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Antidiabetika Kardiovaskuläres Risiko im GRADE-Studienkollektiv eher gering

Autor: Dr. Judith Lorenz

Bei GRADE leider nicht dabei: SGLT2-Hemmer. Bei GRADE leider nicht dabei: SGLT2-Hemmer. © PeterHermesFurian – GettyImages
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Die randomisierte GRADE-Studie ging der Frage nach, welches Antidiabetikum Menschen mit Typ-2-Diabetes zusätzlich verordnet werden sollte, wenn Metformin allein nicht ausreicht. Nun liegt die Datenauswertung im Hinblick auf die mikro- und kardiovas­kulären Studienendpunkte vor.

Die Morbidität und Mortalität des Typ-2-Diabetes sowie die damit einhergehenden Kostenbelastungen sind im Wesentlichen auf mikrovaskuläre und kardiovaskuläre Spätfolgen zurückzuführen, sagt Professor Dr. David Nathan vom Massachusetts General Hospital Diabetes Center in Boston. Metformin ist bei dieser Art der Glukosestoffwechselstörung nach wie vor das Medikament der ersten Wahl. 

Leichter Vorteil für Liraglutid und Insulin glargin beim HbA1c

Gelingt damit allerdings keine ausreichende glykämische Kontrolle, soll die Behandlung um einen zweiten Wirkstoff erweitert werden. Welche Substanzklassen sich dazu am besten eignen, untersuchte die an 36 US-Kliniken durchgeführte GRADE-Studie.

An der Untersuchung nahmen 5.047 Personen mit einem Durchschnittsalter von 57 Jahren teil, die im Schnitt seit vier Jahren mit Typ-2-Diabetes lebten und trotz Metformintherapie einen HbA1c-Wert zwischen 6,8 und 8,5 % aufwiesen. Gemäß Randomisierung erhielt je etwa ein Viertel von ihnen zusätzlich zu Metformin Insulin glargin, den Sulfonylharnstoff Glimepirid, den GLP1-Rezeptoragonist (GLP1-RA) Liraglutid bzw. den DPP4-Hemmer Sitagliptin. Die metabolischen Studienergebnisse, welche die Wissenschaftler*innen separat publizierten, ergaben einen leichten Behandlungsvorteil von Insulin glargin und Liraglutid: Mit diesen beiden Wirkstoffen gelang es besser als mit Glimepirid und Sitagliptin, den HbA1c-Spiegel innerhalb des Zielbereichs zu halten. Mikrovaskuläre Komplikationen und kardiovaskuläre Ereignisse stellten sekundäre Studienendpunkte dar. 

Herz-Kreislauf-Risiko bei den Teilnehmenden relativ gering

Im Einzelnen waren dies Hypertonie, Dyslipidämie, Nierenfunktionsstörungen und diabetische periphere Neuropathie sowie weiterhin kardiovaskuläre Major-Ereignisse (Myokardinfarkt, Schlaganfall, Tod aufgrund kardiovaskulärer Ursachen) und „jegliche kardiovaskuläre Erkrankungen“ (kardiovaskuläre Major-Ereignisse, instabile Angina pectoris, stationär behandlungsbedürftige Herzinsuffizienz, arterielle Revaskularisierung).

GRADE: große Diabetesstudie mit kleinen Schwächen

Nach etlichen kardiovaskulären Endpunktstudien wurde mit GRADE vor wenigen Monaten eine lang erwartete „klassische” Diabetesstudie mit einem großen Patientenkollektiv und langem Beobachtungszeitraum veröffentlicht. Ziel war es, die Lücke in den Leitlinien mit Evidenz zu der Frage zu füllen, welche Antidiabetika beim Typ-2-Diabetes nach unzureichend erfolgreicher Erstlinientherapie mit Metformin zum Einsatz kommen sollten. Der Direktvergleich des Sulfonylharnstoffs Glimepirid, des DPP4-Hemmers Sitagliptin, des GLP1-­Rezeptoragonisten Liraglutid und des Basalinsulins Glargin liefert zwar wertvolle Erkenntnisse zur Kombinationstherapie, allerdings fehlt darin die längst etablierte Substanzklasse der SGLT2-Hemmer. Als mit Canagliflozin der erste SGLT2-Hemmer in den USA zugelassen wurde, war die GRADE-Studie bereits angelaufen.

Die Mehrzahl der Studienteilnehmenden wies bereits bei Studienbeginn eine Hypertonie oder Dyslipid­ämie auf. Mehr als 90 % der initial nicht betroffenen Personen entwickelten diese Komplikationen im Verlauf der durchschnittlich fünf Jahre dauernden Nachbeobachtungszeit. Im Hinblick auf neu aufgetretene Hypertonien, Dyslipidämien oder mikrovaskuläre Diabeteskomplikationen stellten die Forschenden keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen fest. Auch im Hinblick auf die Häufigkeit jeglicher kardiovaskulärer Erkrankungen unterschieden sich die vier Studienarme nur minimal. 

Der Vergleich jedes einzelnen Wirkstoffs mit den kombinierten Ergebnissen der drei anderen Wirkstoffe ergab allerdings für Liraglutid einen signifikanten Behandlungsvorteil: Der GLP1-RA senkte das Risiko für jegliche Herz-Kreislauf-Erkrankung um 29 %. Im Hinblick auf die übrigen kardiovaskulären Endpunkte inklusive der Mortalität schnitten die vier Wirkstoffe dagegen ähnlich ab. Das Herz-Kreislauf-Risiko war im Studienkollektiv per se relativ gering, gibt Prof. Nathan abschließend zu bedenken: Bei nur sechs Prozent der Studienteilnehmenden war es im Vorfeld bereits zu einem Myokardinfarkt oder Schlaganfall gekommen. 

Bei der Auswahl mehr als einen Effekt berücksichtigen 

Weiterhin hatte die Studie bezüglich einiger kardiovaskulärer Endpunkte sowie der kardiovaskulären Mortalität eine zu geringe Power. Ob Liraglutid tatsächlich besser vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützt als die anderen Wirkstoffe, sei derzeit nicht abschließend zu beantworten. Sein Rat: Bei der Auswahl der Antidiabetika sollten sowohl die glyk­ämischen Effekte der Wirkstoffe als auch ihre Effekte bezüglich der mikrovaskulären Langzeitfolgen sowie der kardiovaskulären Risikofaktoren und Komplikationen berücksichtigt werden.

Literatur:
GRADE Study Research Group; Nathan DM et al. N Engl J Med 2022; 387(12): 1075-1088; doi: 10.1056/NEJMoa2200436