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Burnout: Neun Leitsätze für die Prävention bei medizinischem Personal

Autor: Antje Thiel

In helfenden Berufen ist die Gefahr, ein Burnout zu entwickeln, besonders ausgeprägt. In helfenden Berufen ist die Gefahr, ein Burnout zu entwickeln, besonders ausgeprägt. © iStock/wildpixel
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Zu hohe oder falsche Erwartungen an sich und andere tragen zu Stress und Burnout in medizinischen Berufen bei. Dies zu reflektieren, kann helfen, den Umgang mit Diabetespatienten zu erleichtern.

Zu den Berufsgruppen mit den höchsten Burnoutraten zählen Angehörige der sozialen und helfenden Berufe. „In diesen Jobs kommt man anderen Menschen sehr nahe und damit steigt die Gefahr, dass man deren Probleme mit nach Hause nimmt“, erklärte Professor Dr. Dipl.-Psych. ­Bernhard Kulzer, Dia­betes-Klinik Bad Mergentheim. Dieses Problem kennt auch Dipl.-Psych. ­Susan ­Clever, Fachpsychologin DDG in Hamburg. Sie behandelt neben Menschen mit Diabetes auch Mitglieder von Diabetesteams, die sich im Job überfordert und ausgebrannt fühlen. Die Expertin stellte neun Leitsätze aus ihrer persönlichen Erfahrung vor, die den Umgang mit Patienten erleichtern können.

1. Menschen mögen weder „abgeholt“ noch „laufen gelassen“ werden.

Ärzte und Diabetesberaterinnen suchten oft nach Tricks, wie sie ihre Patienten „knacken“ und damit zu einem anderen Verhalten bewegen können. „Dabei wollen Patienten meist nirgendwo anders hin und wünschen sich erst einmal jemanden, der sich neben sie setzt“, so Clever.

2. Je absurder der Auftrag, desto gruseliger der Beratungsprozess.

Manchmal werden Patienten mit absurden Erwartungen überwiesen: „Wenn der Auftrag lautet ‚Der wiegt 130 Kilo, bitte dringend verschlanken!’, dann kann es nur gruselig werden“, erklärte Clever.

3. Die Frage „Wie geht es Ihnen?“ kann der Anfang einer sehr langen, unglücklichen Beziehung sein.

Manche Menschen bringt eine so offene Frage ins Reden. Sie freuen sich, dass die Diabetesberaterin zuhört – auch wenn sie nicht über ihren Diabetes sprechen. „So etwas ufert schnell aus zu einer hobbypsychologischen Sitzung“, warnte ­Clever. Ihr Tipp: Zu Beginn des Termins vereinbaren, über was heute gesprochen werden soll – und da­ran erinnern, wenn der Patient vom Thema abschweift.

4. „Motivieren“ ist wissenschaftlich betrachtet Unsinn und verschwendet Zeit.

In allen Leitlinien ist zwar davon die Rede, dass Patienten zu einem gesünderen Lebensstil motiviert werden sollen, doch es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass Menschen andere motivieren können. „Niemand kann erklären, was das auf Verhaltensebene bedeutet. Es funktioniert nicht, lassen Sie es also einfach bleiben“, riet Clever. „Natürlich gibt es Eigenmotivation. Doch man kann nicht durch bestimmte Techniken Menschen zu etwas motivieren, das sie nicht wollen.

5. Wenn Sie die Rückenlehne Ihres Stuhls nicht spüren, ist es meist ein schlechtes Zeichen.

„Wenn man sich nach vorn beugt, um dem Patienten besser zuzuhören, nimmt das Gespräch selten einen guten Verlauf“, so Clevers persönliche Beobachtung. Ihr Rat: zurücklehnen und eine entspannte Körperhaltung einnehmen.

6. „Engmaschiges Einbestellen“ ist nur sinnvoll bei der Umstellung auf eine neue Therapie.

Ein junger Mann, der seinen Typ-1-Diabetes mangels Interesse gerade schleifen lässt, wird kaum stabilere Glukosewerte aufweisen, nur weil er häufiger in der Praxis erscheinen muss, so Clever.

7. Patienten lügen aus Angst und Liebe.

„Wenn Patienten lügen, dann gelingt ihnen der gewünschte Therapieschritt nicht, sie wollen aber ihre Beziehung zu Ihnen nicht aufs Spiel setzen“, erklärte Clever. Wenn jemand kurz vor dem Termin sein Blutzuckertagebuch fälsche, dann sei das kein Verrat, sondern ein Liebesbeweis.

8. Die tatsächlichen Ressourcen des Patienten sind kleiner als die gefühlten.

Diabetesprofis neigten häufig dazu, die Möglichkeiten ihrer Patienten zu überschätzen. „Insbesondere wenn uns jemand sympathisch ist, glauben wir, dass dieser Mensch unsere Ratschläge beherzigen wird“, sagte Clever. Die eigenen Erwartungen herunterzuschrauben, kann vor Enttäuschungen schützen.

9. Einige Probleme sind nicht lösbar.

„Ein Gefühl von Hilflosigkeit ist ein wichtiger diagnostischer Hinweis“, erklärte Clever abschließend, „und wenn Sie sich hilflos fühlen, liegt es nicht an mangelnder Kompetenz, sondern daran, dass auch der Patient hilflos ist.“

Wer reagiert wie?

Jedes (Praxis-)Team besteht aus Persönlichkeiten, die in ihren verschiedenen Rollen mal besser und mal schlechter interagieren, so Nadine Jänisch, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Gießen. Anhand von vier archetypischen Tieren zeigte sie, was die unterschiedlichen Typen antreibt. „Wer burnoutgefährdet ist, sollte versuchen, seine anderen Persönlichkeitsanteile zu stärken“, riet Jänisch.
  • Der Elefant ist ein Mensch mit großem Herz und ausgeprägtem Helfersyndrom, der den Patienten am liebsten alles abnehmen würde. Um nicht auszubrennen, muss er lernen, dass er nicht allen helfen kann.
  • Das Erdmännchen ist ein extrovertierter Entertainer, der schnell Zugang zu anderen findet. Dieser Typ geht an Langeweile und Routine zugrunde – denn auch ein zu enges Korsett kann Menschen ausbrennen.
  • Der Kakadu ist ein Faktenmensch, der klare Strukturen und Ordnung schätzt. In Diabetespraxen glänzt er durch perfekte Dokumentation und Kenntnis sämtlicher Leitlinien. Sein Zeitmanagement scheitert oft an Gewissenhaftigkeit – das bedeutet Stress.
  • Der Löwe ist ein ehrgeiziger Alphatyp, der wettbewerbsorientiert denkt und sich in einer besonderen Rolle oder Leitungsfunktion wohlfühlt. Er brennt aus, wenn sein Kampf für die gemeinsame Sache nicht gewürdigt wird.

Kongressbericht: DDG Herbsttagung 2019