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Falsch-positive und falsch-negative Diagnosen durch Kinesiologie

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Annahmen der Kinesiologie nicht plausibel. Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Annahmen der Kinesiologie nicht plausibel. © RichTphoto – stock.adobe.com
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Die Alternativmedizin bedient sich einiger diagnostischer Verfahren, die für viele Schulmediziner böhmische Dörfer sind. Dazu gehört die angewandte Kinesiologie, die beim Experten durchfällt.

Von einer Muskelschwäche Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand ziehen: Das verspricht die angewandte Kinesiologie. Diese These entbehrt nicht nur jeder wissenschaftlichen Grundlage, sie kann Patienten auch ernsthaft in Gefahr bringen.

Blockaden des Energieflusses als vermeintliche Ursache

Die „Lehre von der Bewegung“ wurde 1964 von einem US-amerikanischen Chiropraktiker entwickelt und hat in Deutschland viele Anhänger. Ihre Anbieter behaupten, dass „Störungen der Balance“ oder „Blockaden des Energieflusses“ eine relative Schwäche in den zugeordneten Muskeln verursachen, schreibt Professor Dr. Edzard Ernst, emeritierter Professor für Komplementärmedizin der Universität von Exeter. Die manuelle Prüfung des Muskeltonus soll dann nicht nur Hinweise darauf geben, wie es um die Gesundheit der Untersuchten steht, sondern auch, ob sich bestimmte Präparate, z.B. Homöopathika, für sie eignen.

Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Annahmen, auf denen die Lehre gründet, nicht plausibel, betont Prof. Ernst. Und die Studien, die dazu vorliegen, haben eine schlechte Qualität. 2008 veröffentlichten Befürworter der Alternativmedizin eine systematische Übersichtsarbeit, die 22 Studien einschloss. Das ernüchternde Fazit der Forscher: „Es gibt keine ausreichende Evidenz für die diagnostische Validität der Kinesiologie, die Gültigkeit der Muskelreaktion und die Wirksamkeit der Lehre für irgendeine Erkrankung.“ Zu einem vergleichbaren Schluss kommt eine neuere Zusammenfassung aus 2014.

Der etwas andere Allergiecheck

Um Unverträglichkeiten zu ermitteln oder beim Verdacht auf eine Allergie wenden Kinesiologen den Armhaltetest an. Der Untersucher schätzt vor der Applikation des verdächtigen Auslösers zunächst die Kraft im Oberarm des Patienten ein. Dazu muss dieser den Arm seitlich bis 90 Grad anheben und einen isometrischen Widerstand gegen den Prüfer ausüben, der versucht, den Arm nach unten zu drücken. Danach „erhält“ der Betroffene das Allergen, z.B. nimmt er es in die andere Hand. Damit ausgerüstet, unterzieht er sich wieder dem Krafttest. Sind die Muskeln schwächer geworden, deutet das nach Auffassung der Kinesiologen auf eine Allergie oder Unverträglichkeit hin.

Im schlimmsten Fall kann es tödlich enden

Die Methode selbst schadet nicht, so Prof. Ernst. Sehr wahrscheinlich aber führt sie zu falsch-positiven oder -negativen Diagnosen, warnt er. Entweder unterzieht sich der Patient dann einer Reihe überflüssiger Therapien oder eine echte Erkrankung wird übersehen – was im schlimms­ten Fall tödlich enden kann.

Edzard Ernst: Alternativmedizin – was hilft, was schadet, Gräfe und Unzer Verlag, ISBN-13: 978-3-8338-7793-3, 1. Auflage 2021