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Genetische Subgruppen bei myeloproliferativen Neoplasien identifiziert

Autor: Ulrike Viegener

In welche Schublade gehört welcher Patient? Genetische Profile können bei der Klassifizierung helfen. In welche Schublade gehört welcher Patient? Genetische Profile können bei der Klassifizierung helfen. © iStock.com/gopixa
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Die Suche nach genetischen Mustern bei myeloproliferativen Neoplasien führte britische Forscher zu einem neuen Klassifikationsmodell, das – so die Autoren – zuverlässige Aussagen zur individuellen Prognose erlaubt.

Die Gruppe der seltenen myeloproliferativen Neoplasien (MPN) gibt – trotz Fortschritten der Molekulargenetik – nach wie vor Rätsel auf.

In einer aktuell publizierten Studie wurden die kodierenden Exons von 69 Genen sequenziert, für die ein Zusammenhang mit MPN vermutet oder gesichert ist. Außerdem wurde ein „Copy Number Profiling“ durchgeführt, bei dem nach auffälligen Variationen in der Anzahl von Genkopien gefahndet wird.

Die Daten von insgesamt 2035 Patienten mit myeloproliferativen Neoplasien gingen in die Analyse ein: 1321 mit essenzieller Thrombozythämie, 356 mit Polycythaemia vera, 309 mit Myelofibrose und 49 mit anderen Diagnosen des MPN-Spektrums.

Mutationen der Gene JAK2 (Janus-Kinase), MPL (Thrombopoietin-Rezeptor) oder CALR (Calreticulin) waren bei 45 % der Patienten die einzige genetische Auffälligkeit. Bei triple-negativen MPN-Patienten wurden in der britischen Studie neue Mutationen des JAK2- bzw. MPL-Gens entdeckt, die als Treiber fungieren könnten. Und auch an anderen Genloci wurden Mutationen mit „Driver“-Potenzial identifiziert: Bei insgesamt 33 Genen wurden solche Veränderungen bei mindestens fünf Patienten gefunden. Eines der meistmutierten Gene in der untersuchten Kohorte war PPM1D, das für die Protein Phosphatase 1 D kodiert und auch bei soliden Tumoren verändert sein kann.

Die Suche nach typischen Mutationen

Zunächst konnte nur die chronische myeloische Leukämie (CML) anhand des „Philadelphia-Chromosoms“ (bcr-abl-Fusionsgen) zweifelsfrei diagnostiziert und von anderen MPN abgegrenzt werden. Dann wurden „Driver“-Mutationen in den Genen JAK2, CALR und MPL entdeckt, die bei der Pathogenese der MPN eine zentrale Rolle spielen. Alle diese „Driver“-Mutationen betreffen Gene von Tyrosinkinasen, die über einen gemeinsamen Signalweg in die Regulation der Zellproliferation eingebunden sind. Infolge der Mutation kommt es zu einer autonomen, vom Bedarf abgekoppelten Proliferation einer oder mehrerer Zellreihen. Die drei „Driver“ sind jedoch nicht spezifisch für einen bestimmten MPN-Typ, und es stellt sich die Frage, wieso sie unterschiedliche klinische Erscheinungsbilder wie Polycythaemia vera (PV), essenzielle Thrombozythämie (ET) und primäre Myelofibrose (PMF) hervorrufen. Andererseits ist nicht bei allen MPN-Patienten eine dieser drei Treiber-Mutationen nachweisbar. Es ist davon auszugehen, dass der genetische Hintergrund der MPN komplex ist und weitere Gene eine Rolle spielen.

Basierend auf den ermittelten genetischen Profilen, gingen die Forscher der Frage nach, inwieweit sich genetische Muster mit klinischen Phänotypen korrelieren lassen. Insgesamt acht genomische Subgruppen konnten sie charakterisieren, die unterschiedlichen klinischen Phänotypen mit unterschiedlicher Prognose zuzuordnen sind. Dabei wurden u.a. das Gesamtüberleben und die Transformation in eine akute Leukämie berücksichtigt. Die Subgruppe mit Mutationen im TP53-Gen beispielsweise erwies sich als genomisch instabil und prognostisch ungünstig: TP53 kodiert für ein Tumor-Suppressor-Protein, das auch bei anderen Blutkrebsformen mutiert ist. Durch Integration von insgesamt 63 genomischen und klinischen Parametern sei es gelungen, ein Modell zu entwickeln, mit dessen Hilfe sich beim individuellen Patienten zuverlässige Aussagen zur Prognose machen lassen, so die Wissenschaftler. Herkömmlich stützt sich die Klassifikation von myeloproliferativen Neoplasien auf klinische und laborchemische Parameter. Die höhere „Trennschärfe“ des neuen Modells ist laut den Autoren damit zu erklären, dass kausale biologische Mechanismen in die Bewertung einfließen. 

Quelle: Grinfeld J et al. N Engl J Med 2018; 379: 1416-1430