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Chronisches Kompartmentsyndrom steckt oft hinter belastungsabhängigen Unterschenkelschmerzen

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Das chronische Kompartmentsyndrom ist kaum bekannt und unterdiagnostiziert. Das chronische Kompartmentsyndrom ist kaum bekannt und unterdiagnostiziert. © iStock/PeopleImages
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Unterschenkelschmerzen beim Training machen Sportlern aller Leistungsstufen zu schaffen. Um den diffusen Beschwerden auf den Grund zu gehen, müssen Sie eine breite Differenzialdiagnostik betreiben.

Ein Patient kommt in Ihre Sprechstunde und klagt über Schmerzen im Unterschenkel, die regelmäßig nach einigen Minuten der Belastung auftreten. In Ruhe verschwinden sie wieder. Da ist die Differenzialdiagnose ein weites Feld. Am häufigsten liegt ein chronisches Kompartmentsyndrom zugrunde, erklären Privatdozent Dr. Patrick Vavken von der Alphaclinic Zürich und seine Kollegen. Es macht nahezu die Hälfte solcher Fälle aus. Dennoch ist es relativ unbekannt und unterdiagnostiziert.

Abklopfen und auf Schwellungen achten

Entscheidend ist, das Kompartmentsyndrom überhaupt auf dem Schirm zu haben. Denn bei Unterschenkelschmerzen gehen einem zunächst mal jede Menge anderer Ursachen durch den Kopf. Einige davon lassen sich schon mit Anamnese und körperlicher Untersuchung recht einfach ausschließen.

  • Bei einer tiefen Beinvenenthrombose, falls sie überhaupt Symptome verur­sacht, fällt eine Schwellung des betroffenen Beins auf, die deutlichen Druckschmerz zeigt.
  • Bei einer Stressfraktur geben die Kranken Schmerzen an, wenn Sie den sensiblen Bereich abklopfen. Dazu kommen Biegeschmerzen und ein axialer Stauchungsschmerz. Liegt der Fraktur eine „Female Athlete Triad“ zugrunde, sehen Sie das den untergewichtigen Frauen oft schon an. Bei der Anamnese berichten sie über eine sekundäre Amenorrhö.
  • Ein Patellakompressionssyndrom tritt weniger bei Belastung, sondern eher bei längerem Sitzen mit gebeugten Kniegelenken auf. Außerdem liegt der Schmerz meist im vorderen Bereich über dem Knie, nicht im Unterschenkel.
  • Beim Schienbeinkantensyndrom, auch als tibiales Stresssyndrom bekannt, verstärken sich die Beschwerden, wenn die Betroffenen das obere Sprunggelenk gegen Widerstand bewegen sollen.
  • Eine Tendinitis schmerzt vor allem über der Sehne selbst, weniger in der Muskulatur. Allerdings verstärken sich auch hier die Symptome bei Belastung.
  • Bei Nervenwurzelkompressionen gesellen sich zu den Unterschenkelschmerzen oft über der Wirbelsäule lokalisierte Schmerzen. Dazu kommt ein primärer Kraftverlust. Provokationstests, z.B. nach Lasègue, fallen positiv aus. Im Allgemeinen finden Sie in der orientierenden neurologischen Untersuchung auch Dysästhesien oder Anästhesien. Wie bei peripheren Nervenkompressionen beschränken sich die Beschwerden auf den Versorgungsbereich des Nervs bzw. der Wurzel.
  • Schließlich sollten Sie auch an eine Gefäßkompression der A. poplitea in der Kniekehle denken, etwa durch anatomische Varianten der Blutgefäße oder der Muskeln. Bei einem bis drei von hundert Patienten ist dies die Ursache belastungsabhängiger Unterschenkelschmerzen. Die Symptome ähneln oft denen beim chronischen Kompartmentsyndrom und setzen kurz nach Beginn einer Belastung ein. Lassen Sie den Patienten das Knie strecken und den Fuß beugen. Dabei fällt auf, dass die Fußpulse schwächer werden.
Ausschlussdiagnostik beim chronischen Kompartmentsyndrom
Differenzialdiagnose
Untersuchungsverfahren
StressfrakturRöntgen, MRT, Szintigramm zur Erkennung von Frühzeichen einer chronischen Überlastung
SchienbeinkantensyndromMRT, Szintigraphie
periphere NervenkompressionElektrophysiologie (Messung von Nervenleit­geschwindigkeit, Elektromyogramm)
NervenwurzelkompressionMRT
TendinitisMRT
GefäßkompressionKnöchel-Arm-Index, MRT mit Kontrastmittel, Angiographie

Für die Diagnostik des chronischen Kompartmentsyndroms gilt als Goldstandard die Druckmessung in allen vier Unterschenkelkompartimenten bei Muskelbelastung.

Die Therapie erfolgt primär konservativ

Dabei fällt schon in Ruhe ein erhöhter Druck auf (≥ 15 mmHg), der bei muskulärer Anstrengung nach einer Minute deutlich ansteigt (≥ 30 mmHg) und nach fünf Minuten wieder abgesunken ist, wenn auch noch nicht auf den Ausgangswert (≥ 20 mmHg).

Die Behandlung des chronischen Kompartmentsyndroms ist primär konservativ. Wenn das nicht hilft, steht die Überweisung zum Chir­urgen an. Der wird eine Fasziotomie durchführen. Und das womöglich in allen Kompartimenten, nicht nur im betroffenen, um einem Rezidiv vorzubeugen.

Quelle: Vavken P et al. Swiss Med Forum 2019; 19: 781-785; DOI: 10.4414/smf.2019.08303