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Neuropathien bei Rheuma Wenn's schmerzt und kribbelt

DGRh 2023 Autor: Dr. Sonja Kempinski

Periphere Neuropathien treten nicht allzu selten bei Patient:innen mit RA auf. Periphere Neuropathien treten nicht allzu selten bei Patient:innen mit RA auf. © koszivu – stock.adobe.com
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Wenn das Beugen des Handgelenks schmerzt oder das Gehen schwerfällt, können bei Patienten mit Rheuma auch die Nerven dahinterstecken. Denn sowohl bei der rheumatoiden Arthritis als auch bei Kollagenosen kommen periphere Neuropathien häufig vor.

Ein Drittel der Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) leidet unter einer peripheren Neuropathie, berichtete PD Dr. Jan Leipe vom Universitätsklinikum Mannheim. Mononeuropathien treten akut bis subakut auf, können äußerst schmerzhaft sein und führen zu sensiblen und motorischen Ausfällen, die sich z.B. durch Taubheitsgefühl und Lähmung bemerkbar machen. Sie betreffen nur einen Nerv oder bei der Mononeuritis multiplex mehrere Nerven asymmetrisch. Die typische Polyneuropathie äußert sich dagegen mit symmetrischen, distalen (strumpf- bzw. handschuhförmigen) sensiblen Ausfällen, begleitet von einem verringerten Schmerzempfinden und Reizsymptomen wie Kribbeln oder Brennen.

Häufige Ursache der Neuropathien sind Kompressionen, z.B. durch Gelenkerguss, Synovialitis, Tenosynovitis oder Gelenkdeformitäten. Ein klassisches Beispiel ist das Karpaltunnelsyndrom, das bei bis zu 23 % der RA-Patienten vorkommt – v.a. bei Älteren und Menschen mit hoher Krankheitsaktivität. Es äußert sich durch Schmerzen bei Handgelenksflexion, nächtliche Parästhesien und Kraftminderung im Daumen.

Das Pendant des Karpaltunnelsyndroms am Fuß ist das Tarsaltunnelsyndrom. Es betrifft 5–25 % der Patienten und führt zu Parästhesien und Schmerzen plantar und an der 1.–3. Zehe, oft klagen die Patienten zudem über eine geschwächte Fußmuskulatur. Zu den weiteren druckbedingten Neuropathien gehören Kiloh-Nevin-Syndrom mit Läsion des N. interosseus anterior, Sulcus-Ulnaris-Syndrom und Morton-Neuralgie mit einer Kompression von Interdigitalnerven.

Seltener sind Arthritiden dagegen mit nicht-kompressionsbedingten Varianten der Neuropathie assoziiert:

  • distal-sensorisch: Diese Form entsteht oft aufgrund von segmentaler Demyelinisierung, z.B. des N. suralis. Bemerkbar macht sie sich durch symmetrische Par­ästhesien, wobei Füße häufiger betroffen sind als Hände. 
  • kombiniert sensomotorisch: Eine Variante, die sich meist als akute Mononeuritis multiplex mit ausgeprägten Schmerzen und Parästhesien äußert, gefolgt von Muskelschwäche. Assoziiert ist sie u.a. mit längerer Dauer der RA, männlichem Geschlecht, Raynaud-Phänomen und hohem Rheumafaktor. Die Elektrophysiologie deutet auf eine axonale Degeneration oder schwere Demyelinisierung aufgrund vaskulitischer Nervenschädigung hin. 
  • autonom: U.a. abnorme kardio­vaskuläre Reflexe zeichen diese Form aus. Sie kommt vermehrt bei RA-Patienten vor. 

Noch häufiger als bei den Arthritiden findet man periphere Neuropathien bei den Kollagenosen. Spitzenreiter ist das Sjögren-Syndrom, mit dem sich jeder sechste Betroffene plagt. In bis zu 14,5 % der systemischen Sklerosen und bei etwa jedem zehnten Lupuspatienten treten ebenfalls Neuropathien auf. Am seltensten, aber dafür mit Malignomen assoziiert, kommen sie bei Myositiden vor, wie Prof. Dr. Torsten Witte von der Medizinischen Hochschule Hannover berichtete. Zur besseren Einordnung: Die Prävalenz der Neuropathie in der Bevölkerung beträgt 2,4 %.

Spezielle Subgruppe beim Sjögren?

Prof. Witte machte auf eine interessante Subgruppe bei den Sjögrenpatienten mit Neuropathie aufmerksam, die aus einer Auswertung der Medizinischen Hochschule Hannover hervorging. Im Rahmen dieser hatte man alle Patienten mit schwerer progredienter Polyneuropathie auf M. Sjögren hin untersucht. 22 % der Getesteten zeigten einen positiven Befund mit Sicca-Symptomatik. Diese Subgruppe zeichnete allerdings aus, dass nur die Hälfte der Patienten weiblich und nur die Hälfte SSR-positiv war. Auch Kryoglobuline oder Komplementverbrauch fanden sich unter diesen speziellen Patienten kaum, betonte Prof. Witte. Alle berichteten jedoch von einer Muskelschwäche, die insbesondere Probleme beim Gehen bereitete. Diesen schwerst betroffenen Patienten kann man gut helfen, so der Experte: Fast jeder Fall erreichte mit Hochdosis-Glukokortikoiden, Immunglobulinen oder Rituximab eine klinische Besserung oder zumindest eine Stabilisierung.

Beim Lupus sind die sensomotorische Neuropathie und die Mononeuritis multiplex vorherrschend. Letztere ist meist, Erstere häufig vaskulitisch bedingt. Trotz ihrer Häufigkeit sind sie von der EULAR – im Gegensatz zur ACR – nicht in die Klassifikationskriterien des Lupus aufgenommen worden. Weitere, aber sehr selten vorkommende Formen beim Lupus sind die Small-Fiber-Neuropathie, das Guillain-Barré-Syndrom und die autonome Neuropathie. Für Prof. Witte gibt es zwei pathogenetische Ansätze: Vaskulitis und thrombotische Mikroangiopathie. Mit Antiphospholipidantikörpern assoziiert ist die Entwicklung der peripheren Neuropathien beim Lupus nicht. 

Prinzipiell ist die Prognose bei lupusbedingter Neuropathie gut. Bei zwei Drittel der Patienten gehen die neuropathischen Beschwerden unter der Lupustherapie zurück. Allerdings braucht es dafür Geduld, denn es kann Jahre bis Jahrzehnte dauern. 

Eine apparente Neuropathie hat jeder sechste Sjögrenpatient. Würde man aber bei allen Sjögrenpatienten die Nervenleitgeschwindigkeit prüfen, fände man bei jedem Dritten pathologische Veränderungen, betonte Prof. Witte. In den meisten Fällen handelt es sich um rein sensorische Formen, am zweithäufigsten kommen sensomotorische Formen vor. Assoziiert ist die sensomotorische Polyneuropathie mit einer Hyperkryo­globulinämie oder monoklonalen Gammopathien. Pathophysiologisch scheinen Kleingefäßvaskulitiden, T-Zell-Infiltrate und Autoantikörper gegen Muskarin- oder Acetylcholinrezeptoren beteiligt zu sein.

Quelle: Kongressbericht Deutscher Rheumatologiekongress 2023