Anzeige

Cannabiskonsum „Kiffen bitte frühestens ab 25!“

DGIM 2022 Autor: Dr. Sonja Kempinski

Das Gehirn der Heranwachsenden muss unbedingt vor Drogen geschützt werden, forderte Prof. ­Braus. Das Gehirn der Heranwachsenden muss unbedingt vor Drogen geschützt werden, forderte Prof. ­Braus. © iStock/MmeEmil
Anzeige

Auch wenn der Cannabisgebrauch bei Erwachsenen vertretbar erscheinen mag: Im Hirn von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden schlägt das psychoaktive Kraut ein wie eine Bombe. Und schon ein- oder zweimal Kiffen kann schwere Folgen für Kognition und Psyche haben.

Ob Alkohol, Nikotin oder psychotrope Cannabisprodukte: All diese Drogen zielen im Gehirn auf das Dopaminsystem. Als Neurotransmitter ist Dopamin zentral für die Belohnungserwartung und verantwortlich für Neugierde, Lust, Lernen und Handeln, erläuterte Prof. Dr. Dieter Braus vom Vitos-Klinikum Rheingau.

Auf dieser Grundlage lassen sich die Effekte des Tetrahydrocannabinols (THC) erklären, der wichtigsten psychoaktiven Substanz der Hanfpflanze. Akut benutzt führt THC zum Rausch. Chronischer Gebrauch indes erschöpft das dopaminerge System und kann u.a. Kognitionsstörungen und Motivationsverlust zur Folge haben.

Wegen der berauschenden Effekte nutzt die Menschheit die Cannabispflanze schon seit über 2.000 Jahren, berichtete Prof. Braus. Dennoch darf der Verweis auf die traditionelle Verwendung des Krauts keinesfalls als Freifahrschein für eine Legalisierung herhalten, betonte der Psychiater. Denn zwei Faktoren haben die negativen Auswirkungen der Droge früher in vertretbaren Grenzen gehalten: Zum einen lag der Gehalt an psychotropem THC im damals gängigen Hanf mit 1-2 % deutlich niedriger als in den hochgezüchteten Varianten von heute. Sie weisen meist 10–20 % THC auf, manchmal noch mehr. Außerdem war der Cannabisrausch in der Regel erwachsenen Männern vorbehalten. Frauen, Kinder, Jugendliche und Heranwachsende waren bei den Ritualen außen vor.

Unmissverständliche Einschränkungen machen auch heute ohne Frage Sinn, betonte Prof. Braus. Bei den Frauen sind es die Schwangeren, die in jedem Fall auf die Droge verzichten sollten. Denn inzwischen weiß man, dass Kiffen in der Schwangerschaft die Hirnentwicklung des Ungeborenen negativ beeinflusst.

Späte Reifung des dopaminergen Systems

Ebenso wichtig ist es aber, die Hirnreifung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Blick zu haben. Denn im Gegensatz zu anderen neuromodulatorischen Regelkreisen, die schon bei Geburt oder kurz danach ausgereift sind, ist dies beim dopaminergen System erst viel später der Fall.

Bei Männern gilt das Hirn bezüglich des Dopamins erst mit etwa 25 Jahren als fertig entwickelt, bei Frauen etwas früher. Vorher sind die entsprechenden Hirnareale für schädliche Einflüsse von außen äußerst vulnerabel, unterstrich Prof. Braus. Als besonders kritisch gilt die Zeit zwischen dem 11. und 16. Geburtstag.

Wie sich Cannabiskonsum im Teenageralter auswirken kann, führte der Referent am Fall eines Heranwachsenden eindrucksvoll per Video vor. Der Jugendliche hatte vom 11. Lebensjahr an vier- bis fünfmal täglich gekifft. Mit seinen schulischen Leistungen war es stetig bergab gegangen, die 10. Klasse des Gymnasiums musste er wiederholen. Vor allem die Anforderungen im Fach Mathematik wurden bald zum Riesenproblem, den Schulabschluss schaffte der junge Mann dann auch nicht.

„Mein Gehirn hat irgendwie versagt und mein IQ ist gesunken“, beschreibt er im Video. Währenddessen kann er kaum stillsitzen, wirkt fahrig und unruhig, spricht verwaschen und undeutlich. In die Psychiatrie kam der Teenager, weil er sich Haut und Lippen verbrannt hatte, aus Furcht, sie seien von Bakterien besetzt. Sein psychischer Befund war zusehends schlechter geworden, seit einiger Zeit hört er „schlechte Stimmen“.

Hirne im Nebel

Akut verstärkt der Gebrauch von THC-haltigem Cannabis die Dopaminfreisetzung im Hirn, was das beabsichtigte Hochgefühl auslöst. Doch schon nach viermaligem Kiffen – gerechnet auf die gesamte Lebenszeit – kann es Prof. Braus zufolge zur nachhaltigen Störung des Endocannabinoidsystems kommen, mit negativen Emotionen und nachfolgendem Suchtverhalten als Konsequenz. Vor allem chronischer Cannabismissbrauch im Teenageralter hat unter Umständen für die Kiffer schlimme Folgen:

  • verringerte Motivation mit Aufmerksamkeitsdefizit, höhere Ablenkbarkeit
  • geringeres Lernvermögen
  • sprachliche Verarmung, Störungen im mathematischen Denken
  • verminderte Gedächtnisleistung
  • erhöhte Irritabilität, innere Unruhe
  • Psychoseneigung

Für Prof. ­Braus ein typisches Bild, er sieht solche Fälle jede Woche in seiner Klinik. Für ihn passt das zu den Ergebnissen der zahlreichen Untersuchungen, die sich mit den Auswirkungen von Cannabiskonsum im Teen­ageralter beschäftigen.

Hohes Psychoserisiko durch Cannabiskonsum

Einer großen Kohortenstudie zufolge ist beispielsweise schon der geringe Gebrauch im Alter von 13 bis 16 Jahren mit einem dreifach erhöhten Psychoserisiko mit 18 verbunden. Eine andere Studie fand für verschiedene Länder einen Zusammenhang zwischen Cannabisgebrauch und primären Psychosen. Und nach der Entkriminalisierung von THC-haltigen Hanfprodukten in Portugal stieg dort die Anzahl der Klinikeinweisungen infolge primärer Psychose nach Missbrauch um das 29-Fache.

Eine andere Untersuchung unterstreicht die fatalen Auswirkungen der Droge auf die kognitiven Fähigkeiten. Bei Menschen, die schon vor dem 18. Lebensjahr Cannabis zu Rauschzwecken konsumiert hatten, ging der Intelligenzquotient bis zum 38. Geburtstag um bis zu 20 % zurück.

Schäden an grauer Substanz bei kiffenden Teenagern

Wurde erst nach dem 18. Lebensjahr erstmals gekifft, fielen die Folgen auch bei häufigem Gebrauch deutlich geringer aus. Besonders alarmierend sind für Prof. ­Braus jedoch die Ergebnisse einer prospektive Studie mit 13- bis 15-Jährigen. Nur ein bis zwei Cannabiserfahrungen in diesem Alter führten demnach zu messbaren Strukturveränderungen an der grauen Hirnsubstanz. Gleichzeitig war die Kognitionsleistung eingeschränkt.

Doch der THC-Gebrauch beeinträchtigt nicht nur Hirnbereiche, die für das Denken Bedeutung haben. Andere Areale mit einer großen Zahl an Cannabinoid-1-Rezeptoren sind von den strukturellen Veränderungen ebenfalls betroffen. Dazu gehört auch der mediale präfrontale Kortex, Teil des Angstnetzwerks. Die Folge: vermehrte innere Unruhe und Angststörungen bis hin zur Psychose.

Das Gehirn der Heranwachsenden muss unbedingt vor Drogen geschützt werden, forderte Prof. ­Braus. Der Legalisierung von Cannabis sieht der Psychiater und Neurologe deshalb mit Sorge entgegen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (­DGPPN) hat kürzlich in einem Positionspapier als Altersgrenze für den legalen Zugang zu Cannabisprodukten ein Alter von 21 Jahren gefordert. Prof. ­Braus geht das nicht weit genug. Für ihn ist ein – gelegentlicher – Cannabiskonsum frühestens ab dem 25. Geburtstag vertretbar.

Quelle: 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin