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Bakterielle Fehlbesiedlung Wucher im Dünndarm

Autor: Dr. Anne Benckendorff

Mit am häufigsten finden sich bei einer SIBO die gram-negativen Bakterien der Gattung Bacteroides. Mit am häufigsten finden sich bei einer SIBO die gram-negativen Bakterien der Gattung Bacteroides. © Kateryna Kon- stock.adobe.com
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Eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms lässt sich aufgrund der meist unspezifischen Symptome klinisch kaum von anderen gastrointestinalen Störungen unterscheiden. Insbesondere wenn prädisponierende Risikofaktoren vorliegen, sollte aber an diese Ursache gedacht werden.

Normalerweise leben im menschlichen Dünndarm weniger als 104 Colony Forming Units (CFU) pro Milliliter. Zu den Mechanismen, mit denen die Anzahl der Bakterien konstant gehalten wird, zählen die Motilität und Integrität des Dünndarms, die Magensäure und die pankreatiko-biliären Sekrete sowie die lokale Immunität. Eine Störung der genannten Faktoren kann zu einer bakteriellen Überwucherung des Dünndarms (small intestinal bacterial overgrowth, SIBO) führen. Werden 105 CFU/ml und mehr gezählt, ist dies kompatibel mit der Diagnose einer SIBO, wie Dr. Jabed­ Foyez­ Ahmed­ vom Department of Gastroenterology am St Mary’s Hospital in London und Kollegen schreiben.

Medikamente können die Motilität verringern

Eine verminderte Darmperistaltik ist mit einer erhöhten SIBO-Prävalenz assoziiert, da Bakterien nicht zügig weitertransportiert werden und so den Dünndarm kolonisieren können. Mögliche Ursachen für die verringerte Motilität sind Schädigungen der enterischen Nerven, etwa infolge eines schlecht eingestellten Diabetes, oder die langfristige Einnahme von Medikamenten wie Opioiden oder Anticholinergika. Morbus Parkinson und systemische Sklerose sind ebenfalls mit einer verringerten Darmmotilität assoziiert. In Studien wurde bei bis zu 25 % bzw. 40 % der Parkinson- bzw. Systemische-Sklerose-Patienten eine SIBO festgestellt.

Auch eine langfristige Einnahme von Säureblockern sowie eine verminderte Sekretion von Pankreas­enzymen im Rahmen einer chronischen Pankreatitis sind mit einem vermehrten Auftreten von SIBO assoziiert. Patienten mit chronischer Pankreatitis weisen zudem häufig weitere Risikofaktoren wie einen Dia­betes, die Einnahme von Opioiden und/oder PPI, Alkoholkonsum und chirurgische Eingriffe im Gast­rointestinaltrakt auf. Auch eine verminderte Gallensaftsekretion infolge von Lebererkrankungen kann eine SIBO begünstigen.

Außerdem können sowohl angeborene als auch erworbene anatomische Anomalien für eine Fehlbesiedlung des Dünndarms prädestinieren, darunter Adhäsionen, Fisteln und Strikturen infolge einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung sowie Divertikel. Eine SIBO ist auch eine bekannte Folge eines Roux-en-Y-Magenbypasses. Außerdem kann sich die bakterielle Überwucherung infolge einer Schädigung der Ileozökalklappe entwickeln. 

Und schließlich spielt auch das Immunsystem eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Bakterien im Dünndarm. Menschen mit Immundefizienz, Hypergammaglobulinämie oder IgA-Mangel haben daher ein erhöhtes Risiko für eine SIBO.

Mit chronischen Durchfällen, Blähungen, abdominellen Schmerzen und Veränderungen der Stuhlgewohnheiten sind die Symptome einer SIBO unspezifisch. Insbesondere bei Vorliegen von prädisponierenden Faktoren sollte bei Patienten mit solchen Beschwerden eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms diagnostisch abgeklärt werden, empfehlen die Autoren der Übersichtsarbeit. 

Als Goldstandard für die Dia­gnostik wird häufig die Anlage von Kulturen aus Jejunalaspirat betrachtet. In der Praxis verwendet man aufgrund der Nicht-Invasivität und besseren Verfügbarkeit allerdings in der Regel Atemtests, die aber eine geringere Sensitivität und Spezifität haben. Sie beruhen da­rauf, dass bei der Verstoffwechselung eines Kohlenhydrat-Substrats (meist Laktulose, Glukose oder Fruktose) durch die Bakterien Wasserstoff bzw. Methan entsteht, welches in der Ausatemluft gemessen werden kann. 

Es existieren keine universell anerkannten diagnostischen Kriterien für einen positiven H2-Atemtest. Prinzipiell ist ein Anstieg bei Patienten mit SIBO nach der Einnahme des Substrats zeitlich früher nachweisbar, da das Substrat bereits im Dünndarm und nicht erst im Kolon von den Bakterien verstoffwechselt wird. 

Patienten sollten Zucker und Nikotin möglichst meiden

US-amerikanische und britische Experten sind sich einig, dass der Nachweis von zwei Peaks (einen für den Dünndarm, einen für das Kolon) aber nicht Voraussetzung ist, um die Diagnose SIBO zu stellen. Aktuell wird zudem an der Entwicklung einer zu schluckenden Kapsel gearbeitet, die während der Passage durch den Darm intestinale Gase wie Wasserstoff, Kohlendioxid und Methan messen soll. 

Wie beim Reizdarmsyndrom könnte auch für Patienten mit SIBO eine FODMAP-arme Ernährung infrage kommen, vermuten die Autoren. Zudem sollten Zucker vermieden, die Einnahme von NSAR reduziert und das Rauchen aufgegeben werden. 

Wichtigster Eckpfeiler der Behandlung bleibt die Reduktion der Bakterien durch Antibiotika. Die beste Evidenz liegt für Rifaximin vor, aber auch Ciprofloxacin, Metronidazol, Trimethoprim und Norfloxacin haben sich als wirksam erwiesen. In die Entscheidung sollte auch die Resistenzlage einbezogen werden. Für Rifampicin wurden Erfolgsraten von 61–78 % berichtet. 

Bessern sich die Symptome nur partiell oder kommt es innerhalb von drei Monaten zu einem Rückfall, sollte eine weitere Behandlung mit einem anderen Antibiotikum erfolgen. Bei mehr als vier Rückfällen pro Jahr kann eine prophylaktische Antibiotikagabe erwogen werden. Probiotika können zur Symptomverbesserung probiert werden – die Datenlage dazu reicht für eine klare Aussage hinsichtlich ihrer Wirksamkeit aber nicht aus.

Quelle: Ahmed JF et al. Frontline Gastroenterology 2022; DOI: 10.1136/flgastro-2022-102163

aktualisiert am 02.11.2022