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Die Zukunft der Pathologie ist molekular

Autor: Mascha Pömmerl

Das genetische Tumorboard in Erlangen umfasst immer Onkologen, Humangenetiker und Molekularpathologen (Symbolbild). Das genetische Tumorboard in Erlangen umfasst immer Onkologen, Humangenetiker und Molekularpathologen (Symbolbild). © Robert Kneschke – stock.adobe.com
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In der Onkologie und Hämatologie wird die morphologiezentrierte Diagnose­stellung von der genetikzentrierten abgelöst. Damit rückt die molekulare Pathogenese als Therapie­ansatz immer mehr in den Fokus.

Das molekulare Tumorboard am Comprehensive Cancer Center (CCC) Erlangen will genetische Veränderungen in fortgeschrittenem Tumorgewebe identifizieren. Aber nur solche, die diagnostisch oder therapeutisch relevant sein könnten, erklärte Professor Dr. Florian Haller, Diagnostische Molekularpathologie am Universitätsklinikum Erlangen. Das molekulare Tumorboard am CCC Erlangen wurde im Juli 2016 initiiert. Bisher wurden mehr als 600 Patienten in der Molekularpathologie untersucht und im Tumorboard besprochen.

Angreifbare Mutationen bei jedem zehnten Patienten

Internationalen Studien zufolge lassen sich mit diesem Ansatz bei ca. 10 % der Patienten neue Therapieziele finden. „Wir möchten dieses Programm gerne allen Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren anbieten, um tatsächlich diese 10 % in der Realität zu erreichen,“ so der Referent.

Patienten, bei denen sich die Ärzte an die Empfehlungen des molekularen Tumorboards gehalten hatten, lebten in einer Studie signifikant länger und auch länger ohne Progress.1 „Ein molekulares Tumorboard ist unerlässlich. Genetische Befunde sollten nicht einfach an die behandelnden Ärzte verschickt werden,“ bekräftigte Prof. Haller.

Beim zweiwöchentlichen Tumorboard in Erlangen sind Vertreter aus den drei Bereichen Onkologie, Molekularpathologie und Humangenetik als feste Säulen immer vertreten, andere klinische Abteilungen können teilnehmen. In den ersten zwei Jahren wurde ein Genpanel verwendet, das ausschließlich Mutationen auf DNA-Ebene in 160 Genen im Tumorgewebe untersuchte. Das aktuelle Genpanel umfasst 170 Gene auf DNA- und RNA-Ebene. Genfusionen und Splice-Varianten sowie Amplifikationen seien damit gut darstellbar, sagte der Kollege.

Für die detektierten genetischen Veränderungen im Tumorgewebe werden die Evidenzlevel des Memorial Sloan Kettering Cancer Centers (MSKCC) verwendet, die mit der Datenbank zur Präzisionsonkologie OncoKB verknüpft sind.2 Von besonderem Interesse im molekularen Tumorboard seien die Veränderungen mit dem Evidenzlevel 2B, also Biomarker für ein Ansprechen auf ein bei einer anderen Tumor­entität zugelassenes Medikament. „Von diesen versprechen wir uns den größten Erfolg, da sich die zielgerichteten Substanzen bei der gleichen genetischen Veränderung in einer anderen Indikation bewährt haben“, sagte Prof. Haller.

Derzeit keine Vorteile durch noch größere Genpanels

Von den 110 im Jahr 2018 im Tumorboard Erlangen vorgestellten Patienten hatten 50 (45,5 %) mindestens ein potenzielles Therapie-Target. Grundsätzlich zeigte sich eine hohe Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen des Tumorboards in Erlangen und der sehr viel größeren Kohorte von 10 000 Patienten, deren Tumoren am MSKCC mit einem großen Assay sequenziert wurden.3 Und zwar sowohl hinsichtlich der Level der gefundenen genetischen Veränderungen als auch der therapeutisch relevanten Mutationen und Amplifikationen.

Dass beim MSKCC ein wesentlich größeres Genpanel verwendet wurde, mache wenig Unterschied, da man sich bei den Therapieempfehlungen auf die wenigen Gene beschränke, für die man tatsächlich Wirkstoffe zur Verfügung habe, erklärte der Pathologe. „Die Panels immer größer zu machen, führt unserer Meinung nach nicht zu einer signifikanten Vergrößerung der Therapieziele, die man bei den Patienten beobachtet.“

Vier Patientengruppen profitieren vom Tumorboard

Prof. Haller berichtete über vier Gruppen, die ein molekulares Tumorboard benötigen:

  • Patienten, bei denen so die Primärdiagnose korrigiert bzw. ein CUP-Syndrom aufgelöst wird, sodass sie die richtige Standardtherapie erhalten können.
  • Patienten, bei denen unerwartet eine übergeordnete molekulargenetische Eigenschaft festgestellt wird wie eine BRCAness­ /Homologe Rekombinationsdefizienz oder eine generell hohe Mutationslast.
  • Patienten mit Tumoren, von denen aus Studien bekannt ist, dass bestimmte Alterationen häufig auftreten und für die es zwar noch kein zugelassenes Medikament, aber zugängliche Studien gibt.
  • Patienten mit unerwarteten Level-2-Veränderungen wie BRAF-, PIK3CA-Mutationen oder HER2-Amplifikationen. Sie sprechen häufig auf passende zielgerichtete Therapien an, die für andere Entitäten zugelassen sind. Prof. Haller: „Diese Patienten profitieren am meisten von einem molekularen Tumorboard.“

1. Kato S et al. Nat Commun 2020; 11: 4965
2. Chakravarty D et al. JCO Precis Oncol. 2017; DOI: 10.1200/PO.17.00011
3. Zehir A et al. Nat Med 2017; 23: 703-713; DOI: 10.1038/nm.4333

Quelle: Haller F. Onkologisches Symposium 2020