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Interview mit Prof. Dr. Volkmar Müller SABCS 2022 aus Expertensicht 

SABCS 2022 Autor: Birgit-Kristin Pohlmann

Prof. Dr. Volkmar Müller spricht in einem Interview über die vorgestellten Studienergebnisse des diesjährigen San Antonio Breast Cancer Symposium. Prof. Dr. Volkmar Müller spricht in einem Interview über die vorgestellten Studienergebnisse des diesjährigen San Antonio Breast Cancer Symposium. © Dmitry Kovalchuk – stock.adobe.com
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Anfang Dezember fand das San Antonio Breast Cancer Symposium statt. Welche Studien dort vorgestellt wurden und wie die Ergebnisse die tägliche Praxis beeinflussen könnten, haben wir Prof. Dr. Volkmar Müller, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, gefragt.

Gab es für Sie ein persönliches Highlight auf dem diesjährigen San Antonio Breast Cancer Symposium? 

Prof. Dr. Volkmar Müller: Für mich gehörten die Daten der RIGHT-Choice-Studie beim HR+/HER2- metastasierten Mammakarzinom (MBC) zu den wichtigsten Daten für den klinischen Alltag. Sie bekräftigen den First-Line-Einsatz der endokrinbasierten Therapie mit einem CDK4/6-Inhibitor – in diesem Fall Ribociclib – erstmals im direkten Vergleich mit einer First-Line-Chemotherapie bei Hochrisiko-Patient:innen, die oftmals nicht in klinischen Studien vertreten sind – unter anderem jene mit rasch progredienter Metastasierung und viszeraler Krise. 

Zwar handelt es sich nur um eine randomisierte Phase-2-Studie, aber die Daten untermauern, dass die allermeisten Patient:innen mit HR+/HER2- MBC in der Erstlinie mit einer endokrinbasierten Therapie besser behandelt sind als mit einer Chemo. Kandidaten für eine Chemotherapie sind nur noch Patient:innen mit Organausfall und ggf. jene, die keine Tabletten schlucken können.

Viel diskutiert ist die Frage, wie Patient:innen mit HR+/HER2- MBC nach Versagen einer endokrinbasierten Erstlinie mit einem CDK4/6-Inhibitor weiter behandelt werden sollten. Welches Potenzial sehen Sie in dem AKT-Inhibitor Capivasertib in Kombination mit Fulvestrant? 

Prof. Müller: Capivasertib ist eine vielversprechende Substanz mit relativ günstigem Nebenwirkungsspek­trum. Allerdings sind die Überlebensdaten noch nicht reif, zeigen aber einen klaren Trend. Interessant ist, dass nicht nur die AKT-alterierten Patient:innen profitierten, sondern auch die Gesamtpopulation. Also auch diejenigen ohne AKT-Alteration. Capivasertib bietet somit die Hoffnung auf weitere effektive Kombinationstherapien nach CDK4/6-Inhibition. Nachdem Alpelisib in Deutschland nicht mehr auf dem Markt ist, könnte die AKT-Inhibition eine therapeutische Lücke füllen. 

Positive Studiendaten gab es beim HR+/HER2- MBC zu den oralen SERD. Insgesamt ist die Studienlage jedoch durchwachsen. Welche Per-spektive haben diese nach CDK4/6-Inhibition?

Prof. Müller: Die aktuellen positiven Studien sind ermutigend, ändern aber nichts Grundlegendes an der Gesamtsituation. Das optimale Setting der Substanzen ist meines Erachtens weiterhin unklar. Zu hinterfragen ist, ob die oralen SERD als Monotherapie nach CDK4/6-Inhibition tatsächlich eine optimale Option sind. Ich sehe zwei Entwicklungsrichtungen: Die Kombinationstherapie mit einem CDK4/6-Inhibitor als First-Line-Therapie und die Kombination mit neuen Substanzen, zum Beispiel der AKT-Inhibition, nach CDK4/6-Inhibition. Möglicherweise sind die oralen SERD auch eine Option beim frühen Mammakarzinom.

Gilt das auch für Patient:innen mit ESR1-Mutation oder jene, die sehr lange auf die CDK4/6-basierte Erstlinientherapie angesprochen haben?

Prof. Müller: Das ist unklar. Die Pati-ent:innen mit langer CDK4/6-Inhibitor-Vortherapie sind ein klinisch relevantes Kollektiv, sind aber eine Subgruppe der ESR1-mutierten Subgruppe. Vermutlich begünstigt der Östrogenentzug unter Aromatase­inhibition ESR1-Mutationen, bei denen der Östrogenrezeptor ohne Östrogen aktiv ist. Die oralen SERD und PROTAC haben hier Vorteile gegenüber Fulvestrant, da sie den Östrogenrezeptor stärker herunter-regulieren und zuverlässiger eine konstitutive Aktivierung (ohne Liganden) verhindern. 

Ein großes Thema waren die Antikörper-Drugs-Konjugate – unter anderem mit den beeindruckenden Wirksamkeitsvorteilen für Trastuzumab-Deruxtecan in der DESTINY-Breast03- und -02-Studie. 

Prof. Müller: Insgesamt sind das sehr konsistente Daten mit einem jeweils beeindruckenden Gesamtüberlebensvorteil zugunsten von T-DXd. Das gilt auch für die ­DESTINY-Breast02-Studie, die sogar in den fortgeschrittenen Therapielinien nach intensiver Vorbehandlung noch einen signifikanten und klinisch relevanten medianen Überlebensvorteil gezeigt hat. Aber grundsätzlich gilt: Je früher eine wirksame Substanz eingesetzt wird, desto stärker profitieren die Patient:innen. Die Daten beider Studien unterstreichen also die Wirksamkeit der Substanz und bekräftigen T-DXd als Zweitlinienstandard beim HER2+ MBC.

Aktuelle Subgruppenauswertungen aus der DESTINY-Breast04-Studie untermauern die Wirksamkeit von T-DXd beim HER2low MBC unabhängig vom HR-Status und nach CDK4/6-Inhibitorversagen. Ist T-DXd beim HR+/HER2low MBC eine Perspektive nach CDK4/6-Inhibition? 

Prof. Müller: Die US-amerikanische Zulassung für das HER2low MBC liegt vor, ebenso ein positives Votum des CHMP (Committee for Medicinal Products for Human Use) für eine europäische Zulassung. Die europäische Zulassung wird also auch kommen. Leider lehnen viele Kassen derzeit die Kostenübernahmeanträge aus nicht nachvollziehbaren Gründen ab. Die Datenlage ist für Patient:innen, die die Einschlusskriterien der DESTINY-Breast04-Studie erfüllen, eindeutig und rechtfertigt den Off-Label-Einsatz beim HER2low MBC unabhängig vom HR-Status. Übrigens: Die DEBBRAH-Studie zeigt, dass T-DXd beim HER2low MBC auch intrakranial wirkt. 

Welche Perspektive sehen Sie für Sacituzumab-Govitecan beim HR+/HER2- MBC? Hier bestätigt eine Subgruppenauswertung der TROPiCS-02-Studie, dass Trop2 kein prädiktiver Marker für den Einsatz von Sacituzumab-Govitecan ist.

Prof. Müller: Beim metastasierten triple-negativen Mammakarzinom, wo Sacituzumab-Govitecan derzeit zugelassen ist, gab es vergleichbare Daten. Auch Patient:innen mit niedriger Trop2-Expression können von Sacituzumab-Govitecan profitieren, weshalb eine Trop2-Bestimmung vor Therapiebeginn nicht notwendig ist. Sacituzumab-Govitecan ist beim HR+/HER- MBC eine vielversprechende Substanz und ebenfalls eine potenzielle Option nach CDK4/6-Inhibition.

Wie sicher und valide sind die Daten der POSITIVE-Studie, wonach junge Patient:innen mit HR+/HER2- frühem Mammakarzinom die adjuvante endokrine Therapie unterbrechen können, um schwanger zu werden und ein gesundes Kind zur Welt zu bringen?

Prof. Müller: Das ist eine wichtige Studie, die im Rahmen des Möglichen demonstriert, dass eine prämenopausale Patientin mit Kinderwunsch die adjuvante endokrine Therapie im Einzelfall unterbrechen kann. Es sollte aber nicht der Eindruck entstehen, dass dies völlig unproblematisch ist. Unter anderem ist zu beachten, dass das historische Vergleichskollektiv aus einer Studie stammt, die 15 Jahre alt ist. Möglicherweise hätten diese Patientinnen heute ein besseres Outcome. 

Die Patientinnen sollten darüber aufgeklärt werden und wissen, dass es keine absolute Garantie gibt. Die Daten sollten uns aber bestärken, mit den Betroffenen über fertilitätserhaltende Maßnahmen zu sprechen. Unter bestimmten Rahmenbedingungen ist es meines Erachtens vertretbar, eine endokrine Therapie für eine Schwangerschaft zu unterbrechen. 

Die Vier-Jahres-Daten der monarchE-Studie haben die Wirksamkeitsvorteile von Abemaciclib beim frühen HR+/HER2- Mammakarzinom bestätigt. Welche Patient:innen sollten zusätzlich zur adjuvanten endokrinen Therapie Abemaciclib erhalten?

Prof. Müller: Das ist eine sehr positive Entwicklung. Auch über die zweijährige Therapie mit Abemaciclib hinaus halten die Wirksamkeitsvorteile an – der absolute Unterschied hat sich sogar zugunsten des Abemaciclib-Arms vergrößert. 

Entsprechend den Einschlusskriterien der Kohorte 1 sollten Hochrisiko-Patient:innen mit vier und mehr befallenen Lymphknoten oder jene mit 1–3 befallenen Lymphknoten plus einem zusätzlichen Risikofaktor wie G3-Tumor oder Primärtumor ≥ 5 cm zusätzlich adjuvant Abemaciclib erhalten. Ein hoher Ki67-Wert wurde als ungünstiger Prognosefaktor bestätigt, ist aber derzeit nicht als Risikofaktor für den Einsatz von Abemaciclib durch die Zulassung gedeckt.

Medical-Tribune-Interview

Prof. Dr. Volkmar Müller, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Prof. Dr. Volkmar Müller, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf © zVg