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Cauda-equina-Syndrom Bleibt der spinale Notfall unerkannt, drohen Lähmung und Inkontinenz

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Bandscheibenprotrusion (L4/L5) und Bandscheibenvorfall (L5/S1) bei einer 29-Jährigen mit Kaudasyndrom. Bandscheibenprotrusion (L4/L5) und Bandscheibenvorfall (L5/S1) bei einer 29-Jährigen mit Kaudasyndrom. © Science Photo Library/ Camazine, Scott
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Das Cauda-equina-Syndrom ist ein spinaler Notfall­. Es kann schwere Behinderungen wie Beinlähmungen oder eingeschränkte Blasen- bzw. Darmkontrolle auslösen. Allerdings wird das Syndrom oft verkannt. Ein Leitfaden erleichtert den frühen Nachweis.

Viele Erkrankungen kommen als Ursache für ein Cauda-equina-Syndrom (CES) in Betracht ­(s. Kasten). Am häufigsten findet sich eine Kompression lumbosakraler Nervenwurzeln in Höhe L4/L5 oder L5/S1. Typisch, aber nicht immer führend sind radikuläre Bein- und/oder Rückenschmerzen, ­erklären Dr. David Metcalfe von der Universität Oxford und Kollegen.

Ursachen des Kaudasyndroms

  • Diskushernien
  • Malignome (primär, Metastasen)
  • epidurale Abszesse
  • Hämatome
  • Frakturenvaskuläre Malformationen
  • degenerative Wirbelsäulenveränderungen

Sicherheitshalber empfehlen sie, bei allen Notfallpatienten mit unteren Rücken- und/oder Beinschmerzen sowie Blasen- oder Darmproblemen, nach einem Kaudasyndrom zu fahnden. Gleiches gilt für eine neu aufgetretene sexuelle Dysfunktion und/oder neurologische Veränderungen an den Extremitäten. Verwechslungsgefahr besteht mit höher gelegenen Läsionen (z.B. zervikothorakale Kompression, Diszitis, Malignom) und nicht-spinalen Ursachen (z.B. akutes Aortensyndrom).

Anamnestisch sind die Symptome des CES gezielt zu erfragen. Dazu gehören sensorische Einschränkungen im Bereich von Anus, Perineum und/oder Genitalien. Auch mit Harn- und Stuhlinkontinenz oder -retention ist zu rechnen. Häufig leiden die Patienten an einer bilateralen Schwäche in den unteren Extremitäten und beidseitigen radikulären Beinschmerzen.

Bei der klinischen Untersuchung sollte die Sensitivität in allen lumbalen und sakralen Dermatomen geprüft werden sowie die Kraft in den Myotomen. Zu den typischen Befunden eines CES zählen eine Beinschwäche sowie perianale Sensibilitätsstörungen (S2–S4) und abgeschwächte Reflexe (Knie L4 und Knöchel S1).

Rektale Palpation eignet sich zum Test von S2–S4

Mit der digitalen rektalen Palpation lassen sich Sphinkterfunktion und Sensibilität erfassen, beide Parameter eignen sich zum Test der Segmente S2–S4. Einen einzelnen körperlichen Befund, der sich zum Ausschluss eines Kaudasyndroms eignet, gibt es nicht, betonen die Autoren. Aber eine sorgfältige neurologische Untersuchung hilft, andere Ursachen wie primäre urologische Probleme, aufzudecken. In erster Linie geht es darum, möglichst keinen Patienten mit Kaudasyndrom zu übersehen. 

Alle Patienten mit akut einsetzenden oder progredienten Symptomen, die zu einem Cauda-equina-Syndrom passen, sollten notfallmäßig eine MRT erhalten. Dieser Rat gilt auch, wenn die klinische Untersuchung keinen pathologischen Befund ergibt, die Anamnese aber zu einem CES passt. Allerdings lässt sich die Diagnose nur stellen, wenn beides zusammentrifft: klinische Symptome und pathologische Befunde in der spinalen Bildgebung.

Indikationen für Notfall-MRT

  • Schwierigkeiten, die Miktion zu starten oder mangelnde Wahrnehmung des Harnflusses
  • veränderte perianale, perineale und/oder genitale Sensibilität
  • schwere oder progrediente neurologische Defizite in beiden Beinen (z.B. Schwäche der Knieextension und Fußdorsalflexion)
  • Wahrnehmungsstörung für die rektale Füllung
  • fehlende Erektion und/oder Ejakulation, mangelnde Sensibilität in der Vagina

Diagnostischer Goldstandard ist die Magnetresonanztomografie der lumbosakralen Wirbelsäule. Sie liefert die beste Weichgewebsauflösung. Die Computertomografie kann diesbezüglich nicht mithalten, sie ist indiziert, wenn die MRT nicht durchgeführt werden kann. Röntgenaufnahmen eignen sich nicht zum Nachweis eines Kaudasyndroms.

Die Diagnose muss möglichst rasch gestellt werden, um eine rechtzeitige Operation zu ermöglichen. Die Dekompression innerhalb von 48 Stunden zeigt bessere Ergebnisse als ein späterer Eingriff, schreiben die Autoren. Die Schädigung der Cauda equina ist wahrscheinlich ein kontinuierlicher Prozess. Es gibt also keinen sicheren Zeitraum, um den man die Intervention verschieben könnte.

Kaudasyndrom auch ohne Kompression möglich

Etwa 5–11 % der Patienten, die wegen des Verdachts auf ein CES mittels einer MRT untersucht werden, haben tatsächlich ein Kaudasyndrom. Falls die Kernspindiagnostik keine Kompression ergibt, lassen sich eventuell andere Veränderungen eruieren, z.B. ein Diskusprolaps, der nur eine Nervenwurzel tangiert. Es ist aber auch möglich, dass sich ein CES in der MRT nicht erkennen lässt. In der Literatur mehren sich Berichte zu einem „scan-negativen CES“. Dieses wird möglicherweise u.a. durch eine zentrale und/oder periphere Störung der Blasen- und Darmfunktion ausgelöst.

Quelle: Metcalfe D et al. Emerg Med J 2023; DOI: 10.1136/emermed-2023-213151