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Dr. Virenschleuder: Präsentismus als ärztliche Berufskrankheit

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Vielleicht schadet ein kranker Mediziner seinem Patienten ja schon, wenn er ihm nur gegenüber sitzt. Vielleicht schadet ein kranker Mediziner seinem Patienten ja schon, wenn er ihm nur gegenüber sitzt. © iStock/rclassenlayouts
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Viele Ärzte schleppen sich noch zur Arbeit, wenn sie eigentlich zu krank dafür sind. Etwa 80 % arbeiten zum Beispiel mit Erkältungssymptomen, für die sie ihre Patienten sofort krankschreiben würden. Dahinter steckt nicht nur Selbstüberschätzung.

Den „ärztlichen Präsentismus“ kann man fast schon für eine eigene Krankheit halten, meint Professor Dr. Jörg Braun von der Inneren Medizin an der Klinik Manhagen in Großhansdorf. Zu den Gründen für das Praktizieren trotz Erkrankung gehören hohe Zufriedenheit und Identifikation mit dem Arztberuf, Pflichtbewusstsein sowie der Anspruch an sich selbst, zu funktionieren. Gerade Chirurgen sind oft stolz darauf, wenn sie trotz akuter Einschränkungen das Skalpell nicht aus der Hand legen.

Chaos und Überlastung der Kollegen vs. Patientenschutz

Manche treibt die Einschätzung, unverzichtbar zu sein, z.B. weil Kollegen fehlen, zur Arbeit. Für Niedergelassene wiegt auch der wirtschaftliche Druck schwer. In einer Gemeinschaftspraxis können zwar Kollegen einspringen, aber die damit verbundene Überlastung will man ihnen eigentlich ersparen. Und in einer Einzelpraxis erfordert es eines besonders hohen organisatorischen Aufwands, umzuplanen, wenn der Chef nicht zur Arbeit kommt. Von einem kranken Arzt wollen sich die meisten zwar nicht behandeln lassen. Trotzdem reagieren manche auf Terminabsagen aus gerade diesem Grund empört.

Prof. Braun mahnt zum Umdenken. Vielleicht schadet ein kranker Mediziner seinem Patienten ja schon, wenn er ihm nur gegenüber sitzt. Und sich selbst tut der kranke Doktor ebenfalls keinen Gefallen, weil er seine eigene Genesung behindert. Fieber, Durchfall und Erbrechen sollten immer ein Grund sein, nicht zur Arbeit zu gehen!

Sanktionen für Arbeit im Krankenstand gefordert

Ärzte selbst müssen im kollegialen Miteinander davon wegkommen, das Arbeiten im Krankenstand als heldenhaft zu empfinden. Es sollte vielmehr als unprofessionell gelten. Die Krankenhäuser sind zudem in der Pflicht, ein gewisses Maß an krankheitsbedingten Ausfällen von vornherein in ihrer Personalpolitik einzuplanen. Lassen sich Ausfälle mit diesem Puffer nicht kompensieren, wird eben das Leistungsangebot gekürzt. Der Großhansdorfer Kollege fordert zudem Sanktionen für Ärzte, die im Krankenstand arbeiten. Auch Praxisinhaber müssen vorsorgen, zum Beispiel durch Versicherungen für den krankheitsbedingten Betriebsausfall, vorbereitete Texte für Terminabsagen, die im Fall des Falles schnell ausgedruckt werden können, sowie Vertretungsabsprachen mit den Kollegen.

Ein heikles Thema, das gut in den Kontext passt, ist der unzureichende Impfschutz vieler Ärzte trotz des erhöhtes Expositionsrisikos, beispielsweise mit Hepatitis B und Influenzaviren. Und wenn sie sich infizieren, gefährden sie auch vulnerable Patienten und (häufig ebenfalls ungeimpfte) Kollegen. Viele schätzen ihre eigene Gefährdung jedoch fälschlicherweise als gering ein. Bevor man die nach Ansicht von Prof. Braun durchaus sinnvolle allgemeine Masern-Impfpflicht einführt, sollte man ein Impfgebot für Berufsgruppen im Gesundheitswesen durchsetzen.

Quelle: Braun J. Hamburger Ärzteblatt 2020; 74: 27-29