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Diagnose von Demenz bei geistiger Behinderung

Autor: Maria Weiß

Geistig Behinderte entwickeln dreimal häufiger eine Demenz als der Durchschnittsdeutsche. Geistig Behinderte entwickeln dreimal häufiger eine Demenz als der Durchschnittsdeutsche. © iStock.com/wildpixel
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Bei Menschen mit geistiger Behinderung kommen demenzielle Erkrankungen früher und häufiger vor als in der Gesamtbevölkerung. In puncto Diagnostik müssen Ärzte ein paar Besonderheiten beachten.

Aufgrund der Ermordung von Menschen mit geistiger Behinderung im Dritten Reich fehlten hierzulande lange Zeit die Erfahrungen mit älteren Betroffenen, sagte Professor Dr. Vjera Holthoff-Detto von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Krankenhaus Hedwigshöhe in Berlin. 70 Jahre nach Kriegsende trifft man in den Jahrgängen ab 1946 zunehmend auf geistig behinderte Patienten, die gleichzeitig Anzeichen einer Demenz aufweisen.

Dabei sind sie sogar häufiger betroffen als der Durchschnittsdeutsche. Sie entwickeln dreimal häufiger eine Demenz, Menschen mit Down-Syndrom beispielsweise erkranken im Schnitt 20–30 Jahre früher. Nach dem 60. Lebensjahr zeigen etwa 60–75 % demenzielle Symptome.

In Sachen Diagnostik stellt das Kollegen manchmal vor Herausforderungen, sagte Prof. Holthoff-Detto. Zunächst sei es wichtig, eine Demenz von somatischen Ursachen abzugrenzen, die man bei geistig Behinderten leicht übersehen kann. Treten kognitive Symptome vor dem 40. Lebensjahr auf, sollte man etwa bei Patienten mit Down-Syndrom an Hypothyreose, Hörverlust, Mangelerscheinungen (z.B. Vitamin B12), Zöliakie oder Schlafapnoe denken.

Auch Nebenwirkungen einer medikamentösen Therapie müsse man in Betracht ziehen, allen voran bei Antipsychotika oder Benzodiazepinen. Zu den besten Informationsquellen gehören nach Einschätzung der Psychiaterin die Betreuer oder Angehörigen, die den Patienten oft über Jahrzehnte kennen und kognitive Veränderungen meist zuerst bemerken. Darüber hinaus existieren mittlerweile einige Screeninginstrumente, die speziell für geistig Behinderte mit Verdacht auf demenzielle Erkrankungen konzipiert wurden (s. Kasten).

Risikofaktoren für Suizide im Alter

An erster Stelle stehen psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen oder eine beginnende Demenz, erklärte Prof. Supprian. Jedoch kann auch der Tod des Lebenspartners und die damit einhergehende soziale Isolation und Einsamkeit Ältere verzweifeln lassen. Konflikte mit den Kindern erhöhen das Risiko ebenso wie die Diagnose einer vital bedrohenden Krankheit oder chronische Schmerzen. Nicht zu vernachlässigen sind zudem materielle Faktoren wie Schulden, eine zu kleine Rente oder der Verlust der Wohnung.

Geriatrie-Abteilungen sind nicht auf Jüngere eingestellt

Auch die Betreuung dieser Patienten gestaltet sich schwieriger als bei anderen Dementen. Geistig Behinderte leben oft im Haushalt der Eltern oder Geschwister. Spezialisierte heilpädagogische Einrichtungen tun sich häufig schwer mit Demenzkranken, berichtete Prof. Holthoff-Detto. Anders herum sind Geriatrien nicht auf die oft jüngeren geistig Behinderten eingestellt. Entsprechend wichtig sei es, dass Ärzte und Pflegepersonal bzw. die Angehörigen spezifisch aus- und weitergebildet werden. Die Therapie gestaltet sich prinzipiell ähnlich wie die von anderen Patienten, auch wenn die Evidenz dazu noch fehlt, erklärte die Referentin. Dazu gehören z.B. Biographiearbeit, Ergotherapie, emotional bestärkende Tätigkeiten, Musiktherapie und Tagesstrukturierung. Acetylcholinesterasehemmer haben sich in kleinen Kohorten bei geistig behinderten Patienten als gut verträglich erwiesen. Bedenklich findet Prof. Holthoff-Detto allerdings die hohe Rate an verordneten Antipsychotika. Diese liegt fünfmal höher als bei anderen Demenzpatienten. Gleiches gelte für Benzodiazepine.

Quelle: DGPPN* Kongress 2018

* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde