Anzeige

Aplasiekost: „Lasst sie haben, was sie wollen!“

Autor: Friederike Klein

Isolierte Patienten dürfen an der Kölner Uniklinik essen, was sie möchten. Einzige Einschränkungen: Sie sollen Rohmilchprodukte meiden und die Hygiene muss gewährleistet sein. Isolierte Patienten dürfen an der Kölner Uniklinik essen, was sie möchten. Einzige Einschränkungen: Sie sollen Rohmilchprodukte meiden und die Hygiene muss gewährleistet sein. © iStock/Prostock-Studio, iStock/Roxiller, iStock/leonori, iStock/letterberry, iStock/LauriPatterson
Anzeige

Für isolierte Patienten wurde eine keimfreie Ernährung erstmals 1966 vorgeschlagen. Die Aplasiekost setzte sich an vielen Kliniken durch. Belegt wurde ihre Wirkung allerdings nie. Ein Kollege nennt nun Gründe gegen sie.

Als „frustrierend und sinnlos“ bewertete Professor Dr. Jörg Janne Vehreschild vom Studienzentrum Infektiologie der Uniklinik Köln die keimarme Ernährung. Auch an seiner Klinik war lange die Aplasiekost eingesetzt worden. Das änderte sich, als es eine krankenhausweite Initiative zur Reduktion der Auswahl verschiedener Diätvarianten gab. Um Argumente für die Aplasiekost zu finden, recherchierten Mitarbeiter der Klinik. Sie fanden nur wenige kleine Studien und Fallserien zu der Diätform ohne Nachweis eines Effekts.

Die Kölner Uniklinik entschied sich nach vielen Diskussionen dafür, dass ab 2008 alle Patienten die Kost bekommen sollten, die sie möchten – eine gute Küchenhygiene vorausgesetzt. Denn bei fehlendem Nachweis zur Wirksamkeit der Aplasiekost sind doch unerwünschte Effekte wohlbekannt: Sie unterstützt Gewichtsverlust, ist wenig appetitlich und bietet nur eine sehr beschränkte Auswahl an Lebensmitteln. Die neue Regelung erlaubt dagegen Vollkornprodukte, gewaschenes Obst, Fisch und Fleisch (durchgegart), Milchprodukte (Rohmilcherzeugnisse meiden) sowie Süßigkeiten. „Lasst sie haben, was sie wollen“, lautete der Tenor des Experten.

Um die Effekte der Umstellung zu überprüfen, führte ein Team um Prof. Vehreschild­ die COCONUT-Studie durch. Es verglich Kohorten, die vier Jahre vor und nach Einführung der Normalkost bei Aplasie in Köln behandelt worden waren. Mithilfe eines Propensity-Score-Matchings identifizierten die Forscher in jeder Kohorte 1043 ähnliche Patienten. Primäre Endpunkte waren die relativen Tage mit Fieber (≥ 38 °C) während der Neutropenie (Fieberdichte) und mikrobiologisch nachgewiesene Infektionen durch einen Erreger der Liste von nahrungsassoziierten Infektionen des US-amerikanischen Centers of Disease Control (CDC). Ausgenommen waren Noro­viren und eine asymptomatische Kolonisierung mit Clostridien.

Diät beeinflusste keineswegs Fieberdichte und Überleben

Etwa ein Drittel der Patienten litt an einer akuten myeloischen Leukämie, ein weiteres an einem Lymphom. Zwischen 11 %–13 % hatten eine akute lymphatische Leukämie und zwischen 8 %–11 % ein multiples Myelom. Die Teilnehmer beider Kohorten wiesen ähnliche Charakteristika auf – auch hinsichtlich Antibiotikaprophylaxe und Gabe von Granulozytenkolonie-stimulierendem Faktor (G-CSF). Ein knappes Fünftel hatte eine autologe Stammzelltransplantation erhalten.

In der Analyse der relevanten Faktoren für die Fieberdichte in der Neutropenie fand sich der Ernährungstyp gar nicht mehr wieder. Es gab keinen relevanten Einfluss der Kost auf dieses Ereignis, erklärte Prof. Vehreschild­. Auch als Faktor für einen Tod innerhalb von 28 Tagen spielte die Kostform keine Rolle. Es gab aber einen Effekt der Umstellung: Mit der Normalkost wurde die Rate an Diarrhö gegenüber der Aplasie­kost halbiert und die Raten von Übelkeit und Gewichtsverlust deutlich vermindert.

Ein ähnliches Bild lieferte eine Metaanalyse aus 2018, weshalb die neutropene Diät auch in die US-amerikanische „Choosing-Wisely-Liste“ der zu vermeidenden Maßnahmen aufgenommen wurde.1 In dieser Analyse war sogar die Zahl der Infektionen bei Aplasiekost gegenüber der Standardkost erhöht.

Nahrungsmittelassoziierte Erkrankungen spielen also in der Aplasie keine Rolle und die Krankenhauskost hat keinen Einfluss auf die Häufigkeit und den Verlauf von Infektionen in der Neutropenie oder gar dem Gesamtüberleben. Zur Vorsicht mahnte Prof. Vehreschild allerdings bei mitgebrachtem Essen, da es nicht immer die Mindesthygiene gewährleiste.

1. Sonbol MB et al. BMJ Support Palliat Care 2019; 9: 425-433; DOI: 10.1136/bmjspcare-2018-001742

Quelle: Vehreschild JJ et al. DGHO Jahrestagung 2020 virtuell; V-363