Neue Maßstäbe bei der Therapie Ab wann fühlen sich Menschen mit Diabetes geheilt?

Autor: Antje Thiel

Optimale Glukosekontrolle, gesunde Ernährung und Bewegung sind die Basis jeder Diabetestherapie. Optimale Glukosekontrolle, gesunde Ernährung und Bewegung sind die Basis jeder Diabetestherapie. © Goffkein – stock.adobe.com

Dank Fortschritten in der Behandlung, aber auch aufgrund von neuen Erkenntnissen zur Pathophysiologie verschieben sich beim Diabetes die Grenzen des Machbaren. Doch ob Betroffene sich künftig tatsächlich als „geheilt“ empfinden, hängt von vielen individuellen Faktoren ab.

Per Definition versteht man unter „Heilung“ in der Medizin die Wiederherstellung der Gesundheit unter Erreichen des Ausgangszustands. „Im Zusammenhang mit Typ-1-Diabetes ist Heilung also ein sehr großes Wort“, meinte Prof. Dr. Barbara Ludwig vom Klinikum der Technischen Universität Dresden. Denn das würde die vollständige Beseitigung der Krankheitsursache verlangen – also eine gezielte Modulation der Autoimmunreaktion. Dies sei derzeit bekanntlich noch nicht möglich, auch wenn die PROTECT-Studie in den USA immerhin gezeigt hat, dass der Antikörper Teplizumab den Übergang zu einem klinisch manifesten Stadium des Typ-1-Diabetes im Mittel um zwei Jahre verzögern kann. „Das hat mit Heilung zwar noch nichts zu tun“, so Prof. Ludwig, „ist aber dennoch ein Meilenstein.“

Das Ziel ist ein langes, möglichst gesundes Leben

Die Referentin plädierte daher für eine erweiterte Definition: Heilung als Prozess der Wiederherstellung der körperlichen und seelischen Integrität. „Wir müssen uns anschauen, was Menschen mit Diabetes selbst unter Heilung verstehen.“ In der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Typ-1-Diabetes sei es das Ziel, ein langes, möglichst gesundes Leben zu ermöglichen – mit guter Glukosekontrolle, Vermeidung von Hypoglykämien, Prävention von diabetischen Ketoazidosen und psychosozialer Entlastung.

Technologische Entwicklungen wie Systeme zur automatisierten Insulindosierung (AID) haben in diesem Sinne große Fortschritte gebracht, weil die damit erzielbaren Glukoseverläufe oft sehr nah an der Normoglykämie liegen. Bihormonelle Systeme könnten die Stoffwechsellage bei Typ-1-Diabetes noch einmal verbessern. „Allerdings werden es manche Patienten nicht als Heilung empfinden, gleich zwei Pumpen am Körper zu tragen“, gab Prof. Ludwig zu bedenken. Anders sehe das mit biologischen Betazellersatztherapien wie Pankreas- oder Inselzelltransplantation aus – selbst wenn diese bis dato nicht ohne Immunsuppression möglich sind.

Großes Potenzial sieht Prof. Ludwig auch bei Inselzellclustern, die aus Stammzellen generiert werden und ab Tag 200 nach Transplantation eine stabile endogene Insulinsekretion ermöglichen. „Alle der bislang 29 behandelten Patientinnen und Patienten waren insulinunabhängig – allerdings unter voller Immunsuppression“, räumte sie ein. Zwei Todesfälle im Zusammenhang mit dieser Therapie verdeutlichen die Risiken. „Wir müssen uns also mit der Frage beschäftigen, wie wir die Immunsuppression minimieren bzw. ganz umgehen können.“

Derzeit wird an immunausweichenden Stammzellen gearbeitet, die vom Immunsystem nicht erkannt werden sollen. Parallel laufen Ansätze mit zellverkapselnden Devices. Dass ein solcher Prototyp im März 2025 noch keine ausreichende Wirksamkeit unter Beweis stellen konnte, wertete Prof. Ludwig nicht als Rückschlag: „Wenn wir uns dem Thema Heilung annähern wollen, müssen wir diese Schritte gehen.“

Bariatrische Chirurgie führt zu hohen Remissionsraten

Auch beim Typ-2-Diabetes mit seiner sehr heterogenen Pathophysiologie ist es schwierig, von Heilung zu sprechen. Prof. Dr. Matthias Blüher vom Universitätsklinikum Leipzig wertete daher die Remission als praxistaugliches Äquivalent zur Heilung. Angesichts des klaren Zusammenhangs zwischen Typ-2-Diabetes und Übergewicht sei die Gewichtsreduktion ein zentraler Schlüssel zur Remission. Chirurgische Ansätze wie die bariatrische Chirurgie zeigten beeindruckende Remissionsraten von bis zu 90 % – allerdings nur bei einer Operation nach maximal einem Jahr Diabetesdauer. 15 Jahre nach dem Eingriff sei die Remission bei den meisten Patientinnen und Patienten wieder vorbei. „Übersetzt heißt das: Wir kommen einfach zu spät“, meinte Prof. Blüher.

Ähnlich sieht es beim Gewichtsverlust durch Ernährungsumstellung aus. Mittlerweile liegen Fünf-Jahres-Daten aus der DiRECT-Studie vor, wonach ein deutlicher Gewichtsverlust aufgrund einer drastisch reduzierten Kalorienaufnahme zwar zu einer Diabetesremission führen kann. „Aber auch nach fortgesetzter Ernährungsintervention kämpft sich der Diabetes wieder zurück, sogar schneller als nach metabolischer Chirurgie“, erklärte Prof. Blüher.

Angesichts dieser Ergebnisse sollte man versuchen, bereits im prädiabetischen Stadium zu intervenieren. Dazu gehören medikamentöse Strategien (z. B. Semaglutid oder Tirzepatid), die nicht nur den Glukosestoffwechsel normalisieren und zur Gewichtsreduktion beitragen, sondern auch kardiovaskuläre Risiken adressieren.

Mit Blick auf die ReTUNE-Studie, die Typ-2-Diabetes als einen Zustand vermehrter ektoper Fettdeposition in Leber und Pankreas beschreibt – unabhängig vom BMI und durchaus reversibel –, erklärte Prof. Blüher: „Leberverfettung und Insulinresistenz lassen sich umkehren, wenn man rechtzeitig ansetzt, auch bei Menschen ohne Übergewicht.“ Es gelte daher, den individuell unterschiedlichen Zeitpunkt zu erkennen, ab dem der Schalter umgelegt wird und der Typ-2-Diabetes einsetzt. „Wenn wir es schaffen, bei einzelnen Menschen die Pathophysiologie zu erkennen, ist die Heilung gar nicht mehr so fern“, schloss der Referent. 

Quelle: Diabetes Kongress 2025