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Brustkrebs Ein modernes körperliches Training muss sitzen wie ein Anzug

DGS 2023 Autor: Mascha Pömmerl

Krebs Patient:innen sollten körperlich aktiv bleiben, denn durch körperliches Training kann vieles beeinflusst werden. Krebs Patient:innen sollten körperlich aktiv bleiben, denn durch körperliches Training kann vieles beeinflusst werden. © ivanko80 – stock.adobe.com
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Dass sich Patient:innen mit einer Tumorerkrankung – von einigen Ausnahmen abgesehen – nicht schonen, sondern ganz im Gegenteil körperlich aktiv bleiben bzw. werden sollten, ist mittlerweile bekannt. Doch wie umfangreich sollte die Bewegung ausfallen, wie wenig ist genug und welche Art von Training das Richtige?

„Der sedentäre Lebensstil führt zu pathophysiologischen Mechanismen und Tumorwachstum, durch körperliches Training kann jedoch vieles beeinflusst werden“, erklärte Univ.-Prof. Dr. ­Martin ­Halle, Technische Universität München.1 Zu den Mechanismen, die zu vorteilhaften Auswirkungen von Sport bei Krebspatient:innen führen, gehören

  • die Verbesserung der metabolischen Konstellation,
  • die Mobilisation von Immunzellen aus dem Knochenmark,
  • die erhöhte Expression von Antioxydanzien durch die Adaption auf repetitives Training und 
  • der positive Einfluss auf das Myokard. 

Letzteres sei besonders im Kontext der Prävention von Kardiotoxizität durch eine Anthrazyklintherapie von Bedeutung, betonte Prof. ­Halle. Man müsse sich vergegenwärtigen, dass Erkrankte mit Mammakarzinom in der Regel in beachtlichem Maße dekonditioniert sind. Über das gesamte Krankheitskontinuum hinweg werde eine deutliche Einschränkung der maximalen Sauerstoffaufnahme und damit der Leistungsfähigkeit beobachtet.2 „Im Prinzip haben wir 40-jährige Patient:innen, die mit gesunden 70-jährigen Personen vergleichbar sind“, resümierte Prof. ­Halle. Das liege auch daran, dass die Betroffenen viel mehr Einlagerungen von Fettgewebe in die Muskulatur aufweisen bzw. Muskelmasse verlieren.3

Hauptsache trainieren

Eine weitere randomisierte Studie untersuchte das Timing der Behandlung zur Verbesserung der kardiorespiratorischen Fitness von Patient:innen, die eine Chemotherapie begannen: besser während oder erst danach oder während und danach? Zwischen während und danach gab es keinen Unterschied, am besten war beides zusammen. „Und alles war besser als kein Training“, resümierte Prof. ­Halle.

Quelle:
Scott JM et al. Eur Heart J 2023; DOI: 10.1093/eurheartj/ehad085
 

Eine Studie aus dem Jahr 2022 ergab, dass 15–20 Minuten intensivere körperliche Aktivität (vigorous physical activity, VPA) – „bei der man etwas aus der Puste kommt“ – pro Woche die Mortalität jeglicher Ursache um 18–24 % verringern kann. Die optimale Dosis betrug 50–57 Minuten pro Woche. Zwei maximal zweiminütige Einheiten pro Tag verringerten die kardiovaskuläre Mortalität. Auch die Inzidenz an Tumorerkrankungen und die krebs-assoziierte Mortalität sanken durch VPA, Letztere um etwa zwei Drittel.4

„Es geht also darum, Patient:innen an eine intensivere Belastung heranzuführen, wohl wissend, dass deren maximale Belastung deutlich reduziert ist“, konstatierte Prof. ­Halle. Aus diesem Grund könnten die Betroffenen nicht einfach an normalen Sportgruppen teilnehmen, das wäre „kompletter Overkill“. Entscheidend sei, den Status quo zu erfassen und dann ein individuelles Training zu adaptieren. Dabei gehe es nicht um 30 Minuten pro Woche; schon 10 Minuten VPA pro Woche hatten in der Studie zu einer deutlichen Reduktion von Krebsinzidenz und krebsassoziierter Mortalität geführt. Prof. ­Halle: „Es geht darum, kurze körperlich Aktivität, also die Belastung der peripheren Muskulatur, zu induzieren. Wenn Sie Ihren Patient:innen sagen, eine Minute intensivere Kurzbelastung und das öfter pro Tag, dann sind Sie auf dem richtigen Weg.“

Wichtig im Zuge der Erstellung des individuell angepassten Trainings für Tumorerkrankte unter Therapie sei auch die Zielorientierung des Trainings. Will man Symptome wie Fatigue, die Leistungsfähigkeit oder die Prognose verbessern? Ein weiteres Ziel sei es, kardiovaskuläre Erkrankungen zu verhindern. Hier ergab eine große Studie, dass der Nutzen von körperlicher Aktivität umso größer war, je häufiger moderates bis intensiveres Training pro Woche ausgeführt wurde.5 Bei erhöhter Intensität könne die Dauer der körperlichen Aktivität kürzer sein, im Falle einer geringeren Intensität müsse länger trainiert werden. Zu viel dürfe es aber auch nicht sein, so Prof. Halle, denn für Krebspatient:innen sei „Regeneration absolut das A und O“. Optimal sei daher ein Training jeden zweiten Tag, also nicht zu versuchen, gegen Fatigue oder Abgeschlagenheit anzukämpfen.

Bewegungsroutinen einfühen

„Bei Anthrayzklinen sind Ärzt:innen mit körperlichem Training oft sehr vorsichtig“, konstatierte der Referent. Die in Australien durchgeführte randomisierte ­BREXIT-Studie untersuchte die Frage, ob zwölf Monate körperliches Training einen Funktionsverlust durch die Behandlung abmildern, die kardiorespiratorische Fitness verbessern und eine kardiale Dysfunktion verhindern kann.6 Die Studie verfolgte einen individualisierten Ansatz: Bekamen die Teilnehmenden die Chemotherapie, wurde die Intensität reduziert. Dasselbe galt, wenn Fatigue auftrat. Im Falle einer Kortisontherapie erhöhten die Autor:innen jedoch die Intensität. In der Kontrolle nahm über die zwölf Monate die kardiale pulmonale Leistungsfähigkeit ab, ebenso wie die Pumpfunktion des linken Ventrikels und die Koordination. In der Trainingsgruppe dagegen verbesserte sich die maximale Sauerstoffaufnahme sowie die Ejektionsfunktion des linken und rechten Ventrikels, die Funktionsparamater blieben gleich.

Abschließend betonte Prof. ­Halle wie wichtig es sei, auch Koordination und Muskelkraft zu trainieren. Dies lasse sich bereits durch sehr kurze Belastungen und kleine, täglich mehrmals wiederholte Übungen, wie vom Stuhl aufstehen, an der Wand frei sitzen oder mit geschlossenen Augen auf einem Beim stehen, erzielen. Diese Übungen sollten zwei Drittel des Trainings darstellen, das verbliebene Drittel sollte ein individualisiertes Ausdauertraining sein. Faustregel: Die Patient:innen müssen ein bisschen aus der Puste kommen. Als Beispiel nannte Prof. ­Halle fünf Minuten zügiges Gehen, dann Pause oder langsames Gehen, dann wieder fünf Minuten zügig gehen. 
Alle anwesenden Expert:innen waren sich einig, dass körperliches Training Standard und integraler Bestandteil onkologische Therapiekonzepte sein bzw. werden muss. Es gehe nicht mehr darum, ob Sport in die Versorgungsroutine müsse, sondern nur noch um das Wie.

Quellen:
1.    Halle M. 42. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Senologie; Symposium „Brustkrebs und körperliche Aktivität“
2.    Jones LW et al. J Clin Oncol 2012; 30: 2530-7; DOI: 10.1200/JCO.2011.39.9014
3.    Kirkham AA et al. Sci Rep 2021; 11:14005; DOI: 10.1038/s41598-021-93241-5
4.    Ahmadi MN et al. Eur Heart J 2022; 43: 4801-14; DOI: 10.1093/eurheartj/ehac572
5.    Kim KH et al. Breast Cancer Res Treat 2021; 188: 203-14; DOI: 10.1007/s10549-021-06140-8
6.    Foulkes SJ et al. Circulation 2023; 147: 532-545; DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.122.062814