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Ungeschützter Sex Vermeintliche Riesenzellarteriitis entpuppte sich als okuläre Syphilis

Autor: Ulrike Viegener

Im Rahmen einer okulären Syphilis kann es zu Optikusatrophie und Chorioretinitis kommen. Im Rahmen einer okulären Syphilis kann es zu Optikusatrophie und Chorioretinitis kommen. © iStock/jarun011; Science Photo Library/Science Source
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Die Zahl der Syphilisfälle weltweit steigt. In Europa gilt vor allem Malta als Hotspot. Als ein älterer Mann mit Sehstörungen und der Verdachtsdiagnose Riesenzellarteriitis in einem dortigen Krankenhaus auftauchte, testeten die Kollegen daher auf Treponema pallidum. Die richtige Entscheidung, wie sich zeigte.

Angefangen hatten die Beschwerden des 67-jährigen Patienten mit Nebelsehen auf dem rechten Auge. Dann war die Sehstörung auf das linke Auge übergegangen. Der von ihm konsultierte Ophthalmologe hatte ihm hoch dosierte Glukokortikoide oral und intravenös verordnet, weil er eine Riesenzellarteriitis vermutet hatte. Ultraschall und Biopsie waren unauffällig geblieben. Doch der Sehverlust schritt weiter fort.

Auf Glukokortikoide sprach der Patient nicht an

Im Zuge einer aus anderen Gründen erforderlichen Klinikeinweisung wurden dann im Mater Dei Hospital, Msida, Malta, weitere Untersuchungen durchgeführt, berichten Annalisa Montebelle und ihre Kollegen. Das Nicht-Ansprechen auf Glukokortikoide sowie das Fehlen weiterer für die Riesenzellarteriitis typischen Symptome veranlassten die Ärzte, die ursprüngliche Diagnose zu überdenken. Es folgten weitere rheumatologische und ophthalmologische Tests sowie CT und MRT. Mittlerweile vermutete man eine Neuroretinitis infektiöser Genese. Das letztendlich ausschlaggebende Ergebnis lieferte die Lues-Serologie – mit einem IgM-Titer von 1:256. Auch die Liquoranalyse fiel positiv aus. Der Mann hatte keine Riesenzellarteriitis, er litt an einer okulären Syphilis.

Der Patient erhielt 4 Millionen Einheiten Benzylpenicillin i.v. alle vier Stunden über 14 Tage. Die Sehstörung auf dem linken Auge besserte sich unter der Therapie, auf dem rechten Auge blieb der Visus jedoch eingeschränkt.

Syphilis weltweit und in Europa

Die Syphilis ist weltweit auf dem Vormarsch. Die höchste Inzidenz innerhalb Europas gibt das European Centre for Disease Prevention and Control für Malta an. Angesichts der steigenden Fallzahlen sollte bei allen Patienten mit unklaren Augenerkrankungen – auch wenn sie nicht zu den typischen Risikogruppen zählen – eine Testung auf Syphilis erfolgen. Die okuläre Syphilis wird den Empfehlungen für Neurosyphilis entsprechend behandelt, wobei ein frühzeitiger Therapiebeginn entscheidend ist, um bleibende Sehverluste zu verhindern.

Die von den Ärzten vermutete infektiöse Neuroretinitis ist eine atypische Optikusneuritis, die sich mit Sehverlust, Papillenödem und peripapillären bzw. makulären harten Exsudaten manifestiert. Die Liste der infrage kommenden Erreger ist lang, wobei die Malteser Ärzte angesichts steigender Infektionszahlen auch Treponema pallidum auf dem Schirm hatten. Und sie lagen richtig, obwohl der heterosexuelle, HIV-negative Mann nicht zu den klassischen Risikogruppen zählte. Allerdings gab der Patient auf gezieltes Nachfragen hin an, mit unterschiedlichen Frauen – einschließlich einer Prostituierten – ungeschützt Sex gehabt zu haben. Ein genitales Ulkus sei ihm nicht aufgefallen. Erblindung ist möglich Eine Augenbeteiligung kann in jedem Stadium der Syphilis auftreten – egal ob mit ZNS-Beteiligung oder ohne, schreiben die Autoren. Jede Struktur des Auges kann befallen sein. Das Spektrum ophthalmologischer Befunde umfasst unter anderem Konjunktivitis, Uveitis, Vitritis oder Chorioretinitis. Unbehandelt drohen bleibende Sehverluste bis hin zur Erblindung.

Quelle: Montebello A et al. BMJ Case Rep 2021; 14: e242733; DOI: 10.1136/bcr-2021-242733