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Antidiabetikum Affinität an myokardialen Kaliumkanälen gibt den Ausschlag

Autor: Dr. Judith Lorenz

Ob es zu einem  Major-Ereignis kommt, kann von der Wahl des Sulfonylharnstoffs abhängen. Ob es zu einem Major-Ereignis kommt, kann von der Wahl des Sulfonylharnstoffs abhängen. © peterschreiber.media – stock.adobe.com
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Sulfonylharnstoffe zählen weltweit zu den beliebtesten Antidiabetika. Einige, jedoch nicht alle Wirkstoffe dieser Klasse begünstigen Herz-Kreislauf-Komplikationen. Das Risiko hierfür hängt vermutlich davon ab, wie stark die einzelnen Wirkstoffe an bestimmte mitochondriale Kaliumkanäle im Herzmuskel binden.

Zu diesem Ergebnis kommen Professor Dr. Meng-Ting Wang von der Abteilung für Pharmazie der Universität Taipeh (Taiwan) und weitere Forschende nach Auswertung von Patientendaten. An der inneren Mitochondrienmembran von Herzmuskelzellen befinden sich ATP-sensitive Kaliumkanäle (mitoKATP), die offenbar eine wichtige Rolle bei der Aktivierung kardioprotektiver Kinase-Signalwege im Sinne der sog. ischämischen Präkonditionierung spielen, erläutert Prof. Wang. 

Bei der ischämischen Präkonditionierung wird der Herzmuskel durch wiederholte kurze Ischämiephasen „abgehärtet“, sodass er eine spätere schwerere Perfusionsstörung besser übersteht. Untersuchungen in vitro und ex vivo belegen, dass die einzelnen Sulfonylharnstoffe in ihrer Affinität zu mitoKATP-Kanälen erheblich variieren: Glyburid und Glipizid binden z. B. stärker, Gliclazid und Glimepirid dagegen schwächer an die Kanäle. Erklärt diese Tatsache das unterschiedliche kardiovaskuläre Risikoprofil der Wirkstoffe? Das untersuchte das Team um Prof. Wang nun mithilfe einer Kohortenstudie.

Wie wirken die einzelnen Sulfonylharnstoffe?

Mithilfe einer nationalen Diabetes-Datenbank, der Taiwan Diabetes Mellitus Health Database, identifizierten die Forschenden 164.665 Erwachsene (Durchschnittsalter 59,2 Jahre; 52,4 % Männer), die zwischen 2007 und 2016 aufgrund eines neu diagnostizierten Typ-2-Diabetes einen der vier genannten Sulfonylharnstoffe erhalten hatten. Patient*innen, die im Jahr vor dem Registereinschluss einen akuten Myokardinfarkt oder Schlaganfall erlitten hatten, schlossen sie von der Analyse aus. Gleiches galt für Personen, die zusätzlich andere Antidiabetika erhalten hatten. 34.138 Personen hatten Sulfonylharnstoffe mit hoher und 130.257 mit geringer Affinität an den mitoKATP-Kanälen erhalten. Mittels Propensity-Score-Matching bildeten die Forschenden zwei je 33.727 Personen umfassende Kollektive von Anwender*innen hoch bzw. gering affiner Sulfonylharnstoffe. Als primären Studienendpunkt definierten sie das Auftreten kardiovaskulärer Major-Ereignisse (MACE), also Hospitalisationen aufgrund eines Myokardinfarkts oder eines ischämischen Schlaganfalls oder kardiovaskulär bedingte Sterbefälle. Ferner prüften sie die Häufigkeit der Einzelkomponenten des primären Endpunkts und objektivierten Arrhythmien, Hypoglykämien sowie die Gesamtmortalität.

Die Monotherapie mit hochaffinen Sulfonylharnstoffen ging im Vergleich zur Monotherapie mit gering affinen Sulfonylharnstoffen mit einem 21 % höheren MACE-Risiko einher (adjustierte Hazard Ratio/aHR 1,21; 95 %-KI 1,03–1,44). Die hochaffinen Wirkstoffe erhöhten ferner das Schlaganfallrisiko um 23 % (aHR 1,23; 95 %-KI 1,02–1,50) und das Sterberisiko aufgrund eines Myokardinfarkts oder Schlaganfalls um den Faktor 2,61 (aHR 2,61; 95 %-KI 1,31–5,20). Myokardinfarkte traten unter den hochaffinen Wirkstoffen dagegen nicht wesentlich häufiger auf als unter den gering affinen (aHR 1,04; 95 %-KI 0,75–1,44). 

Für die Gesamtmortalität ergab sich eine aHR von 1,21 (95 %-KI 1,00–1,47), für Arrhythmien von 1,26 (95 %-KI 0,89–1,78) und für schwere Hypoglykämien von 1,44 (95 %-KI 1,22–1,72). Das höchste Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen unter den hochaffinen Sulfonylharnstoffen bestand innerhalb der ersten 90 Therapietage (aHR 4,67; 95 %-KI 3,61–6,06) sowie bei höheren Dosen (aHR 1,65; 95 %-KI 1,09–2,49).

Die Studienergebnisse legen nahe, dass die Bindungsstärke der einzelnen Sulfonylharnstoffe an kardialen mitoKATP-Kanälen das kardiovaskuläre Risiko beeinflusst, so das Fazit. Den Berechnungen zufolge ist pro 286 Personen, welche hochaffine statt gering affiner Wirkstoffe erhalten, mit einem zusätzlichen kardiovaskulären MACE-Fall zu rechnen.

Quelle: Wang MT et al. Diabetes Care 2022; 45: 1276-1287; doi: 10.2337/dc21-1779