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Adoniskomplex: Diagnose und Therapie der Muskeldysmorphie

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Der Adoniskomplex – eine körperdysmorphe Störung – wird mittels kognitiver Verhaltenstherapie behandelt. Der Adoniskomplex – eine körperdysmorphe Störung – wird mittels kognitiver Verhaltenstherapie behandelt. © iStock/ilbusca
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Die Gedanken kreisen nur noch um das Muskeltraining und um den Diätplan. Es folgen sozialer Rückzug, Vernachlässigung privater und beruflicher Verpflichtungen und verminderte Leistungsfähigkeit. Das ist das typische Bild eines Mannes mit Muskeldysmorphie.

Mehr als die Hälfte der Body­builder und Leis­tungssportler leidet unter einer Muskeldysmorphie, schreibt das Team um Professor Dr. ­Christian ­Strobel von der Hochschule München. Die Diagnose der Erkrankung erfordert streng genommen bestimmte Kriterien (s. Kasten). Aber in der Praxis wird die Muskelsucht meist anhand des klinischen Bildes oder der Selbstauskunft gestellt. Dabei finden sich Elemente der Zwangsstörung: Die Betroffenen – vornehmlich sind es Jungen und Männer – beschäftigen sich rund um die Uhr mit ihrem Körper, drei bis vier Stunden tägliches Training sind für sie ganz normal. Und sie üben immer weiter, auch wenn Knochen brechen oder Sehnen reißen.

Diagnose Muskelsucht

Formal wird die Muskeldysmorphie in zwei Schritten diagnostiziert. Dabei müssen zum einen die Kriterien für eine allgemeine körperdysmorphe Störung erfüllt sein:
  • übermäßige Beschäftigung mit angeblichen körperlichen Makeln, die anderen gar nicht auffallen
  • Verhaltensweisen wie ständiges Betrachten des Körpers im Spiegel oder der permanente Vergleich mit anderen
  • Auftreten eines relevanten Leidens, Beeinträchtigung der sozialen, familiären oder beruflichen Funktion
  • Symptome eher zur Muskeldysmorphie passend als zu einer Essstörung.
Zum anderen müssen die Kriterien für das spezielle Krankheitsbild der Muskelsucht erfüllt werden. Sie zeichnet sich unter anderem durch eine übermäßige Beschäftigung des Betroffenen mit der Vorstellung aus, der Körper sei nicht ausreichend muskulös.

Hunger- und Sättigungsgefühl spielen keine Rolle mehr

Für die optimale Körperform befolgen die Patienten einen rigiden Diät­plan. Gegessen wird nur noch, um Muskeln aufzubauen, Hunger- und Sättigungsgefühl spielen keine Rolle mehr. Auch der Genussfaktor bleibt unbeachtet, stattdessen werden Proteingehalt und Mikronährstoffe bis ins Detail berechnet und portioniert. Gemeinsame Mahlzeiten mit Freunden oder der Familie fallen schon deswegen flach, weil sie sich nicht mit dem Ernährungsplan vereinbaren lassen. Die unzutreffende Vorstellung, bestimmte Körperregionen seien zu fett, erinnert an die Magersucht. Bei der körperdysmorphen Störung ist der alles dominierende Wunsch allerdings nicht die Gewichtsreduktion, sondern ein durchtrainierter, athletischer Körper. Zu den Wegbereitern der Muskeldysmorphie zählt das gängige Schönheitsideal des muskulösen, starken Mannes, der schmerzfrei und emotional unangreifbar daherkommt. Aber auch persönliche Faktoren wie ein vermindertes Selbstwertgefühl, die Neigung zum Perfektionismus und Mobbing­erfahrungen in der Jugend spielen eine Rolle. Nicht zuletzt bringt die ständige Verfügbarkeit von Fitnessstudios, Nahrungsergänzungsmitteln und anabolen Steroiden psychisch vorbelastete Menschen in Gefahr. In der Therapie haben sich Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie bewährt. Ein wichtiges Ziel ist die Stärkung des Selbstwertgefühls. Statt einseitiger Fixierung auf Training und Fitness soll der Patient den liebevollen Umgang mit seinem Körper erlernen, die Wahrnehmung von Emotio­nen verbessern und seine sozialen Kompetenzen stärken.  Am Anfang steht die Exploration der derzeitigen Ernährung. Sie bildet die Basis für eine individuelle Zielvereinbarung nebst konkretem Speise­plan. Dieser soll auch Lebensmittel enthalten, die sich der Patient bisher verboten hat. Statt der gewohnten Trennung zwischen kohlenhydrat- und proteinreich werden gemischte Gerichte empfohlen.  Diese Strategie ermöglicht es dem Kranken, sein rigoros am Sport orientiertes Essverhalten durch einen flexiblen, genussvollen Verzehr zu ersetzen und dabei auch auf Körpersignale wie Sättigung und Hunger zu achten. Gemeinsames Kochen und Essen mit der Familie oder Freunden hilft, die Nahrungsaufnahme wieder als soziales Erlebnis schätzen zu lernen.  Auch das Trainingsverhalten wird in der Therapie hinterfragt: Die Patienten sollen das übersteigerte Pensum schrittweise reduzieren und auf starre Übungspläne verzichten, um ihre Freude am Sport wiederzufinden. Dabei ist zu beachten, dass die Körperertüchtigung häufig der Regulation von Emotionen dient. Betroffene müssen also andere Strategien erlernen, mit negativen Gefühlen wie Wut und Trauer umzugehen. 

Anabolika langsam reduzieren

Obwohl sich viele Betroffene mit Lebensmitteln und deren Funktionen hervorragend auskennen, ist so manchem mit Muskeldysmorphie nicht klar, dass seine vermeintlich gesunde Lebensweise zu Mangelerscheinungen führen kann. Andere vertrauen auf die muskelaufbauende Wirkung anaboler Steroide. Sie sollten über die Risiken derartiger Präparate aufgeklärt werden. Ziel ist es, den Konsum langsam und kontrolliert zu reduzieren.

Quelle: Strobel C et al. Ernährungs Umschau 2020; 67: 214-221; DOI: 10.4455/eu.2020.057