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Maßnahmen am Lebensende: drei Fallbeispiele zum Mitdenken

Autor: Dr. Alexandra Bischoff

Wie hätten Sie die geschilderten Situationen bewertet? Wie hätten Sie die geschilderten Situationen bewertet? © Laz'e-Pete – stock.adobe.com
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Todsicher ist gar nichts – bei der Behandlung von Sterbenden gehen die Meinungen auseinander. Das zeigt die Auswertung eines Tele-Votings mit 120 Hausärzten.

In der Veranstaltung „Behandlungsziele am Lebensende“ stellte die Hausärztliche Fortbildung Hamburg drei verschiedene Situationen vor, in denen ein Hausarzt mit der Behandlung Sterbender konfrontiert wird. Was die Kollegen geantwortet haben, werteten Dr. Rüdiger Thiesemann­ aus einer Hamburger Gemeinschaftspraxis und seine Kollegen aus. Sie erläutern die jeweiligen Situationen und zeigen mögliche Auswege. Die Ergebnisse der TED-Umfrage finden Sie unter den jeweiligen Fragen.

Fall 1: „Notfall“ beim Sterbenden

Der Rettungswagen liefert eine sterbende Person in die Klinik ein.

Frage: „Wer von Ihnen hat es in der Notaufnahme, im RTW, in der Praxis oder Klinik erlebt, dass folgende Aussage/n getätigt wurden?“ A: Die ist 85 Jahre alt und dement, da machen wir nichts mehr.
B: Wenn heute Nacht etwas passiert, gehen wir ganz langsam hin.
C: OP, Schrittmacher (o.ä.) ist ethisch nicht okay. Die Ressource fehlt dann woanders.
D: Es ist DRG-mäßig zu teuer, das machen wir nicht. Wir kriegen das nicht wieder über die Verweildauer herein.
E: Die Angehörigen wollen das nicht.

 

 

Antworten für Fall 1

 

A: 33 %
B: 30 %
C: 7 %
D: 10 %
E: 23 %

Die Antworten spiegeln beispielhaft die Unsicherheit der Ärzte und die Stereotypisierung von Altsein wider. Letzteres betrifft unterbewusst jeden, der im Gesundheitswesen arbeitet, schreiben die Autoren. Umso wichtiger sei es, sich die juristischen und ethischen Grundlagen seines Handelns zu vergegenwärtigen und auch im Notfall ärztliche Entscheidungen mit dem Patienten – soweit möglich – zu besprechen.

Fall 2: Der Münchner PEG-Fall

Ein bewegungs- und kommunikationsunfähiger Patient mit fortgeschrittener Demenz wird in seinen letzten fünf Jahren über eine PEG-Sonde ernährt. Es gibt weder eine Patientenverfügung noch lässt sich sein Wille hinsichtlich lebenserhaltender Maßnahmen anderweitig feststellen. Der Sohn verklagt den behandelnden Hausarzt später auf Schmerzensgeld. Dieser habe das Therapieziel trotz der Verschlechterung des Zustands ein Jahr vor dem Tod des Vaters nicht geändert und damit das Leiden sinnlos verlängert. Vor dem Landgericht mit seiner Klage gescheitert, geht der Sohn in Berufung. Vom Oberlandesgericht bekommt er schließlich 40 000 € Schmerzensgeld zugesprochen mit der Begründung: Im Rahmen der Aufklärungspflicht hätte der Hausarzt mit dem Betreuer das weitere therapeutische Vorgehen besprechen müssen. Die aus dieser Pflichtverletzung resultierende Leidensverlängerung stelle einen ersatzfähigen Schaden dar.

Frage: „Wie bewerten Sie das Urteil?“ A: eher gut
B: eher schlecht
C: skandalös

 

Antworten für Fall 2

A: 25 %
B: 50 %
C: 25 %

Der BGH stellt später das ursprüngliche Urteil wieder her, schreiben Dr. Thiesemann und seine Kollegen. Die Bundesrichter berufen sich auf das menschliche Leben als höchstrangiges Rechtsgut, das absolut erhaltungswürdig sei. Kein Dritter dürfe über seinen Wert urteilen. Deshalb „verbiete es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen.“ Keine PEG-Sonde nur zur Erleichterung der Pflege Was der Patient nicht will, steht als Option nicht zur Verfügung, betonen die Autoren. Ist der Wille aber nicht bekannt, sprechen Sie am besten immer wieder mit den Angehörigen. Erklären Sie, welche Therapieziele erreichbar erscheinen und fragen Sie, ob diese dem (mutmaßlichen) Willen des Betroffenen entsprechen. In solchen Fällen könnten Sie, müssen aber nicht die PEG-Ernährung beenden. Allerdings sollte bereits die Anlage einer Sonde weder die Lebensqualität verschlechtern (Erlebnis gemeinsamen Essens oder Zuwendung beim Füttern) noch der bloßen Erleichterung der Pflege dienen. Das Leiden des Patienten zu lindern sowie ihm ein „gutes Sterben“ zu ermöglichen, sind ebenso berechtigte Therapieziele wie die Lebensverlängerung.

Fall 3: Subkutane Flüssigkeitsgabe

Sie werden im KV-Notdienst ins Pflegeheim zu einem 84-jährigen Dementen mit arterieller Hypertonie gerufen. Bis vor einer Woche konnte er mit Gehstock laufen. Vor zwei Tagen litt er für mehrere Stunden unter wässrigem Durchfall, danach sei er zunehmend eingetrübt und seit dem Morgen zwar aufzuwecken, aber nicht mobilisierbar. Momentan kann er weder Medikamente noch Nahrung einnehmen und äußert Schmerzen bei Berührung (RR 90/70, HF 110/min, Temp. 36,6 °C, BZ 130). Angehörige oder eine Patientenverfügung hat der Mann nicht.

Frage: „Wie gehen Sie vor?“ A: Einweisung
B: Morphin (s.c.)
C: Flüssigkeitsgabe (s.c.)
D: Volumengabe (i.v.)
E: Abwarten
F: SAPV kontaktieren

 

Antworten für Fall 3

 

A: 44 %
B: 5 %
C: 33 %
D: 11 %
E: 6 %
F: 0 %

Es bleibt unklar, ob die Flüssigkeitssubstitution als medizinische Intervention oder Basispflege gilt. Die Autoren raten generell, mit Patienten immer eine möglichst genaue Willenserklärung auszuarbeiten, die auch Punkte wie Ernährung und Flüssigkeitsgabe berücksichtigt. Könnte die Infusion dem Patienten schaden (z.B. bei schwerer Herzinsuffizienz, Lungenödem oder in der unmittelbaren Sterbephase), bietet behutsames Mundbefeuchten eine Alternative, schreiben die Autoren. Infusion bei mittelschwerer Herzinsuffizienz ungefährlich Zugelassene Indikationen für die subkutane Gabe bei mittelschwerer Exsikkose sind negative Flüssigkeitsbilanz (z.B. akute oder progrediente Erkrankung wie Fieber, Durchfall), beeinträchtigte orale Flüssigkeitszufuhr sowie potenzielle Reversibilität (insbesondere bei ­geriatrischen Patienten). Natürlich gilt es, die Kontraindika­tionen zu beachten (s. Kasten).

Kontraindikationen für die Flüssigkeitsgabe (s.c.)

  • schwere Dehydratation
  • dekompensierte Herzinsuffizienz
  • dekompensierte Niereninsuffizienz
  • Koagulopathien
  • Kreislaufschock
  • langfristiger Flüssigkeitsbedarf
  • finale Sterbephase
  • ausschließliche Erleichterung der Pflege
  • mangelnde Adhärenz des Patienten
  • häusliche Bedingungen, die dagegen sprechen

Aus hausärztlicher Sicht stelle die Infusion – auch bei schwerer Erkrankung oder Herzinsuffizienz (NYHA 2–3) – keine Gefährdung dar, wenn folgende Bedingungen erfüllt würden:
  • intravasales Flüssigkeitsdefizit ohne begleitenden Pleuraerguss
  • zuvor festgelegte eindeutige Therapiegrenzen was Volumen (z.B. max. 500 ml/24 h) und Dauer (zunächst max. drei Tage) anbelangt
  • fachgerechter Punktionsverband
  • leitlinienkonforme Dosisanpassung der Begleitmedikation

Quelle: Thiesemann R et al. Hamburger Ärzteblatt 2019