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Deutscher Wundkongress 2023 Druckentlastung ohne Verlust  der Alltagskompetenz

Autor: Antje Thiel

Endlich wird die individuelle Anpassung von Entlastungsschuhen in den Leitlinien verankert. Endlich wird die individuelle Anpassung von Entlastungsschuhen in den Leitlinien verankert. © smartboy10/gettyimages
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Die Neufassung der S3-Leitlinie zur Lokaltherapie chronischer Wunden befindet sich inzwischen auf der Ziel­geraden. Dass nun auch die Druckentlastung darin verankert wird, sieht der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß als wichtigen Fortschritt.

Diabetische Fußulzera machen etwa 30 % aller chronischen Wunden aus. Entsprechend großen Raum nehmen sie in den neuen Empfehlungen ein, berichtete Dr. Florian Thienel, Chefarzt und Bereichsleiter Diabetisches Fußsyndrom am Diabetes-Zen­trum Quakenbrück, der die Konsultationsfassung vorstellte. Eigentlich versteht es sich von selbst und muss doch immer wieder betont werden: Vor Einleitung der Lokaltherapie einer chronischen Wunde muss die zugrunde liegende Ursache bekannt sein. „Wir fummeln also nicht irgendwie rum, sondern klären erst einmal ab, woran es liegt, dass die Wunde nicht heilt“, erklärte Dr. Thienel, der auch im Vorstand der AG Diabetischer Fuß der DDG aktiv ist. 

Ungewöhnliche Ulzerationen histologisch abklären 

Liegt der Wunde eine arterielle Durchblutungsstörung (PAVK), eine chronisch venöse Insuffizienz (CVI) oder eine Polyneuropathie (PNP) zugrunde, sollten Diagnostik und Therapie leitliniengerecht erfolgen. Hierzu gehören mindestens die Erhebung des arteriellen Pulsstatus, die Dopplerverschlussdruckmessung, die farbcodierte Duplexsonografie sowie die Neuropathiediagnostik. Bei nicht plausiblen ABI-Werten sollten ergänzende Methoden eingesetzt werden, erklärte Dr. Thienel. Therapieresistente und morphologisch ungewöhnliche Ulzerationen sollten histologisch abgeklärt werden.

Bei der Wundreinigung sei es entscheidend, dass avitales Gewebe bis an intakte Strukturen heran abgetragen wird, ohne das Granulationsgewebe zu entfernen. Für das chirurgische Wunddébridement hingegen gilt, dass avitales Gewebe, Nekrosen, Beläge und/oder Fremdkörper bis in intakte anatomische Strukturen hinein radikal abgetragen werden sollten. „Bei den Wundauflagen hingegen hat sich nicht allzu viel getan“, sagte Dr. Thienel, es gebe keine nennenswerten Unterschiede zwischen Schaum-, Hydrokolloid-, Alginat-, Mikrofaser-, Fettgaze- oder Polyacrylatverbänden in Vergleichsstudien. Bei biotechnologischem Hautersatz erkennt die Leitlinie trotz niedriger Qualität der vorliegenden Studien einen geringen Vorteil an. Dasselbe gilt für die Behandlung des diabetischen Fußulkus mit plättchenreichem Plasma (PRP)

Kann-Empfehlung für zwei physikalische Maßnahmen

„Auch für viele physikalische Maßnahmen gibt es immer noch keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz“, bedauerte der Experte. Lediglich zwei Maßnahmen haben nun eine Kann-Empfehlung: die Vakuumversiegelung und die hyperbare Sauerstofftherapie. Letztere kommt selektiv als adjuvante Therapieoption bei therapierefraktären diabetischen Fußulzera infrage – zumindest sofern zuvor alle Revaskularisationsmaßnahmen und auch weitere konservative Therapieoptionen inklusive Druckentlastung ausgeschöpft wurden. Keine Evidenz verzeichnet die Leitlinie hingegen für physikalische Verfahren wie Reizstrom, Phototherapie, Ma­gnetfeldtherapie, Ultraschalltherapie, Niedertemperaturplasma, Ozontherapie, Stoßwellentherapie und topische Sauerstofftherapie.

Zweitmeinung nach sechs Wochen ohne Heilungstendenz

Mindestens alle vier Wochen sollte eine erneute Wundbeurteilung erfolgen – bei Veränderungen auch häufiger. Hierbei gelte es, neben der Wundgröße auch den Zustand des Wundrands und die Exsudatmenge zu erfassen und die Therapiedurchführung zu überprüfen. Bei diesen regelmäßigen Wund-Checks sollten Patient*innen auch gezielt nach ihrer Lebensqualität und möglichen Schmerzen gefragt und in Bezug auf die ursächliche Erkrankung und deren Therapie sowie zum Erhalt der Alltagskompetenzen beraten werden. Und ganz wichtig: „Nach sechs Wochen ohne Heilungstendenz holen wir eine zweite Meinung ein oder ziehen Menschen anderer Professionen hinzu“, betonte der Experte.
Druckentlastung: „Oft schlechte Qualität für teures Geld“

Nach Abheilung der Wunde sollte bei den Konzepten zur lokalen Druckentlastung der weitestgehende Erhalt von Alltagskompetenz und Mobilität ebenfalls berücksichtigt werden, betonte Dr. Thienel. „Aktuell bekommen wir hier leider oft nur schlechte Qualität für teures Geld“, bedauerte er. Umso wichtiger für die Orientierung in der Praxis ist es aus seiner Sicht daher, dass nun endlich auch die individuelle Anpassung von Entlastungsschuhen nach abgeheilten Wunden in den Leitlinien verankert wurde.

Gute Therapie-Algorithmen und Tipps in der neuen Leitlinie

Insgesamt enthalte die Neufassung der Leitlinie „wirklich gute Therapie-Algorithmen für die Praxis“, fand Dr. Thienel. Gut gefallen ihm auch die vielen Hintergrundinformationen inklusive Praxis-Tipps im Anschluss an die Beantwortung der Schlüsselfragen: „Es lohnt sich, da einmal reinzuschauen.“ 
Federführend bei dieser Leitlinie ist die Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung, die DDG ist eine der an der Leitlinie beteiligten Fachgesellschaften.

Quelle: Deutscher Wundkongress 2023  

Das Informationsportal zur Kampagne „Amputation – nein danke!“

Im Falle der Diagnose zur Amputation haben gesetzlich Versicherte mit Diabetischem Fußsyndrom seit 2021 einen Rechtsanspruch auf eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung: Besteht statt einer Amputation eine andere Behandlungsoption? Der Rechtsanspruch ist laut Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der DDG noch nicht hinreichend bekannt, es wird nach wie vor zu viel amputiert. Dafür setzt sich die Kampagne „Amputation – nein danke!“ ein. 

Wer sich als Betroffener oder als Behandlungsteam über das Zweitmeinungsverfahren informieren möchte, findet auf amputation-nein-danke.de 

  • Details zum Zweitmeinungsverfahren
  • eine bundesweit gültige Telefonnummer für die Suche nach Zweitmeinenden und Links zu zertifizierten Fußzentren
  • wichtige Hinweise für das Fachpublikum 
  •  drei Podcasts (zu Gast: Dr. Markus Menzen, Dr. Dirk Hochlenert, Dr. Joachim Kersken, Diabetologen und Experten für das Diabetische Fußsyndrom)