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Palliativmedizin „Der Wunsch zu sterben ist nichts Pathologisches“

Autor: Dr. Andrea Wülker

Wichtig ist, nach Gründen und Absichten zu fragen, aktiv und nicht wertend zuzuhören und die individuellen Erfahrungen des Patienten zu respektieren. Wichtig ist, nach Gründen und Absichten zu fragen, aktiv und nicht wertend zuzuhören und die individuellen Erfahrungen des Patienten zu respektieren. © iStock/megaflopp
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Die Todessehnsucht eines schwer Kranken ist keinesfalls zwingend mit Suizidalität oder dem Wunsch nach assistiertem Suizid verbunden. Durch gute Kommunikation und sorgfältige Symptomkontrolle lässt sich das Leid des Betroffenen deutlich lindern.

Offen und klar ausgesprochen werden Sterbewünsche eher selten, schreiben Dr. ­Dietmar ­Weixler vom Landesklinikum Horn-Allentsteig in Österreich und Kollegen. Wenn die Patienten darüber reden, dann am ehesten mit ihnen nahestehenden Personen. Gründe, sterben zu wollen, gibt es viele:

  • körperliche Symptome (Schmerzen, Erstickungsgefühl, chronische Übelkeit, Inkontinenz, übelriechende Wunden)
  • psychischer Distress (Angst, Traurigkeit und Depression, die Furcht, auf Pflege oder lebenserhaltende Maschinen angewiesen zu sein)
  • soziale Aspekte (die Sorge, andere zu belasten, Einsamkeit und Isolation, finanzielle Nöte, die Furcht, vom Partner oder der Familie aufgrund der Erkrankung verlassen zu werden)
  • existenzielles Leiden (Verlust des Lebenssinns)

In solchen belastenden Lebenssituationen ist der Wunsch zu sterben nichts Pathologisches, sondern ein normales Phänomen, stellen die Palliativmediziner klar. Häufig sind Sterbewünsche partiell, dynamisch und ambivalent („Ich möchte leben, und ich möchte sterben“). Zudem variieren sie in ihrer Konkretheit.

Aktiv zuhören und nach den Gründen fragen

Spricht der Kranke mit dem Arzt über seinen Sterbewunsch, ist das als Vertrauensbeweis und als Privileg zu verstehen. Der sollte dem Patienten und seinen Angehörigen versichern, dass dieses Verlangen nach dem Tod in bestimmten Situationen etwas Normales ist und keinesfalls moralisch anstößig. Wichtig ist, nach den Gründen und Absichten zu fragen, aktiv und nicht wertend zuzuhören und die individuellen Erfahrungen des Patienten zu respektieren.

Das Behandlungsteam kann eine Menge für das Wohlergehen dieser Patienten tun:

  • belastende Symptome erfassen und angemessen behandeln
  • Spannungen und Schwierigkeiten in den Beziehungen des Sterbewilligen erkennen und klären
  • psychoexistenzielle Belastungen (Angststörungen, Depressionen, Schuldgefühle, Trauer) erfassen und beseitigen
  • religiöse, spirituelle und philosophische Ansichten nachvollziehen

Darüber hinaus sind alle Maßnahmen hilfreich, die das Sicherheitsgefühl und das Kontrollvermögen des Betroffenen wiederherstellen. Das kann etwa eine selbst steuerbare Schmerzpumpe sein oder das Berücksichtigen der persönlichen Vorlieben und des Tagesrhythmus des Patienten. Auch den Aufenthalt in einer spezialisierten Einrichtung wie einer Palliativstation oder einem Hospiz erleben Menschen in diesen Grenzsituationen oft als Zugewinn an Sicherheit.

Bis zur Bewusstlosigkeit

Unter palliativer Sedierungstherapie versteht man den überwachten Einsatz von Medikamenten mit dem Ziel einer verminderten oder aufgehobenen Bewusstseinslage, also bis hin zur Bewusstlosigkeit. Diese Dämpfung soll die Symptomlast in einer ansonsten therapierefraktären Situation für Patienten, ihre Angehörigen und die Mitarbeiter in einer ethisch akzeptablen Weise reduzieren. In Europa sterben etwa 3–18 % der Menschen unter Sedierung.
Die Möglichkeit einer palliativen Sedierungstherapie als letzte Option zur Symptomkontrolle sollte nach Ansicht der Autoren äußerst kritisch gesehen werden. Als allgemein akzeptiert gilt sie, wenn sich Atemnot, Schmerzen oder Delir als therapierefraktär erwiesen haben. Ob psychoexistenzielles Leid – z.B. tiefe Hoffnungslosigkeit, Todesangst und antizipierte Agonie – eine medizinische Indikation darstellt, wird unter Experten kontrovers diskutiert. Die meisten Leitlinien sehen im existenziellen Leiden ohne schwere körperliche Symptome keine Indikation für eine derartige Sedierung.

Quelle: Weixler D et al. internistische praxis 2021; 64: 149-158