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Genderkardiologie Der große Unterschied bei Risikofaktoren

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Kardielle Erkrankungen zeigen sich bei Frauen ganz anders als bei Männern. Über die Unterschiede wissen auch Mediziner:innen oft noch zu wenig. Kardielle Erkrankungen zeigen sich bei Frauen ganz anders als bei Männern. Über die Unterschiede wissen auch Mediziner:innen oft noch zu wenig. © eddows – stock.adobe.com
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Über die abweichenden Symptome kardialer Erkrankungen bei Männern und Frauen hat man inzwischen viel gelernt. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern beginnen aber schon viel eher: bei den Risikofaktoren.

Kardiovaskuläre Erkrankungen (Cardiovascular Diseases, CVD) führen in den westlichen Industrieländern die Statistik der Todesursachen bei Frauen genauso an wie bei Männern. Doch das Bewusstsein für weibliche Herz-Kreislauf-Leiden ist sowohl bei Frauen als auch bei Medizinern sehr gering, mahnte Dr. ­Catharina ­Hamm von der Abteilung für Kardiologie an der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim. Eine Umfrage aus den USA unter rund 1.000 Frauen und 300 Ärzten (200 Allgemeinmediziner, 100 Kardiologen) ergab Folgendes:

  • 45 % der Frauen wussten nicht, dass CVD die „Killer“ Nummer eins sind.
  • Nur 39 % der Ärzte hielten die Prävention von CVD neben jener von Übergewicht und Mammakarzinomen für wichtig.
  • Lediglich 22 % der Allgemein­mediziner und 42 % der Kardio­logen fühlten sich sicher darin, das kardiovaskuläre Risiko von Frauen korrekt zu beurteilen.

Pathogenetisch spielen die klassischen Risikofaktoren eine wichtige Rolle. Doch da fangen bereits die Unterschiede zwischen den Geschlechtern an. Übergewichtige Frauen leiden eher an einem Diabetes als übergewichtige Männer. Frauen mit Diabetes wiederum haben eine um 44 % höhere Wahrscheinlichkeit, eine CVD zu bekommen als ihre männlichen Pendants. Sie werden seltener revaskularisiert und sterben eher am Myokardinfarkt. Ihr Risiko für den Infarkt generell und für eine Herzinsuffizienz liegt im Geschlechtervergleich doppelt so hoch.

Spezifische Risikofaktoren durch die Schwangerschaft

Auch ein Nikotinabusus bringt ihnen mehr Nachteile. Raucherinnen haben ein um 25 % höheres KHK-Risiko als Raucher. Die gleichzeitige Einnahme von Kontrazeptiva erhöht diese Gefahr weiter, ganz zu schweigen von dem dann gesteigerten Schlaganfall- und Thromboserisiko.

Braucht es Medikament:innen?

In einer Krankenkassenumfrage gaben 74 % der Teilnehmenden an, sich geschlechtsspezifische Dosierungsangaben in Beipackzetteln zu wünschen. Ist das nötig und sinnvoll? Nein, meinte Prof. Dr. Sebastian Harder vom Institut für Klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Natürlich gebe es biologische Faktoren, die pharmakologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern auslösen, z.B. hormonelle Einflüsse, Fettverteilung oder abweichende CYP-Polymorphismen. Ein divergierender Metabolismus ließ sich z.B. für Metoprolol nachweisen. Es erreicht bei Frauen höhere Plasmakonzentrationen und der CYP2D6-abhängige Abbau dauert deutlich länger. Aber, es wirkt trotzdem nicht stärker.

Ein wichtiger Punkt ist allerdings die hormonell verursachte QT-Zeit-Verlängerung während der Follikelphase vor dem Eisprung. In dieser Zeit besteht eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber arzneimittelverursachten Torsade de pointes. Unter Sotalol zeigte sich bei Frauen ein dreifach höheres Risiko für die Rhythmusstörung im Vergleich zu Männern. Die entsprechende Warnung wurde in den Beipackzettel aufgenommen.

Soziale Faktoren wie das Ausmaß der Versorgung, der Zugang zu Studien, Adhärenz oder Risikoexposition sind weitere Aspekte bei der Frage nach geschlechtbedingten Unterschieden. Frauen waren lange in Studien erheblich unterrepräsentiert, das hat sich durch Vorgaben der verantwortlichen Gesundheitsbehörden inzwischen geändert. Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass eine leitlinienkonforme Therapie bei Mann und Frau unterschiedlich wirkt und auch keine ausreichenden Daten dafür, dass Dosisanpassungen vorgenommen werden müssen. Ein Fakt ist aber unbestritten: Frauen erhalten einige Medikamente deutlich seltener verordnet, d.h. in puncto Versorgungsgleichheit gibt es noch einiges zu tun.

Neben diesen klassischen Punkten gibt es weitere spezifische prädisponierende Konstellationen. Eine Frühgeburt beispielsweise erhöht das CV-Risiko für die Mutter deutlich, besonders, wenn sie vor der 34. Schwangerschaftswoche entbindet. Auch ein niedriges Geburtsgewicht (< 10. Perzentile) ihres Babys bringt sie in Gefahr. „Die Geburtskomplikationen deuten möglicherweise auf eine vaskuläre Dysfunktion hin“, erklärte Dr. Hamm. Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen prä­destinieren stark für eine spätere manifeste Hypertonie und führen dazu, dass CVD früher beginnen („kardiovaskuläres Aging“). Nach einer Präeklampsie drohen vermehrt ischämische Erkankungen, ihre Schwere korreliert mit der Schwere der Gestose. Jede dritte Frau mit einem Schwangerschaftsdiabetes wird später dauerhaft zuckerkrank. Unabhängig von dieser Progression reicht die Stoffwechselstörung während der Gravidität schon aus, um das kardiovaskuläre Risiko deutlich zu erhöhen. 

Dass sich das Risikoprofil nach der Menopause verschlechtert, ist bekannt. Neben dem Östrogenabfall tragen dazu bei:

  • nachlassende vaskuläre Funktion und stickstoffmonoxidvermittelte Vasodilatation
  • Verschlechterung der endothelialen Funktion
  • pro-atherogenes Lipidprofil (Anstieg von Cholesterin, LDL, Apolipoprotein B)
  • Hochregulation anderer Hormonsysteme (Renin-Angiotensin-­Aldosteron-System, sympathisches Nervensystem)
  • häufig Gewichtszunahme bzw. Zunahme von viszeralem Fett
  • zunehmende Insulinresistenz, vermehrte Inflammation

Zudem gibt es Hinweise darauf, dass vasomotorische Beschwerden (Hitzewallungen, Nachtschweiß) das Risikoprofil verschlechtern. Besonders ungünstig wirkt sich eine frühe Menopause (vor dem 45. Lebensjahr) aus. Das Risiko, an CVD zu sterben, steigt dadurch um 19 %, das für einen Typ-2-Diabetes um 12 % und die Inzidenzen von Vorhofflimmern, KHK und Herzinsuffizienz sind erhöht. 

Je nach Anamnese Frauen gezielt überwachen

Dr. Hamm riet dazu, frauenspezifische Ereignisse und Risikofaktoren in der Anamnese zu erfragen und sie in der Kalkulation des kardiovaskulären Risikos mit zu berücksichtigen. Frauen nach Schwangerschaftsdiabetes- und -hypertonie sollten besonders gut überwacht werden. 

Quelle: Kongressbericht Rhein-Main Herztage 2023