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Freiwilligen Verzicht auf Flüssigkeit und Nahrung bei Sterbenden respektieren

Autor: Dr. Alexandra Bischoff

Häufig verlieren Sterbende das Gefühl für Hunger sowie Durst und magern ab. Häufig verlieren Sterbende das Gefühl für Hunger sowie Durst und magern ab. © iStock/KatarzynaBialasiewicz
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Angehörige sind meist sehr besorgt, wenn Patienten am Lebensende weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich nehmen. Auch für den behandelnden Arzt kann die Situation belastend sein. Dennoch ist es wichtig, den Willen der Sterbenden zu akzeptieren.

Tumorerkrankungen gehen häufig mit einem schweren Gewichtsverlust einher. Die Patienten sind abgemagert, haben periphere oder Lungenödeme sowie einen verringerten Hautturgor. Zwar kann eine hochkalorische Ernährung einen beginnenden Gewichtsverlust kompensieren. Im späteren Stadium ist das aufgrund der katabolen Stoffwechsellage nicht mehr möglich.

Während Angehörige und Ärzte das reduzierte Hunger- und Durstgefühl des Sterbenden in der Regel belastet, empfinden es die Betroffenen meist nicht als Qual. Denn keiner verhungert oder verdurstet qualvoll, wenn er weder Durst noch Hunger verspürt, zitiert Dr. Norbert­ Schürmann­ die Position des Bayerischen Landesausschusses. Freiwillig die Nahrungsaufnahme zu beenden, ist ein Teil des natürlichen Sterbeprozesses, so der Anästhesist von der Abteilung für Schmerz- und Palliativmedizin des St. Josef Krankenhauses in Moers.

Eine verminderte Flüssigkeits­zufuhr von 500 ml täglich reicht am Lebensende meist völlig aus und hat einige Vorteile:

  • weniger Erbrechen
  • weniger Husten, Verschleimung
  • weniger Ödeme
  • weniger Schmerzen
  • erhöhte Endorphinkonzentration
  • verbesserter Hautturgor
  • Verhinderung von Dekubitus

Allerdings sollte immer abgeklärt werden, ob die Appetitlosigkeit und die reduzierte Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeiten allein mit dem Sterbeprozess zusammenhängen (s. Kasten).

Warum Sterbende wenig essen und trinken

  • Mund-/Schleimhautentzündung (Stomatitis, Soor)
  • Geschmacksstörung, Zinkmangel, brennende Zunge
  • Schluckstörung
  • Hypersalivation
  • Kaustörungen
  • Dysphagie, Odynophagie, Soor­ösophagitis
  • Reflux
  • akute Nausea und Erbrechen, auch durch Chemo- oder Radiotherapie
  • chronische Nausea, frühes Sättigungsgefühl, autonome gastrointestinale Dysmotilität
  • schwere Verstopfung
  • Verwirrung, Demenz und andere psychische Ursachen
  • Angst vor Stuhlinkontinenz nach dem Essen

Bei der palliativen Behandlung am Lebensende stehen die folgenden Ziele im Vordergrund:
  • Wünsche, Bedürfnisse und Ablehnungen des Patienten respektieren
  • das subjektive Durst- und Hungergefühl stillen
  • ein zwangloser, mengenunabhängiger Genuss
  • appetitsteigernde Angebote machen
  • Völlegefühl, Übelkeit, Erbrechen und andere Begleitsymptome lindern
  • Ängste des Patienten und der Angehörigen ernst nehmen
Häufig sieht die Realität jedoch anders aus. In Kliniken bestehe ein Hang zur Übertherapie von Sterbenden, schreibt Dr. Schürmann. Zum Teil hängt das mit der schlechten oder ungenügenden Aufklärung der Angehörigen zusammen, aber auch mit dem Übereifer und der Unkenntnis mancher Kollegen. Umso wichtiger ist eine frühzeitige Aufklärung des Patienten und seiner Angehörigen, um physiologische Prozesse am Lebensende besser verstehen und akzeptieren zu können. Denn eine künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr beispielsweise mittels perkutaner endoskopischer Gastrostomie, subkutaner Flüssigkeits- oder vermehrter Volumengabe in der Terminalphase kann für den Betroffenen eine schwere Belastung sein und ein friedliches Sterben verhindern.

Quelle: Schürmann N. Schmerzmedizin 2019; 35: 42-44; DOI: doi.org/10.1007/s00940-019-1159-5