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Defizite bei der Inklusion von Kita- und Schulkindern mit Diabetes

Autor: Cornelia Kolbeck

Inklusionshelfer unterstützen Diabeteskinder auch bei Klassenfahrten oder Wandertagen. Inklusionshelfer unterstützen Diabeteskinder auch bei Klassenfahrten oder Wandertagen. © Jürgen Fälchle – stock.adobe.com
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Für Kinder mit Diabetes ist die Krankheit an sich bereits eine tägliche Herausforderung. Zusätzlich müssen sie und ihre Familien oft Hürden nehmen, wo es um den Besuch von Kita und Schule geht und Inklusion eigentlich funktionieren sollte.

Eine bundesweite Umfrage des Sozialpädiatrischen Zentrums an der Berliner Charité macht die Probleme bei der Inklusion von Kindern mit Diabetes mellitus Typ-1 deutlich. Online interviewt wurden von Juni bis November 2018 Sorgeberechtigte von 1189 Kindern, welche eine Kita (382) besuchten, eine Primarschule bis zur 4. Klasse (580) sowie im Sekundarbereich die 5. und 6. Klasse (227). Die Diabetesdauer betrug im Schnitt vier Jahre. Knapp drei Viertel der Kinder maßen die Blutglukose selbst (866), 508 nutzten zur Kontrolle ein System zum kontinuierlichen Glukosemonitoring, 484 ein System zum Flash Glukose Monitoring (Mehrfachnennungen waren möglich). Bei 897 Kindern kam eine Insulinpumpe zum Einsatz.

Auch behinderte Kinder haben ein Recht auf Ausbildung

Die Sozialarbeiterin Michaela Heinrich-Rohr verwies bei der Vorstellung der Ergebnisse darauf, dass Kinder in der Regel pro Woche 25 bis 40 Stunden in der Kita betreut werden bzw. 20 bis 30 Stunden in der Schule. Kinder mit Behinderungen dürften hier nicht benachteiligt werden, betonte sie, denn auch sie hätten ein Recht auf Bildung – verankert in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Fast alle Bundesländer haben dies in ihrem Schulgesetz berücksichtigt, berichtete die Referentin und der Bund habe das Recht auf Eingliederungshilfe in den §§ 53 und 54 im Sozialgesetzbuch XII fixiert.

Die Umfrage zeigt jedoch, dass im Kitabereich jedes dritte Kind mit Typ-1-Diabetes schon einmal von einer Gruppenfahrt ausgeschlossen wurde. Bei Klassenfahrten im Primar- und Sekundarbereich waren es 15,8 bzw. 14,6 %.

Bei Klassenfahrten helfen Eltern, Erzieher oder es hilft gar keiner

Die Teilnahme an mindestens einem Ausflug oder Wandertag wurde 20,7 % der erkrankten Kita-Kinder und 9,6 bzw. 7,1 % der Schüler verweigert. Ändern könnte die Situation eine Teilhabekraft, regional auch Intergrationshelfer, Schulhelfer oder Einzelfallhelfer genannt. Doch die Studie zeigt, dass bisher nur wenige Kinder in Kita, Primar- und Sekundarschule von dieser Hilfe profitieren (10,5/15,9/5,3 %). Und so sind es vor allem Eltern und Erzieher/Lehrer, die den Kindern mit Diabetes auf Klassenfahrt bei der Therapieumsetzung zur Hand gehen. 23,3 % der Schüler im Sekundarbereich erhielten gar keine Unterstützung. Außerdem liegt die genehmigte Stundenzahl für eine Teilhabekraft oft unter der beantragten. Für jeweils etwa ein Drittel der Kinder im Kita- und Primarschulbereich werden im Schnitt 24 bzw. 25 Stunden pro Woche beantragt, genehmigt wurden 15 bzw. 19 Stunden. Bei den 10 % Anträgen im Sekundärbereich stehen 13,5 beantragten Stunden sogar nur sechs bewilligte gegenüber.

Vorbild Skolasköterska

Für den Einsatz von Schulkrankenschwestern sprach sich Andreas Kocks aus, Pflegewissenschaftler am Universitätsklinikum Bonn und Sprecher für das Netzwerk Pflegewissenschaft im VPU der Universitätsklinika Deutschland. Kocks zeigte sich begeistert vom schwedischen Beispiel der Skolasköterska. Kümmerer nannte er sie und verwies darauf, dass laut Studien 30 bis 50 % der Kinder chronisch krank sind und einen besonderen Betreuungsbedarf haben. Bei den Aufgaben von Schulkrankenschwestern müsse man aber über rein gesundheitliche Fragestellungen hinausdenken, sagte er und verwies u.a. auf soziale Aspekte wie Probleme im Elternhaus der Kinder.

Die Folge der mangelnden Unterstützung ist, dass Kinder mit Diabetes Typ 1 deutschlandweit häufiger in Sonder- und Förderschulen unterrichtet werden statt per Inklusion. Sie wolle ihre Ausführungen jedoch nicht als Kritik an Erziehern, Lehrkräften oder Schulen verstanden wissen, hob Heinrich-Rohr hervor. Es sei eine schwierige Situation für alle. Dies bestätigte in der Diskussion eine Mutter. Sie berichtete darüber, dass sie erst an den Bürgermeister schreiben musste, um einen Kitaplatz für ihr erkranktes Kind zu erhalten. Zuvor war sie zu Sozialamt und Jugendamt geschickt worden. „Auch professionelle Kräfte wissen oft nicht Bescheid“, so ihre Erfahrung. In einem anderen berichteten Fall durfte das Kind zeitweise nicht in die Schule, weil die Sonderpädagogin krank geworden war.

Flickenteppich aus Bundes- und Landesvorgaben

Ein Ärztin, die sich zu Wort meldete, monierte eine z.T. fehlende Qualifikation der Inklusionshelfer. Sie habe schon erlebt, dass jede Viertelstunde der Blutzucker gemessen wurde. Karina Boss, Mitglied des Vorstandes der AG Pädiatrische Dia­betologie (AGPD) der DDG und Diabetesberaterin an der Charité, bedauerte, dass zur Gruppe der Integrationshelfer – zu denen auch die Studentin oder der Künstler gehöre – noch wenig bekannt sei. Die Qualifikation basiere auf den Regelungen der Länder. Zurzeit gebe es einen Flickenteppich aus gesetzlichen Grundlagen und Landesvorgaben. „Wir hoffen, mit der Politik hier ins Gespräch zu kommen“, äußerte dazu AGPD-Vorstandsmitglied Dr. Jutta Wendenburg, Kinderärztin aus Jena. Aus Sicht der AG Inklusion bedürfe es, um das Recht der Kinder auf uneingeschränkte Teilhabe umzusetzen, zudem zusätzlicher und institutionseigener Inklusionskräfte, ergänzte Heinrich-Rohr.

Quelle: Diabetes Kongress 2019