
Gang verändert, Persönlichkeit auch Bunte neurologische Symptomatik stellte Behandelnde zunächst vor ein Rätsel

Eine 35-jährige Patientin stellte sich mit einer seit drei Jahren progredienten Gangstörung vor, die mehrfach zu Stürzen geführt hatte. Auch Persönlichkeitsveränderungen mit vermehrter Impulsivität und sexuellem Risikoverhalten waren ihrem Umfeld aufgefallen, schreiben Ärztinnen und Ärzte um Catarina Bernardes vom Universitätsklinikum Coimbra. Anamnestisch bestand seit sieben Jahren eine Harninkontinenz, die auf Anticholinergika nicht ansprach. Der dreijährige Sohn der Frau wurde aufgrund einer schweren motorischen Störung mit Spastik der unteren Extremitäten in einem pädiatrischen Zentrum betreut.
Bei der körperlichen Untersuchung der Patientin fiel ein Pes cavus auf. Sie zeigte sich kooperativ, agierte jedoch unaufmerksam und enthemmt. Im MoCA-Test (Montreal Cognitive Assessment) erreichte sie 18 von 30 Punkten mit Defiziten bei der Exekutivfunktion, Aufmerksamkeit, Sprache und Gedächtnis. Es fand sich eine beidseitige Optikusatrophie sowie eine Instabilität der Fixierung und Sakkaden. Andere Hirnnervenstörungen wurden nicht beobachtet, jedoch eine distal betonte symmetrische spastische Paraparese, eine globale Hyperreflexie, Störung des Vibrationsempfindens, positives Romberg-Zeichen und ein spastisches Gangbild.
Frontale und kortikospinale Dysfunktion als Ursache?
Insgesamt ließen die Ergebnisse an eine Dysfunktion des Frontalhirns, der Columna posterior und des Kortikospinaltrakts denken, schreibt das Team. Hinzu kam eine Beteiligung des N. opticus. Bei einem derart komplexen Syndrom einer jungen Frau sind viele mögliche Differenzialdiagnosen zu bedenken, weshalb eine umfangreiche Diagnostik erfolgte.
Die MRT-Ergebnisse von Hirn und Rückenmark waren unauffällig. Blut- und Liquorwerte zeigten eine aktive Syphilis-Infektion an, weshalb eine Therapie mit Benzylpenicillin i.v. eingeleitet wurde. Danach verbesserte sich der MoCA-Score um sieben Punkte, doch die weiteren Defizite blieben bestehen.
In den Folgemonaten war die Frau kognitiv stabil, aber die motorische Störung nahm zu. Das Team zog deshalb eine genetische Erkrankung in Betracht. Inzwischen wurde bei dem Sohn der Patientin ein zerebrales MRT durchgeführt, das Zeichen einer Leukenzephalopathie aufwies. Die frühe Manifestation beim Sohn und die später auftretenden Störungen der Mutter wiesen auf einen X-chromosomalen Erbgang hin. Dies lenkte den Verdacht auf eine Pelizaeus-Merzbacher-Erkrankung (PMD) bei Mutter und Kind, was sich in der genetischen Untersuchung bestätigte.
Die PMD ist eine sehr seltene X-chromosomal rezessiv vererbte Erkrankung, die zu einer Hypomyelinisierung des zentralen und (in geringerem Umfang) auch des peripheren Nervensystems führt. Sie betrifft überwiegend Männer, bei Frauen sind die Krankheitszeichen meist milder und treten später auf. Bei der portugiesischen Patientin hatte eine zusätzliche Neurosyphilis das klinische Bild beeinflusst.
Die PMD kann bisher nur symptomatisch behandelt werden. Neben einer urologischen Betreuung erhielt die Frau Physiotherapie und Muskelrelaxanzien. Dennoch wurde eine langsame Verschlechterung der kognitiven und motorischen Defizite beobachtet.
Quelle: Bernardes C et al. Neurology 2025; 104: e210252; DOI: 10.1212/WNL.0000000000210252