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Revaskularisierung Zwei Experten diskutieren den Nutzen der Intervention bei stabiler Herzinsuffizienz und KHK

ESC 2023 Autor: Dr. Angelika Bischoff

Die Frage ob bei fehlenden Angina-Beschwerden eine Bypass-Operation sinnvoll ist, führte zu einer interessanten Diskussion zweier Experten. Die Frage ob bei fehlenden Angina-Beschwerden eine Bypass-Operation sinnvoll ist, führte zu einer interessanten Diskussion zweier Experten. © izzetcakalli – stock.adobe.com
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Der eine Kollege hält es mitunter für unethisch, einem Herzinsuffizienten mit fehlenden Angina-Beschwerden die Revaskularisierung vorzuenthalten. Der andere meint, Ärzte „behandeln“ sich mit dem Eingriff zum Teil eher selbst. Der Pro-Contra-Schlagabtausch im Überblick.

Pro

Prof. Dr. Holger ­Thiele vom Herzzentrum Leipzig verdeutlichte seinen Standpunkt anhand einer Kasuistik. Er stellte einen 61-jähriger Patienten vor, der unter einer  akut dekompensierten Herzinsuffizienz (NYHA III) litt. Eindeutige Angina-Symptome bestanden nicht. Das Echo ergab eine stark verminderte linksventrikuläre Ejektionsfraktion (EF) von 25 %. Die Koronarangiografie zeigte eine Okklusion des Ramus interventricularis anterior und der rechten Koronararterie sowie eine hochgradige Stenose des Ramus circumflexus. In der MRT fiel zusätzlich eine geringe Vernarbung im Versorgungsgebiet des Ramus interventricularis anterior auf, wobei überall ausreichend vitales Myokard vorhanden war. Reicht für diesen Patienten eine optimale Medikation oder soll man zusätzlich den Blutfluss in den Koronarien wieder herstellen, fragte Prof. Thiele. 

Die Revaskularisierung zielt darauf ab, Symptome, funktionellen Status und Prognose zu bessern. Die STICH-Studie hat klar gezeigt, dass eine Bypass-Operation (CABG) die Prognose von HFrEF**-Patienten mit schwerer KHK positiv beeinflusst, erinnerte der Experte. Vor allem das Risiko für eine Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz sinkt, langfristig auch die Mortalität. Metaanalysen bestätigen die prognostische Überlegenheit des CABG gegenüber der alleinigen optimalen Medikation. 

Ein ähnlicher Vorteil konnte allerdings für die perkutaner Intervention (PCI) bisher nicht dokumentiert werden. Das höhere Alter der Patienten in den PCI-Studien im Vergleich zur Population der STICH-Studie könnte dies erklären, so Prof. Thiele. Aber eine symptomatische Besserung war auch mit PCI klar zu erkennen. Ein direkter randomisierter Vergleich zwischen CABG und PCI in diesem Patientenkollektiv fehlt bisher. Retrospektive Analysen mittels Propensity Matching weisen darauf hin, dass Patienten mit stark eingeschränkter EF und ausgeprägter KHK vom Bypass mehr profitieren. Der direkte Vergleich läuft derzeit in der STICH-3-Studie. 

Bis die Ergebnisse vorliegen, sollte man bei stark eingeschränkter EF in jedem Fall eine Koronarangiographie durchführen und vor allem bei Jüngeren mit schweren Stenosen eine Revaskularisierung anstreben, primär mittels CABG, so der Rat des Experten. Wenn ein Patient inoperabel ist, würde Prof. ­Thiele persönlich eine PCI dem Nichtstun vorziehen. In dem eingangs geschilderten Fall hält er einen Verzicht auf eine Revaskularisierung sogar für unethisch.

Contra

Prof. Dr. ­John Cleland von der School of Cardiovascular & Metabolic Health der University of Glasgow wies darauf hin, dass die Revaskularisierung mittels CABG oder PCI auch ein erhebliches Risiko für iatrogene Myokardischämien mit sich bringe. Dieses Risiko könnte die Vorteile der Intervention zumindest teilweise wieder aufheben. Periprozedurale Ereignisse sind dabei keine Seltenheit. In Vorher-Nachher-MRT-Studien fand man bei einem Drittel der behanelten Patienten myokardiale Narben, die ihrerseits die Prognose verschlechterten. „Auch an einer Koronar­angiografie kann man sterben“, unterstrich der Experte.

Er begrüßte es deshalb, dass europäische Kardiologen in der Mehrzahl doch sehr zurückhaltend sind. Daten aus dem Biostat-CHF-Register zeigen, dass nur 8 % der Kollegen bei Patienten mit Verschlechterung einer Herzinsuffizienz und manifester KHK eine Angiografie durchführen. Besteht keine KHK, sind es sogar nur 5 %. 

Bei der STICH-Studie hadert Prof. Cleland mit der Alltagstauglichkeit der Ergebnisse. Der gezeigte geringe Überlebensvorteil im sekundären Endpunkt betraf eher jüngere Patienten. Bei über 60-Jährigen war der Mortalitätseffekt der Bypass-OP nicht mehr signifikant. „Die meisten unserer Herzinsuffizienz-Patienten sind aber über 70 Jahre alt.“ Für das Outcome spielte es zudem keine Rolle, ob vitales Myokard vorhanden war. Nur die EF verbesserte sich bei vitalem Gewebe stärker. Zwar stieg durch die Revaskularisierung die Lebensqualität geringfügig und eine etwaige Angina nahm ab, aber es gab keinen Benefit hinsichtlich weiterer Symptome, Belastungskapazität und linksventrikulärer Funktion. 

Eine Metaanalyse, die neben STICH vier weitere Untersuchungen zur Revaskularisierung bei Patienten mit Herzinsuffizienz und KHK berücksichtigte, ergab einen eher bescheidenen Effekt auf die Mortalität. Interveniert wurde in den jeweiligen Studien (außer STICH) mittels PCI bzw. Angiographie mit Option zur PCI. Die Reduktion des Sterberisikos betrug 12 %, wobei der obere Wert des Konfidenzintervalls mit 0,99 gerade noch im Signifikanzbereich landete. Ohne den Einschluss der STICH-Studie hätte es gar keinen signifikanten Effekt gegeben.

Abschließend wies Prof. Cleland auf den psychologischen Effekt einer Intervention hin, der sich bei den behandelnden Ärzten einstellt. Hat man nichts unternommen und der Zustand des Patienten verschlechtert sich, fühlt man sich schuldig. Verschlechtert sich der Zustand trotz Intervention ist man der Meinung, man habe wenigstens sein Bestes getan. Der Referent bezeichnete dieses Vorgehen bzw. Verhalten als defensive Medizin und fragte: Sollen wir den Arzt behandeln oder den Patienten?

Kongressbericht: ESC* Congress 2023

* European Society of Cardiology
** heart failure with reduced ejection fraction