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Rheumatoide Arthritis Der Serotyp macht die Musik

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Veränderungen von Lebensstil und Umweltfaktoren sowie eine alternde Bevölkerung werden zu einer steigenden Inzidenz und Prävalenz der auto­antikörpernegativen RA führen. Veränderungen von Lebensstil und Umweltfaktoren sowie eine alternde Bevölkerung werden zu einer steigenden Inzidenz und Prävalenz der auto­antikörpernegativen RA führen. © DOUGLAS – stock.adobe.com
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Rheumafaktor und Antikörper gegen citrullinierte Peptide gelten als verlässliche Marker für eine rheumatoide Arthritis. Doch bei manchen Betroffenen fehlen die Auto­antikörper. Das ist nicht nur für die Diagnose entscheidend.

Bei mindestens 30 % der Patienten, die klinische Zeichen einer rheumatoiden Arthritis (RA) aufweisen, fallen Bluttests auf den Rheumafaktor und Antikörper gegen citrullinierte Proteine, die  ACPA, negativ aus. Obwohl die allgemeinen Behandlungsempfehlungen für seronegative Patienten denen für seropositive entsprechen, gibt es Unterschiede, die für das Management relevant sein könnten. Welche das nach dem aktuellen Wissensstand sind, haben Wissenschaftler um Prof. Dr. Serena­ Bugatti­ von der Fondazione IRCCS Policlinico San Matteo in Pavia zusammengefasst.

Die erste Herausforderung bei der seronegativen RA ist ihre Diagnose. Um diese zu sichern, muss eine ganze Reihe anderer Krankheiten ausgeschlossen werden. Denn die Beschwerden einer peripheren Arthritis können nicht nur bei nahezu allen entzündlichen rheumatischen sowie bei mehreren nicht-rheumatischen Erkrankungen auftreten. Sie kommen auch infolge kompensatorischer immuno­logischer Veränderungen im Rahmen einer Immuntherapie vor.

An eine paraneoplastische Arthritis ist beispielsweise bei älteren Patienten, abruptem Krankheits­beginn, systemischen Symptomen und schlechtem Ansprechen auf die Therapie zu denken. Auch die Kalzium-Pyrophosphat-Arthritis, die sogenannte Pseudogicht, die ebenfalls häufig bei älteren Menschen auftritt, weist Gemeinsamkeiten mit einer sero­negativen RA auf und ist deshalb eine wichtige Differenzialdiagnose.

Die seronegative RA ist eine Ausschlussdiagnose

Hingegen kommt bei jüngerem Alter, weiblichem Geschlecht und Labor­anomalien (einschließlich Zyto­penien und Hypergammaglobulinämie) ein systemischer Lupus erythematodes in Betracht, selbst wenn keine inneren Organe betroffen sind. Auszuschließen ist zudem das Antisynthetase-Syndrom, das oft mit begleitenden Symptomen wie Raynaud-Beschwerden, Hautmanifestationen und Lungenbeteiligung einhergeht.

Schwer von einer autoantikörper-negativen RA zu unterscheiden sind manchmal Polymyalgia ­rheumatica, Psoriasisarthritis und Spondylo­arthritis. Oft führen erst Nachuntersuchungen im Krankheitsverlauf zu Klarheit. Schluss­endlich kommt die Fibromyalgie ins Spiel: Sie tritt nicht nur oft gemeinsam mit einer seronegativen RA auf. Parallelen zwischen den beiden Erkrankungen bestehen außerdem hinsichtlich der Risikofaktoren und pathogenen Mechanismen.

Klinisch präsentieren sich die beiden Formen der rheumatoiden Arthrtis ähnlich. Eine Besonderheit ist, dass die seronegative RA in puncto Geschlechter ausbalancierter ist, also Männer häufiger vertreten sind als bei der seropositiven RA. Auch im Verlauf gibt es Unterschiede: Im Vergleich zur autoantikörperpositiven RA treten die ersten Gelenksymptome bei Patienten ohne Nachweis von Autoantikörpern in der Regel plötzlicher auf.

Eine weitere Besonderheit der seronegativen RA ist ihr ausgeprägter inflammatorischer Charakter. Allerdings scheint es eine Diskrepanz zwischen den objektiven Entzündungswerten und der von den Patienten berichteten subjektiven Krankheitsaktivität zu geben. Offensichtlich leiden Betroffene stärker unter chronischen Schmerzen, Fatigue und einer schlechten Lebensqualität. Entsprechend berichten sie häufiger als Patienten mit seropositiver RA von Behinderungen, funktionellen Beeinträchtigungen, emotionalem Stress und Produktivitätsverlusten. 

Dafür tragen RA-Patienten ohne Auto­antikörper ein niedrigeres Risiko für Gelenk- und Knochenschäden als Betroffene, bei denen Auto­antikörper nachgewiesen werden konnten. Dies liegt unter anderem daran, dass sie in den ersten Jahren nach Krankheitsbeginn unter einem geringeren Knochendichteverlust leiden.

Höhere Wahrscheinlichkeit für spontane Remissionen

Viele Beobachtungsstudien und randomisierte kontrollierte Studien deuten darauf hin, dass Patienten mit seronegativer RA ihre Behandlungsziele ähnlich gut erreichen wie RA-Patienten mit Autoantikörpern.  Hierbei gibt es dem Autorenteam zufolge jedoch auch widersprüchliche Ergebnisse.

Einige Patienten mit autoantikörpernegativer RA leiden an einer anhaltenden Erkrankung mit fortschreitender Behinderung und benötigen daher eine lebenslange Therapie mit DMARD. In der Praxis scheint bei ihnen die Eskalation zu einem Biologikum schneller zu erfolgen als bei seropositiven Patienten. Auf der anderen Seite haben Patienten mit seronegativer RA eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Spontanremission bzw. dafür, dass eine Remission nach Absetzen der Behandlung bestehen bleibt.

Veränderungen von Lebensstil und Umweltfaktoren sowie eine alternde Bevölkerung werden zu einer steigenden Inzidenz und Prävalenz der auto­antikörpernegativen RA führen, prognostizieren Prof. Bugatti­ und ihre Kollegen. Angesichts der Folgen dieses Krankheitssubtyps für das Leben der Betroffenen und die Gesellschaft fordern sie, der RA und den ­arthritisähnlichen Erkrankungen ohne Nachweis von Autoantikörpern künftig mehr Aufmerksamkeit entgegen­ zu bringen.

Quelle: Bugatti S et al. Lancet Rheumatol 2023; DOI: 10.1016/S2665-9913(23)00242-4