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Lipödem Fett, das unter die Haut geht

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Die kombinierte physikalische Entstauungstherapie beim Lipödem umfasst u. a. manuelle Lymphdrainage sowie Kompressions- und Bewegungstherapie. Die kombinierte physikalische Entstauungstherapie beim Lipödem umfasst u. a. manuelle Lymphdrainage sowie Kompressions- und Bewegungstherapie. © petiast – stock.adobe.de
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Steigende Fallzahlen bei Adipositas permagna gehen Hand in Hand mit der Prävalenz des Lipödems. Zwar gibt es keine kausale Therapie, doch können konservative und operative Maßnahmen die Beschwerden lindern und Komplikationen vorbeugen.

Schätzungen zufolge leiden in Deutschland rund vier Millionen Frauen an einem Lipödem. Mehr als die Hälfte der Patientinnen sind zudem adipös. Die Erkrankungen können sich wechselseitig verstärken, weshalb die Therapie des Lipödems immer auch auf eine Gewichtsreduktion abzielt.

Erste Symptome treten oft in Phasen hormoneller Umstellungen wie Pubertät, Schwangerschaft oder Menopause auf. Das Lipödem ist gekennzeichnet durch eine Unterhautfettgewebsvermehrung der unteren und/oder oberen Extremitäten. Die Veränderungen sind immer symmetrisch an beiden Armen und/oder Beinen. Ein solitäres Lipödem der Arme ohne Beteiligung der Beine ist extrem selten. 

Ein Lipödem geht mit einer gesteigerten Druckschmerzhaftigkeit einher. Meist treten Spontanschmerzen auf. In späteren Stadien, besonders bei gleichzeitig bestehender Adipositas, können sich sekundäre Lymph­ödeme ausbilden. Erkennen lässt sich das anhand des sog. Stemmer-Zeichens. Bei der Untersuchung wird versucht, die Haut über der zweiten Zehe mit Daumen und Zeigefinger leicht anzuheben („Kneifbewegung“). Ist das nicht möglich, liegt ein positives Stemmer-Zeichen vor, was auf ein Lymphödem hinweist .

Die Diagnose eines Lipödems ergibt sich aus Anamnese, Inspektion und Palpation. In bis zu 60 % aller Fälle kann eine familiäre Häufung beobachtet werden. 

Typisch sind Kragenbildung oder Wammen

Die Fettvermehrung kann sich homogen über die Extremitäten verteilen oder auf bestimmte Bereiche beschränken. Unterteilt wird nach Oberschenkel-, Ganzbein- und Unterschenkeltyp sowie nach Oberarm-, Ganzarm- und Unterarmtyp. Ein charakteristisches Merkmal ist der Kalibersprung zur angrenzenden gesunden Region, auch bekannt als Suavenhosenphänomen oder Kragenbildung. In späteren Stadien finden sich zusätzlich oft Wulstbildungen („Wammen“), vor allem an Oberschenkel- und Knieinnenseiten, seltener auch im Bereich des Sprunggelenks.

Ziele der Behandlung sind die Beseitigung bzw. Besserung der Beschwerden und die Verhinderung von Komplikationen dermatologischer (z.B. Mazerationen, Infektionen), lymphatischer (z.B. Erysipelen, Lymphödem) und orthopädischer Art (z.B. Gangbildstörungen, Achsenfehlstellungen).

Bei gleichzeitig bestehender Adipositas sollte eine Gewichtsreduktion angestrebt werden. Diese umfasst eine Kombination aus ernährungs-, bewegungs- und ggf. verhaltenstherapeutischen Maßnahmen. Da hohe Insulinspiegel die Lipogenese fördern, ist eine isoglykämische Ernährung sinnvoll. Bei Patienten mit Essstörungen sollte die Ernährungsumstellung psychologisch betreut werden. Im Rahmen der Bewegungstherapie bieten sich sportliche Aktivitäten im Wasser (z.B. Schwimmen, Aqua-Jogging, Aqua-Aerobic) an, da durch den Auftrieb die Gelenke entlastet werden und der Wasserdruck wie eine Lymphdrainage wirkt. 

Um Ödeme und Schmerzen zu reduzieren, werden physikalische Maßnahmen in Form der kombinierten physikalischen Entstauungstherapie (KPE) ergriffen. Die KPE umfasst eine manuelle Lymphdrainage, eine Kompressions- und Bewegungstherapie sowie Hautpflege. In der anfänglichen Entstauungsphase erfolgt die Kompression mit Verbänden, in der Erhaltungsphase dann mit Kompressionsstrümpfen. Unterstützend kann eine apparative intermittierende Kompression erfolgen. Bei ausbleibendem Therapieerfolg ist eine stationäre Behandlung zu erwägen. Falls die Beschwerden trotz adäquater konservativer Therapie bestehen bleiben und die Lebensqualität der Betroffenen einschränken, sollte die Indikation zur Liposuktion geprüft werden. 

Anfängliche Entstauung über Kompressionsverbände

Die Behandlung erwies sich in mehreren Anwendungsbe­obachtungen als wirksam hinsichtlich der Besserung subjektiver Kriterien (u.a. Schmerzen, Spannungsgefühl) und objektiv messbarer Parameter wie dem Beinumfang. Weil randomisierte, kontrollierte Studien bislang fehlen, wird dieser Eingriff allerdings nur in Einzelfällen von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet. Voraussetzung hierfür ist, dass über mindestens sechs Monate konservativ behandelt wurde. Zudem orientiert sich die Kostenübernahme am Erkrankungsstadium sowie am BMI. 

Ab einem Körpergewicht von über 120 kg oder einem BMI von über 32 kg/m2 sollte vor der Liposuktion eine leitliniengerechte Adipositastherapie durchgeführt werden. Bei Patienten im Stadium III ist eine Liposuktion in Abhängigkeit vom BMI (< 35 kg/m2) mit nachfolgender Qualitätssicherung indiziert. Ab einem BMI von über 35 kg/m2 ist zudem eine begleitende Adipositastherapie angezeigt. Liegt der BMI über 40 kg/m2, stehen hierbei bariatrische Operationen (z.B. Schlauchmagen, Magenbypass) im Vordergrund.

Quelle: Hesse U, Hesse A, Hesse L, Schultz E, Kaiser M. „Lipödem heute: Zwischen konservativer Therapie, Liposuktion und Adipositaschirurgie“, Akt Dermatol 2021; 47: 441-450; DOI: 10.1055/a-1525-5956 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart, New York