Anzeige

Das Liebesleben von Patienten ist auch Hausarztsache

Autor: Maria Fett

Luststörungen – ein Fall für den Hausarzt? Ja, denn sie entstehen nicht nur durch alltägliche Stressoren, sondern auch durch Erkrankungen und Nebenwirkungen. Luststörungen – ein Fall für den Hausarzt? Ja, denn sie entstehen nicht nur durch alltägliche Stressoren, sondern auch durch Erkrankungen und Nebenwirkungen. © motortion – stock.adobe.com
Anzeige

Neben Gynäkologen und Urologen sind es die Hausärzte, die bei Luststörungen als Erstes angesprochen werden. Oft können sie vielen Patienten schon mit einer offenen Einstellung und dem richtigen Umgang weiterhelfen, denn nicht immer stecken organische Ursachen dahinter.

Wo am Anfang Neugierde und Verliebtheit standen, kehren nach Jahren der Partnerschaft oft Alltagstrott und Routine ein. So ist es nur natürlich, dass Paare im Verlauf einer Beziehung seltener miteinander schlafen. Kritisch kann es allerdings werden, wenn sich neben der Frequenz auch die Qualität verändert.

Müssen sich Hausärzte nun generell um die „Bettgeschichten“ ihrer Patienten kümmern? Wird die Lust nicht zum Frust, ist in der Regel nichts zu tun, beruhigte Professor Dr. Uwe­ Hartmann­ von der Medizinischen Hochschule Hannover. Allerdings gehören Luststörungen, sprich Störungen des sexuellen Interesses und der Erregbarkeit, zu den verbreitetsten Sexualstörungen in der Allgemeinarztpraxis und sind mit vielen organischen und psychischen Krankheiten assoziiert. Zudem trägt die sexuelle Gesundheit zentral zur Lebensqualität eines Menschen bei. Und genau an dieser Stelle kommt Hausärzten eine Schlüsselrolle zu – sind sie es doch, die nach Gynäkologen und Urologen am häufigsten von Patienten angesprochen werden.

Dabei hängen Beratung und Behandlung entscheidend von der Einstellung des Arztes ab, betonte Prof. Hartmann. „Patienten haben hier sehr feine Antennen und bemerken einen ‚falschen‘ Tonfall oder ein Herunterspielen des Problems sofort.“ Wenn sich Betroffene trauen, dieses sensible und intime Thema bei ihrem Hausarzt anzusprechen, sollte dieser den subjektiven Leidensdruck auch ernst nehmen. Indem er offen und unvoreingenommen mit ihnen redet, ggf. sogar eine Weile schweigt und den Patienten damit aus einer quälenden Sprachlosigkeit hilft, macht er den ersten wichtigen Schritt zu einer adäquaten Therapie. Um also nicht mit gut gemeinten, aber wenig zuträglichen Ratschlägen à la „Entspannen Sie sich“, „Legen Sie eine Sexpause ein“, „Trinken Sie doch ein Gläschen Sekt vorher“ zu irritieren, ist es wichtig zu verstehen, wie es zu dem verminderten sexuellen Interesse kommt (s. Tabelle). Neben den Stressoren des Alltags sieht Prof. Hartmann „Enttäuschung als Hauptlustkiller, aus dem die Patienten allein oft nicht mehr herauskommen“. Aus Angst, den oder die Liebste/n zu verletzen und so die Harmonie zu stören, spricht man/frau die fehlende Befriedigung nicht an. Es wird sozusagen „ertragen“, was die Abwärts­spirale immer weiter antreibt.

Auf Ursachensuche
mögliche auslösende Stressoren sexueller Probleme
chronifizierende Faktoren

 

  • Geburt der Kinder
  • Hochzeit, Scheidung
  • Trauer, Depressionen
  • Medikamente wie Antidepressiva
  • Verlust der Arbeit
  • Affären
  • traumatische sexuelle ­Erfahrungen
  • Streit mit dem/der Partner/in

 

  • Angst zu versagen
  • Schuldgefühle
  • Konflikte mit dem/der Partner/in
  • unzureichende sexuelle Stimulation
  • psychische Erkrankungen
  • Angst vor Intimität
  • mangelnde/schlechte ­Kommunikation
  • Verlust der sexuellen Anziehung

Unbedingt auf die eigene Mimik und Gestik achten

Stärker als bei Männern ist die Sexualität der Frau mit psychischen und partnerschaftlichen Variablen verwoben, führte der Psychologe aus (s. Kasten). Gar nicht so selten fühlen sich Frauen unwohl in und mit ihrem Körper, beispielsweise im Zuge einer Schwangerschaft, was ihre Lust auf Sex erheblich dämpft. Zudem überdauern Veränderungen dann häufig die betreuungsintensive Kleinkindphase, wodurch es Paare nicht immer schaffen, ihre frühere Sexualität wiederzubeleben. Enttäuschungen und Kränkungen inklusive.

Was erhofft man sich vom Sex?

Ein vergleichsweise neuer Zugang zum Verständnis von Luststörungen befasst sich mit den Motiven, die dazu führen, dass eine Person sexuelle Aktivitäten anstrebt bzw. empfänglich dafür ist. Anders als so manches Klischee sind für „sie“ emotionale und körperliche Aspekte wichtig: Frauen suchen neben Zuneigung, Nähe und Intimität im gleichem Maße Orgasmus und Befriedigung. In einer Untersuchung mit 66 jungen Paaren (durchschnittlich 28,4–30,9 Jahre alt) zeigte sich,
  • dass bei Frauen die sexuelle Lust davon abhing, wie zufrieden und verbunden sie sich ihrem Partner gegenüber gefühlt haben – direkt an dem Tag sowie am Vortag. Allerdings bestimmte auch das sexuelle Funktionsniveau des Partners, ob das Verlangen zu Aktivität führte.
  • dass das sexuelle Verlangen der Männer weniger an den Rahmenbedingungen, sondern v. a. vom sexuellen Funktionsniveau beider Partner abhing.

Indem Ärzte ihren Patienten „Brücken bauen“, sie aktiv auf ihre sexuelle Gesundheit ansprechen, können sie den Einstieg in ein solches Gespräch erleichtern. Um auf eventuelle Probleme zu stoßen, kann man sie z.B. nach der sexuellen Aktivität der letzten sechs Monate oder konkret aufgetretenen Problemen fragen. Das Vertrauen in den Arzt ist dabei wichtig, um die notwendigen Informationen zu erhalten. Statistisch gesehen sprechen Patienten solche Probleme im Normalfall nur gegenüber einem Kollegen an. Daher sollte man unbedingt auf die eigene Mimik und Gestik achten sowie Anteilnahme und Kompetenz zu signalisieren. Scham aufseiten der Patienten lässt sich abbauen, indem die Bedeutung der sexuellen Gesundheit erklärt wird. Nicht für jedes Problem muss sofort eine schnelle Lösung her, gab Prof. Hartmann seinen Zuhörern abschließend mit. Wie andere psychosomatische Leiden lassen sich Luststörungen oft nur schwer angehen. Auch sollten Ärzte zu jeder Zeit die professionelle Distanz wahren, sich nicht unter Druck setzen lassen und den zeitlichen Rahmen der Sprechstunde zu weit dehnen. Denn sexuelle Probleme sind in den seltensten Fällen akut.

Kongressbericht: 14. Allgemeinmedizin-Update-Seminar

Sprechen Betroffene ihre Probleme nicht von sich aus an, weisen unter Umständen subtile Hinweise oder aber eine Erkrankung auf sexuelle Störungen hin. Dabei haben Haus­ärzte oft mehrere Asse im Ärmel­:
  • Sie kennen den Patienten und dessen Lebensumstände meist schon länger.
  • Informationen zur Krankengeschichte laufen oft bei ihnen zusammen. Daher können sie somatische und psychische Auslöser besser einschätzen.
  • In einem ausgeglichenen Arzt-Patienten-Verhältnis verfügen sie über eine produktive Kommunikationsbasis, die als wichtiger kurativer Faktor dient.

Keine Lust als Nebenwirkung

Eine verminderte Libido aufgrund von Nebenwirkungen ist einer der Hauptgründe, warum Patienten Medikamente eigenmächtig absetzen oder die Dosis reduzieren. Dem Arzt gegenüber angesprochen, wird dies jedoch oft nicht. Nachfragen schadet daher in keinem Fall.