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Cushing-Syndrom beeinträchtigt Psyche und Gedächtnis

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Auch nach der Ent­fernung des Nebennierentumors leiden viele noch unter psychischen Symptomen. Auch nach der Ent­fernung des Nebennierentumors leiden viele noch unter psychischen Symptomen. © Science Photo Library/CNRI
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Einen Morbus Cushing bringt man meist mit Symptomen wie Vollmondgesicht, Stiernacken, gestörtem Glukosestoffwechsel und Osteoporose in Verbindung. Beschwerden aus dem psychiatrischen Spektrum dagegen geraten oft in Vergessenheit. Ein schwerer Fehler.

Psychische Symptome und kognitive Störungen stellen nicht nur häufige Beschwerden bei einem Morbus Cushing dar. Sie gehören auch zu den Symptomen, die die Patienten mit am stärksten belasten, schreiben Autoren um die Endokrinologin Dr. Marta­ Piasecka­ vom Sahlgrenska University Hospital in Göteborg. Wenig überraschend also, dass Betroffene ihre Lebensqualität insgesamt als schlecht bezeichnen.

Oftmals kommen affektive Störungen wie Depressionen und pathologische Ängste vor. Mehr als die Hälfte der Patienten bzw. rund jeder Zehnte berichtet entsprechende Symptome, auch wenn die Zahlen in den einzelnen Studien etwas variieren. Manien und Psychosen finden sich dagegen seltener.

Betrachtet man den Langzeitverlauf, nehmen die psychopathologischen Auffälligkeiten nach einer erfolgreichen Therapie zwar ab. Aber nicht immer verschwinden diese vollständig. Etwa ein Viertel der Behandelten wies noch zwölf Monate später anhaltende Beeinträchtigungen auf. Sogar nach über zehn Jahren finden sich noch Symptome. In einer Studien beispielsweise hatten Forscher remittierte Patienten mit gesunden Kontrollen verglichen. Erstere waren apathischer, ließen sich leichter reizen und waren ängstlicher. Gleiches zeigte sich im Vergleich zu Personen mit nicht-endokrinologisch aktiven Hypophysenadenomen.

MRT offenbart Veränderungen im Gehirn

Anatomische Korrelate der psychiatrischen Auffälligkeiten zeigt die MRT des Gehirns: Man sieht beispielsweise, dass bestimmte Hirnregionen, die an Gedächtnis und Affekt mitwirken, bei Cushing-Patienten verkleinert sind, wie Hippocampus und Teile des Frontallappens. Analog zu den Symptomen können die anatomischen Veränderungen nach Entfernung des Adenoms persistieren. Auch MRT-Aufnahmen „unter Belastung“, also beim Lösen verschiedener Aufgaben, zeigen abweichende Kommunikationsmuster einschlägiger Hirnregionen, z.B. im limbischen System, im präfrontalen Kortex und im Temporallappen. Läsionen finden sich zudem in der weißen Substanz als Hinweis auf eine Demyelinisierung. Die Veränderungen ähneln dabei denen, die man bei älteren Patienten mit kognitiven Defiziten findet.

In diesem Kontext darf man keinesfalls die erhöhte Suizidgefahr verkennen, mahnen die Autoren. In einer epidemiologischen Studie gingen 5 % der Todesfälle von Cushing-Patienten auf Selbsttötung zurück. Daher sollten die behandelnden Ärzte unbedingt deren psychische Verfassung überwachen. Auch noch Jahre nach abgeschlossener Therapie. Aufseiten der kognitiven Funktionen scheint besonders das Gedächtnis infolge eines Cushings zu leiden. Hinzukommen Störungen der räumlichen Wahrnehmung, der exekutiven Funktionen und der Aufmerksamkeit. Allerdings streiten Wissenschaftler darüber, ob sich die Ausfälle zurückbilden, wenn der verantwortliche Tumor ausgeschaltet wurde. Einige Arbeiten sprechen dafür, andere dagegen. Insomnien und andere Schlafstörungen wurden bei der Erkrankung zwar schon lange beschrieben. Ob und wie stark die Schlafqualität der Patienten leidet, ist jedoch noch weitgehend unklar. Zumindest scheint es nicht „nur“ zu häufigem nächtlichem Erwachen und kürzeren REM-Schlaf-Zeiten zu kommen, sondern auch zu ganz substanziellen Störungen. Patienten mit Morbus Cushing sind meist häufiger von obstruktiven Schlafapnoen betroffen als Gesunde, was nicht nur am oft erhöhten BMI liegt. Warum aber bleiben viele dieser Symptome bestehen, wenn der verantwortliche Tumor längst entfernt wurde? Am ehesten liegt das wohl an der direkten neurotoxischen Wirkung hoher Kortisolkonzentrationen, vermuten die Autoren. Dafür spricht, dass bei längerer Erkrankungsdauer – also längerer Kortisolwirkung – stärkere strukturelle Schäden im Gehirn auftreten, von ausgeprägteren Depressionssymptomen und einer schlechteren Lebensqualität berichtet wird. Dieser Zusammenhang scheint unabhängig von der Herkunft des Stresshormons, denn er fand sich sowohl für Hypophysenadenome als auch für Nebennierentumoren mit Kortisolexzess­.

Neben neurotoxischen auch genetische Ursachen vermutet

Schließlich haben mittlerweile auch genetische und epigenetische Faktoren die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gezogen. Mutationen oder Methylierungen der verantwortlichen Gene können die Aktivitäten der Glukokortikoid- und Mineralokortikoid-Rezeptoren verändern, die ihrerseits die Wirkung der Hormone im Gehirn vermitteln. Derzeit besteht noch erheblicher Forschungsbedarf, denn die bisherigen Untersuchungen dazu fanden vor allem an kleinen Gruppen für relativ kurze Zeit statt, schließen die Autoren.

Quelle: Piasecka M et al. J Intern Med 2020; DOI: 10.1111/joim.13056