Anzeige

Kasuistik Den eigenen Kopf mit der Bohrmaschine traktiert

Autor: Michael Brendler

Als der 78-Jährige in einer Blutlache im Keller seines Hauses gefunden wurde, hielt er in seiner linken Hand einen Akkuschrauber, in der rechten eine Bohrmaschine. Als der 78-Jährige in einer Blutlache im Keller seines Hauses gefunden wurde, hielt er in seiner linken Hand einen Akkuschrauber, in der rechten eine Bohrmaschine. © Ilshat – stock.adobe.com
Anzeige

Mit acht Bohrlöchern im Schädel und einen Akkuschrauber in der linken, eine Bohrmaschine in der rechten Hand: So wurde ein 78-Jähriger gefunden, der schließlich in der Klinik starb. Erst die Obduktion brachte die Ärzte darauf, was den Mann zu dieser Tat verleitet haben könnte.

Kann sich ein Mensch so etwas selbst antun? Als der 78-Jährige in einer Blutlache im Keller seines Hauses gefunden wurde, hielt er in seiner linken Hand einen Akkuschrauber, in der rechten eine Bohrmaschine. Die Bohrer in beiden Geräten waren mit blutigen Haaren umwickelt.

Sechsmal hatte er selbst oder ein unbekannter Täter die linke Kopfhälfte durchlöchert, zweimal die rechte. Viermal war der Bohrer dabei ins Gehirn eingedrungen. Und trotzdem war der Mann noch am Leben und wurde ins Krankenhaus transportiert. Dort eröffneten die Ärzte Ehefrau und Tochter: Ein Überleben ist, wenn überhaupt, nur mit schweren neurologischen Schäden möglich. Beide entschieden sich für eine palliative Behandlung. Es dauerte noch fünf Tage, dann war der Mann tot. Als direkte Todesursache identifizierte der Rechtsmediziner einen frischen Myokardinfarkt und ein septisch-toxisches Multiorganversagen auf Basis einer Pneumonie.

Mehrfache selbst durchgeführte Bohrlochtrepanationen stellen eine Rarität dar, betonen Dr. Carsten Babian vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig und Kollegen. Da solche Verletzungen sehr schmerzhaft sind, bestehen immer Zweifel an der Selbstbeibringung. Zumal wenn wie im berichteten Fall kein Abschiedsbrief des Opfers zu finden ist und in den Unterlagen als bekannte Krankheit lediglich eine Makuladegeneration aufgeführt wird. Dennoch sind sich Dr. Babian und seine Kollegen sicher: Etwas hat den Betroffenen dazu veranlasst, sich beiderseits mit elektrischen Bohrmaschinen selbst den Schädel zu trepanieren.

Um die Plausibilität eines derart ungewöhnlichen Tathergangs einschätzen zu können, ist ein mögliches Motiv von außerordentlichem Interesse, schreiben sie. Ein solches lieferte ihnen schließlich die Obduktion: An der Arteria communicans posterior sinistra stießen sie auf ein Aneurysma.

Eine Ruptur des Gefäßes konnte nicht gesichert werden, dennoch bestand die Möglichkeit einer durch das Aneurysma ausgelösten Irritation der schmerzempfindlichen Arachnoidea, verbunden mit einem sogenanntem Vernichtungskopfschmerz. Diese extrem heftigen Schmerzen, so die Vermutung der Autoren, hatten den Mann womöglich dazu veranlasst, seinem Leben ein Ende zu setzen. Zumal ein Teil der Bohrungen auf die Arteria communicans posterior zielte.

Quelle: Babian C et al. Rechtsmedizin 2023; DOI: 10.1007/s00194-023-00660-x