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Schulter-TEP Die Endoprothetik hat große Fortschritte gemacht

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Dr. Tarhan ist seit Juli 2023 an Bord der BGU. Dort möchte er mit seinem Team neue Akzente im Bereich der Schulter­endoprothetik setzen. Dr. Tarhan ist seit Juli 2023 an Bord der BGU. Dort möchte er mit seinem Team neue Akzente im Bereich der Schulter­endoprothetik setzen. © Anja Braunwarth
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Bei bis zu 90 % aller Patienten befällt die rheumatoide Arthritis auch das Schultergelenk. Dank moderner Therapeutika nimmt die Zerstörung kaum noch solche Ausmaße an, dass ein endoprothetischer Ersatz notwendig wird. Trotzdem sollte man wissen, welche Möglichkeiten die Schulterendoprothetik bereit hält und wie das Outcome nach Implantation ist.   

Was sind die häufigsten Indikationen für eine Schulterprothese?

Dr. Tarhan: Die häufigsten Indikationen sind die Cuff-Tear-Arthropathie und die Humeruskopf- bzw. proximale Humerusfraktur. Bei der Cuff-Tear-Arthropathie tritt der Humeruskopf nach oben in Richtung Akromion heraus. Ursache ist eine irreparable Schädigung der Rotatorenmanschette –  v.a. der Sehne des M. supraspinatus, die den Kopf sonst in seiner Position hält. Auch funktionelle Einschränkungen der Rotatorenmanschette stellen eine Indikation zur endoprothetischen Versorgung dar, selbst wenn die Sehnenstruktur an sich noch intakt ist.  Erst danach kommen die Indika­tionen Omarthrose, Humeruskopfnekrose (z.B. nach Chemotherapie, steroid- oder alkoholinduziert) und die rheumatoide Arthritis (RA) mit destruktiver Omarthritis. Selten haben wir es mit Tumoren oder Metastasen zu tun, die eine Totalendoprothese (TEP) erforderlich machen. 

Welche Arten von Schulter­prothesen gibt es?

Dr. Tarhan: Es gibt die normalen, anatomischen Prothesen. Bei ihnen sitzt die künstliche Kugel wie beim Originalhumerus auf dem Schaft. Und es gibt inverse Prothesen, die umgekehrt konstruiert sind, d.h., die künstliche Kugel sitzt auf der Schulterpfanne. Durch den Tausch von Kopf und Pfanne verschiebt sich das Drehzentrum der Schulter nach kaudal und medial. Dadurch ändert sich die Vorspannung des M. deltoideus und er kann die Funktion der Rotatorenmanschette übernehmen, v.a. die Abduktion. 

Wann wird welche Art von Prothese implantiert?

Dr. Tarhan: Inverse Prothesen kommen bei irreparabel beschädigter Rotatorenmanschette zum Einsatz, also z.B. bei der Cuff-Tear-Arthropathie und in der Regel auch bei Patienten mit Schäden durch die RA. Wir verwenden sie inzwischen aber ebenso für Humeruskopf- oder proximale Humerusfrakturen – und zwar schon im Akutfall. Gerade bei älteren Patienten erzielen wir damit funktionell bessere Ergebnisse und deutlich geringere Revisionsraten als nach Osteosynthese. Für den Ersatz nach Humeruskopfnekrosen brauchen wir in der Regel eine anatomische TEP.

Was bei rheumatologischen Patienten perioperativ zu beachten ist

Dr. Tarhan rät dazu, bei RA-Patienten generell den Rheumatologen mit ins Boot zu holen, wenn eine geplante schulterprothetische Versorgung ansteht. Denn es gibt bei der Medikation einiges zu beachten. Die DGRh empfiehlt z.B., die Glukokortikoiddosis zwei bis drei Monate präoperativ so tief wie möglich abzusenken (in jedem Fall < 10 mg/d), ein bis zwei Wochen vor OP (inkl. OP-Tag) sollte sie auf einem stabilen Level sein. csDMARD müssen die Patienten meist nicht pausieren. Ausnahmen: Hohe Methotrexatdosierungen gehören auf maximal 15 mg/Woche reduziert und bei hohem Infektionsrisiko muss Leflunomid mit Colestyramin ausgewaschen werden.

Azathioprin, Mycophenolat und Ciclosporin setzt man 1–2 Tage vor der OP ab. Unter bDMARD können Operationen zum Ende des jeweiligen Therapieintervalls geplant werden. JAK-Inhibitoren sollten man bei größeren Eingriffen für 3–4 Tage aussetzen. Apremilast darf weiter laufen. In jedem Fall gilt: So bald wie möglich – bei reizlosen Wundverhältnissen nach der Fädenentfernung nach 12–14 Tagen – wieder mit der Therapie beginnen.

Albrecht K et al. Z Rheumatol 2021; DOI: 10.1007/s00393-021-01140-x

www.st-josef-stift.de/media/Pdf/Kliniken/RO_Rheumaorthopaedie/Perioperatives_­Management_bei_Elektiveingriffen_bei_Rheumapatienten.pdf

 

Sind es immer Voll-TEP oder gibt es auch Teilmodelle analog zu Knie und Hüfte?

Dr. Tarhan: Es gibt Hemiprothesen mit rein humeralem Ersatz, die kommen aber nur sehr selten infrage,  z.B. bei jungen Patienten mit Humeruskopfnekrose und völlig intaktem Glenoid. Unter den anatomischen Total­endoprothesen haben wir schaftlose Humeruskopfprothesen oder normale anatomische TEP. Die schaftlosen eignen sich ebenfalls bei Humeruskopfnekrosen mit gut erhaltenem Glenoid, Beispiel: ein 20-jähriger Patient nach Chemotherapie. 

Bei inversen Prothesen stehen neben TEP mit normaler Länge solche mit kurzem Schaft zur Verfügung. Und es gibt Modelle mit einem proximalen bis hin zum kompletten Humerusersatz. Die zu verwendende Schaftlänge richtet sich nach dem Ausmaß der Schädigung, ein Humerusersatz wird z.B. bei schwerer Zerstörung durch Metastasen nötig. 

Wie lange dauert die OP?

Dr. Tarhan: Je nach Befund und Prothesenmodell dauert die Implantation zwischen 45 und 90 Minuten.

Wie sieht die Nach­behandlung aus? 

Dr. Tarhan: Nach Einbau einer anatomischen Prothese begrenzen wir die Außenrotation für etwa sechs Wochen, danach kann die Reha beginnen. Mit einer inversen Prothese starten die Patienten direkt mit der  funktionellen Nachbehandlung. 

Wie sind die Erfolgsaussichten für alle Arten von Prothesen und gibt es Unterschiede für rheuma­tologische Patienten?

Dr. Tarhan: Die Erfolgsaussichten sind generell gut, es lässt sich eine deutlich verbesserte Beweglichkeit erreichen. Ziel bei inverser Prothese ist es z.B., den Griff über den Kopf zum anderen Ohr hin wieder zu ermöglichen. Studien haben gezeigt, dass sich das funktionelle Outcome von rheumatologischen Patienten nicht von denen mit anderer Indikation für eine inverse TEP unterscheidet. 

Welche Komplikationen kann es geben? 

Dr. Tarhan: Wie bei jeder OP gibt es ein Infektionsrisiko, bei erfahrenen Schulterchirurgen liegt die Infektionsrate aber unter 1 %. Wir verabreichen generell perioperativ eine Single-Shot-Antibiose. Inverse Prothesen können selten einmal luxieren. Als spezielle Komplikation ist bei ihnen noch das inferior scapular notching mit Inzidenzen bis ca. 50 % zu nennen. Dabei hat die humerale Komponente Kontakt mit dem Skapulahals, im schlimmsten Fall kommt es zur fortschreitenden Erosion des Skapulahalses und es besteht ein Risiko für Lockerungen. Durch verbessertes Prothesendesign (z.B. verringerter Hals-Schaft-Winkel der humeralen Komponente, flachere Prothesenpfanne) erhofft man sich, dass das künftig deutlich seltener auftritt. 

Wie oft wird der Eingriff in Deutschland durchgeführt?

Dr. Tarhan: Von den ca. 400.000 ­endoprothethischen Eingriffen pro Jahr in Deutschland sind ca. 25.000 Schulterprothesen. Was wir feststellen, ist, dass noch einige Vorbehalte gegenüber diesen Prothesen bestehen, nicht nur auf Patienten-, sondern auch auf Ärzteseite. Viele denken, dass die Verfahren im Vergleich zu Hüft- und Knie-TEP nicht ausgereift oder erprobt genug sind. Nicht wenige Patienten kommen deshalb im Grunde zu spät, sie können sich dann oft schon nicht mehr die Haare kämmen, sich waschen oder essen. In diesem Stadium werden sie selbst nach der Implantation einer Prothese nicht mehr alle Fähigkeiten zurückerlangen können. Wir versuchen daher, über Fortbildungen sowohl Kollegen als auch Betroffene aufzuklären und zu motivieren, rechtzeitig zu überweisen bzw. vorstellig zu werden.

Wie lange halten die Implantate?

Dr. Tarhan: Die Haltbarkeit ist vergleichbar gut wie bei einer Hüft-TEP. Die 15-Jahres-Überlebensraten liegen zwischen 80 und 95 %.

Interview: Dr. Anja Braunwarth