Anzeige

Ischialgie oder Cauda-equina-Syndrom – Kriterien zur Diagnose

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Das Cauda-Equina-Syndrom ist ein neurochirurgischer Notfall – der verspätete Eingriff zieht irreversible Schäden nach sich. Das Cauda-Equina-Syndrom ist ein neurochirurgischer Notfall – der verspätete Eingriff zieht irreversible Schäden nach sich. © iStock/TomekD76
Anzeige

Das Cauda-equina-Syndrom wird schnell über­sehen, vor allem wegen der relativ unspezifischen Frühsymptome. Die Zeit drängt aber. Erkennen Sie es zu spät, drohen dem Patienten bleibende Schäden.

Die Cauda equina wird durch lumbosakrale Nervenwurzeln unterhalb des Conus medullaris gebildet. Das Geflecht versorgt sensibel den Bereich der „Reithose“ (genital, perianal, Innenseiten der Oberschenkel), Blase und Rektum, sensibel und motorisch den externen Blasen- und Analsphinkter. Darüber hinaus innerviert es mit dünnen parasympathischen Fasern die Beckenorgane und enthält untere Motoneurone­. 

Bandscheibenvorfälle, Infektionen, Blutungen oder Tumoren können die Cauda stark komprimieren und je nach Lokalisation unterschiedliche Schäden verursachen. Werden sie nicht schnell erkannt und operativ behandelt, drohen irreversible Ausfälle, schreibt der Allgemeinmediziner Dr. Kevin Barraclough vom Hoyland House in Painswick. 

Das Cauda-equina-Syndrom tritt recht selten auf, die Inzidenz liegt schätzungsweise zwischen 1 zu 33 000 und 1 zu 100 000 pro Jahr. Würden Sie jeden Patienten mit Rückenschmerzen oder Blasen­beschwerden zur Kernspinuntersuchung schicken – die das Cauda-equina-Syndrom beweist –, hätten Sie bald Probleme mit den Kollegen aus der Radiologie und mit den Krankenkassen. Dennoch: Kommt ein Patient mit neurologischen Problemen in Ihre Sprechstunde, sollten Sie abklären, ob nicht vielleicht doch das seltene Syndrom dahinter steckt. 

Klassischerweise klagt der Betroffene über Ischiasbeschwerden. Fragen Sie nach, wo er sie verortet. Denn manche halten Schmerzen an der Rückseite der Oberschenkel genau dafür. Doch eine echte Ischialgie beschreibt Schmerzen oder Missempfindungen unter dem Knie bis in den Fuß ausstrahlend. Aber: Nur etwa jeder Zweite mit Cauda-Syndrom hat beidseitige Beschwerden.

Neben Schmerzen gehören Störungen von Blasenfunktion und Sensibilität zu den typischen Symptomen. Fragen Sie Ihren Patienten daher explizit, ob

  • er merkt, wenn die Harnblase voll ist, er Harndrang spürt oder ob ungewollt Urin austritt,
  • er beim Urinieren den Harnstrahl willkürlich stoppen kann,
  • seit Kurzem ein „Nachtröpfeln“ auftritt (Vorsicht: Ältere Männer mit Prostatahypertrophie klagen  darüber ebenfalls häufig, auch Anticholinergika können eine Ursache sein),
  • ihm ein „Ameisenlaufen“ oder eine vollständige Taubheit im Peri­anal- oder Genitalbereich aufgefallen ist, etwa beim Reinigen nach dem Toilettengang,  
  • er perianale Schmerzen hat.

Der berühmte „verminderte Analtonus“ als angeblich wegweisendes Symptom ist dummerweise wenig aussagekräftig: In einer Unter­suchung fand sich bei jedem dritten Patienten mit sicherem Cauda-equina-Syndrom ein normaler Tonus. Ohnehin streiten sich die Experten, was in diesem Zusammenhang überhaupt normal ist. Auch die Reithosen-Sensibilität ist nur bei etwas mehr als der Hälfte der Betroffenen gestört. 

Um den Praktiker nicht ganz alleine zu lassen, nennt Dr. Barraclough­ einige Alarmzeichen, bei denen der Kranke zügig in die Klinik gehört (siehe Kasten). Diese Anzeichen müssen nicht (alle) auftreten, generell gilt aber das Cauda-equina-Syndrom als neurochirurgischer Notfall. Was Sie in keinem Fall tun sollten: Den Patienten nach Hause schicken und ihm raten, im Falle einer Inkontinenz wiederzukommen. Dann ist es nämlich schon zu spät und der Schaden irreversibel­.

Red Flags bei Cauda-equina-Syndrom

  • beidseitige Taubheit oder Schwäche in den Beinen
  • Taubheit oder Parästhesien perianal oder genital
Veränderungen
  • im Gefühl, wenn die Blase voll ist,
  • beim Verspüren von Harndrang oder
  • im Wahrnehmen von unwillkürlichem Harnabgang

Quelle: Barraclough K. BMJ 2021; 372: n32; DOI: 10.1136/bmj.n32