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Minimalinvasiv oder konservativ? Beim Umgang mit osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen scheiden sich die Geister

DGIM 2023 Autor: Dr. Sonja Kempinski

Durch die schmerzbedingte Immobilisa­tion kommt es schon zwei Tage nach dem Bruch zum deutlichen Knochenverlust. Durch die schmerzbedingte Immobilisa­tion kommt es schon zwei Tage nach dem Bruch zum deutlichen Knochenverlust. © leesle – stock.adobe.com
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Wie alle Frakturen sind auch Wirbelkörperbrüche insbesondere für ältere Menschen eine heikle Sache. Ob ihnen die konservative Therapie oder eher Vertebro- oder Kyphoplastie besser auf die Beine hilft, ist umstritten. Zwei Experten diskutieren Pro und Contra.

Eine  Wirbelkörperfraktur bedeutet für alte Menschen vor allem zweierlei: Ausgeprägte  Schmerzen und eine starke Einschränkung ihrer Bewegungsfähigkeit. Letzteres führt in raschem Tempo zum funktionellen Abbau: Durch die schmerzbedingte Immobilisa­tion kommt es schon zwei Tage nach dem Bruch zum deutlichen Knochenverlust, berichtete Prof. Dr. Uwe­ Maus­ von der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Nach einer Woche ist der Knochenabbau im Altersvergleich um das 50-Fache erhöht. Nach weiteren drei Tagen sinkt die aerobe Kapazität deutlich, nach zehn Tagen die Beinkraft.

Dem kurz- und langfristigen Abbau lässt sich am besten mit einer Kypho- oder Vertebroplastie entgegenwirken, meinte der Referent. Denn das Einbringen von Zement in den gebrochenen Wirbelkörper reduziert den Schmerz, bessert die Funktionalität und erhöht die Lebensqualität.

Kyphoplastie und Vertebroplastie

Kyphoplastie und Vertebroplastie sind minimalinvasive Verfahren, mit denen man osteoporotische Wirbelkörperfrakturen stabilisiert. Dazu bringt man unter Röntgenkontrolle einen speziellen Zement in den Wirbelkörper ein. Bei der Kyphoplastie wird der zusammengebrochene Wirbelkörper zusätzlich mit einem Ballon von innen aufgedehnt.

Allerdings liegen recht wenig Langzeitergebnisse bezüglich Nutzen und Risiken der Verfahren vor. Der Leitlinie zufolge sind sie am ehesten bei frischer Fraktur und Schmerzen > 5 auf der visuellen Analogskala indiziert. Prof. Maus­ ist bei geriatrischen Patienten mit entsprechendem Wirbelkörperbruch trotz allem von der Zementaugmentation überzeugt.

Welcher Wirbelkörper ist geeignet?

Klassifiziert werden osteoporotische Wirbelkörperfrakturen (OF) nach der sogenannten OF-Klassifikation. Wenn sie operiert werden sollen, sind die folgenden Verletzungen für eine ausschließliche Zementaugmentation geeignet:

  • OF1: Wirbelkörperödem ohne Deformation des Wirbelkörpers
  • OF2: Deformation ohne oder mit geringer Hinterwandbeteiligung

OF3-Frakturen (Deformation mit ausgeprägter Hinterwandbeteiligung) kommen für eine Kyphoplastie infrage, wenn die Patienten mobil sind und der Wirbelkörper nicht nachsintert. OF4- und OF5-Frakturen müssen je nach Ausprägung zusätzlich oder ausschließlich mit Schrauben und Platten stabilisiert werden.

Er führte mehrere Studien an, deren Ergebnisse die Vorteile der Methode untermauern. In einer Meta­analyse mit 1.624 Patienten reduzierte die Verte­broplastie im Vergleich zur konservativen Therapie die Schmerzen besser, sowohl im frühen Stadium nach ein bis zwei Wochen, als auch nach bis zu zwölf Monaten. Und bei einem direkten Vergleich hatten Patienten mit Kyphoplastie über 24 Monate hinweg signifikant weniger Rückenschmerzen und eine höhere Zufriedenheit mit dem Ergebnis als die konservativ Behandelten.

Bezüglich Folgefrakturen besteht zwischen konservativer Therapie und Kyphoplastie indes kein großer Unterschied. In der oben genannten Studie betrugen die Raten radiografischer Frakturen binnen zwei Jahren nach Kyphoplastie 47,5 %, unter konservativer Therapie waren es 44,1 %. Neue Verletzungen oder schwerwiegende Nebeneffekte traten in beiden Gruppen ähnlich oft auf, berichtete der Referent. Den pauschalen Verweis auf die Risiken der Operation könne man so also nicht gelten lassen.

Eine Studie aus dem Jahr 2019 zur Behandlung von Wirbelkörperfrakturen kommt zu folgendem Fazit: 

  • Die Vertebroplastie ist die effektivste Methode, um Schmerzen, Funktion und Lebensqualität zu verbessern.
  • Folge- und Refrakturen verhindert die Kyphoplastie am ehesten. 
  • Das Risiko von Brüchen in den Anschlusssegmenten reduziert eine konservative Therapie am deutlichsten.

Bei passender Indikation sind Kypho­- und Vertebroplastie daher die einzig richtige Entscheidung für geriatrische Patienten mit Wirbelkörperfraktur, so Prof. Maus­ abschließend.

Das wollte Professor Dr. Markus­ Gosch­ von der Paracelsus­ Medizinischen Privatuniversität Klinikum Nürnberg so nicht stehen lassen. „Zement geht nicht immer dahin, wo er hin soll“, konterte er plastisch und begann seine Ausführungen mit eindrucksvollen Komplikationen der Kyphoplastie. Denn mitunter tritt der Zement aus dem Wirbelkörper aus, wandert in den Venenplexus und gelangt von dort als Zementembolie in die Lunge. Berichtet wurde vor wenigen Jahren auch von einer Zement­embolie, die den Herzbeutel durchstochen und eine Perikardtamponade ausgelöst hat. Das sind Risiken, über die man mit den Patienten reden muss, machte Prof. Gosch­ deutlich.

Über den Therapieeffekt der Kyphoplastie lasse sich gleichfalls diskutieren, meinte Prof. Gosch­ mit Blick auf den vorangegangenen Vortrag. Denn durch den Vergleich eines operativen Eingriffs mit der konservativen Behandlung sei eine Aussage über die Güte der speziellen Operation schlicht nicht möglich. Dafür müsste diese schon mit einer Scheinoperation verglichen werden – was man in der Tat bereits gemacht habe, wie der Referent berichtete: In einer Studie war das Outcome einer tatsächlich durchgeführten Vertebroplastie dem einer Scheinoperation gegenüber gestellt worden. 

Ein Unterschied bezüglich der Schmerzlinderung ließ sich in dieser Arbeit nicht zeigen, so der Experte. Im Gegenteil: Die Patienten, die per Vertebroplastie versorgt worden waren, hatten einen Monat nach dem Eingriff einen höheren Opioidbedarf als die Scheinoperierten. Unter kontrollierten Bedingungen ist ein Effekt der Kyphoplastie also nicht nachweisbar, schlussfolgerte Prof. Gosch­.

Seiner Erfahrung nach lindert die Operation nur selten die Schmerzen. „Wir müssen elf Patienten operieren, damit einer eine mäßige bis deutliche Schmerzreduktion erfährt. Bei den meisten muss die Schmerztherapie also fortgeführt werden.“ Oft geht es beim Wirbelkörperbruch auch ohne Operation, ist sich der Experte sicher. 

Doch welche Patienten sind denn nun für die Kyphoplastie geeignet? kam die Frage aus dem Publikum. Laut Prof. Gosch­ sind eher „die jüngeren Älteren“ geeignete Kandidaten für das Verfahren, also Patienten, die eine erste Fraktur als Erstmanifestation ihrer Osteoporose erlitten haben und noch relativ mobil sind. Prof. Maus nannte einige klinische Faktoren, die vorliegen sollten, etwa ein isolierter Klopfschmerz über dem betroffenen Wirbelkörper. Zudem funktioniert die Kypho­plastie nur bei frischer Fraktur, erklärte er. Lässt sich eine solche radiografisch nicht nachweisen, hilft die MRT weiter. Eindeutig zu alt für die Kyphoplastie ist eine Fraktur, bei der sich kein Knochenödem mehr findet.

Trotz unterschiedlicher Bewertung der Zementaugmentation gehen beide Experten in der Praxis ähnlich vor. Zunächst starten sie einen konservativen Therapieversuch, der bei Prof. Maus­ eine Woche, bei Prof. Gosch­ 14 Tage dauert. Fruchtet dies nicht, ziehen beide die Kyphoplastie in Betracht.

Kongressbericht: 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin