommen. 

Dahinter stecken zwei Mechanismen: Bei starker Gewichtsabnahme gehen reichlich Fettzellen und mit ihnen ihre Zellkerne zugrunde. Dadurch steigen die Purinspiegel im Blut. Doch der Zelluntergang ist nicht der einzige Grund für Gichtanfälle. Eine Kost unter 1.200 kcal/Tag – wie sie auch nach bariatrischer OP üblich ist – kurbelt den Ketonstoffwechsel an. Der Blut-pH sinkt, was wiederum die Löslichkeit der Harnsäure verschlechtert. Beide Mechanismen zusammen lassen die Harnsäurespiegel im Blut ansteigen und begünstigen damit die Entstehung von Gichtanfällen. Um das zu verhindern rät Prof. Laudes dazu, vor einer bariatrischen Operation die Harnsäurewerte zu bestimmen. Liegen diese etwa bei 8–9, verordnet er prophylaktisch harnsäuresenkende Medikamente.

Aus dem Publikum kam die Frage, ob dies auch bei einer geplanten Behandlung mit GLP1-Agonisten beachtet werden müsse. „In der Regel läuft die Gewichtsreduktion mit diesen Wirkstoffen langsamer“, antwortete Prof. Laudes. Ein Ketonstoffwechsel ist seiner Meinung nach eher nicht zu erwarten. Das könnte der Grund sein, warum es unter diesen Medikamenten seltener zu Gichtanfällen kommt als nach bariatrischer OP. Anders sehe es dem Kollegen zufolge jedoch aus, wenn die Patienten den GLP1-Agonisten mit einer Low-Carb-Diät kombinierten. Dann drohen durchaus Gichtanfälle, denen mit einer harnsäuresenkenden Therapie vorgebeugt werden könnte.

Quelle: 130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin