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Neurovaskuläre Notfälle Knifflige Gerinnsel

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Eine effektive neuroprotektive Therapie in Ergänzung zur Thrombektomie ist bei der Behandlung von Gerinnseln wünschenswert. Eine effektive neuroprotektive Therapie in Ergänzung zur Thrombektomie ist bei der Behandlung von Gerinnseln wünschenswert. © samunella – stock.adobe.com
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Antikoagulation, Lyse, Thrombektomie und im Extremfall Hemikraniektomie: Damit lassen sich neurovaskuläre Verschlüsse durchaus erfolgreich beherrschen. Doch längst sind nicht alle Fragen dazu gelöst.

Die Thrombektomie zählt zu den etablierten Verfahren bei akutem Verschluss eines Hirngefäßes. In einer Metaanalyse aus 2024 mit 22 Studien ermittelte man bei 82 % der knapp 5.700 ausgewerteten Patienten eine erfolgreiche Reperfusion. Werte von 0 und 1 in der modifizierten Rankin-Skala (mRS) als Marker für ein exzellentes Outcome erreichten aber nur 31 %, berichtete Prof. Dr. Rainer Kollmar von der Klinik für Neurologie und Neurointensivmedizin am Klinikum Darmstadt.

Offenbar reicht die Entfernung des Gerinnsels nicht aus, um das (umliegende) Gewebe ausreichend vor Schaden zu bewahren. Wünschenswert wäre also eine effektive neuroprotektive Therapie in Ergänzung zur Thrombektomie. Eine Studie mit der intraarteriellen Beigabe von Alteplase zeigte erste vielversprechende Ergebnisse, musste aber im Zuge der Coronapandemie abgebrochen werden. Eine weitere mit Tenecteplase i.a. läuft noch. „Wir müssen uns dabei aber vor allem fragen, wie es um ein möglicherweise erhöhtes intrazerebrales Blutungsrisiko steht“, warnte Prof. Kollmar. 

Untersuchungen mit ASS und unfraktioniertem Heparin wurden wegen Sicherheitsbedenken vorzeitig gestoppt, eine Studie mit Tirofiban verlief erfolglos. In der Prüfung befindet sich die Therapie mit Nerinetid. Dieses Eicosapeptid interagiert mit dem postsynaptischen Dichteprotein 95. In einer ersten Studie besserte die Sustanz additiv zur Thrombektomie das funktionelle Outcome nur in der Subgruppe von Patienten, die keine Alteplase erhielten. Möglicherweise gibt es Interaktionen mit dem Fibrinolytikum. Es wurde daher eine neue Untersuchung ohne Alteplase gestartet.

Unter ApTOLL geringere Behinderung und Mortalität

Erfolge erzielten Forscher dagegen mit ApTOLL. Dieses Aptamer antagonisiert den Toll-like receptor 4 und bessert das funktionelle Outcome in Modellen von ischämischem Schlaganfall und Herzinfarkt. In einer klinischen Studie erhielten es knapp 140 Patienten in vier verschiedenen Dosierungen binnen sechs Stunden als Add-on zur Thrombektomie. Mit einer Dosis von 0,2 mg/kg zeigte sich ein klinisch bedeutsamer Effekt in puncto Behinderung und Mortalität nach 90 Tagen im Vergleich zu Placebo. 

Schließlich gibt es auch Versuche mit normobarer Hyperoxie. In einer Studie erhielten 86 Patienten über insgesamt vier Stunden ergänzend 100 % Sauerstoff oder nicht. Bei den Hyperoxygenisierten war die Infarktgröße nach 24–48 Stunden signifikant kleiner (20,1 vs. 37,7 ml); der mittlere mRS lag nach 90 Tagen bei 2 vs. 3 ohne O2.
Mit raumfordernden Infarkten beschäftigte sich PD Dr. Eric Jüttler von der Neurologischen Klinik an den Kliniken Ostalb in Aalen. Beim malignen Mediainfarkt mit progredienter Hirndrucksteigerung sprechen alle Daten für eine chirurgische Intervention. Das gilt auch für alte Patienten, wie Dr. Jüttler in einer eigenen Studie ermittelte. Die Hemikraniektomie ist aber nach wie vor eine sehr komplikationsbehaftete OP und so bleibt es eine schwierige Therapieentscheidung

Wen, wann und wie behandeln? Diese Fragen sind laut Dr. Jüttler weiterhin nicht abschließend geklärt. Die europäische Leitlinie gibt eine starke Empfehlung für Patienten unter 60 Jahren, wenn der Eingriff binnen 48 Stunden durchgeführt werden kann – bei moderater Evidenz. Für Ältere besteht bei niedriger Evidenz nur eine schwache Empfehlung. Der Diameter des entnommenen Knochendeckels beträgt in der Regel etwa 15 cm, doch manche Untersuchungen favorisieren eine ausgedehntere Resektion – über die betroffene Hemisphäre hinaus.

Für eine begleitende Hypothermie konnten bislang keine Vorteile gezeigt werden, weshalb diese nicht angeraten ist. Für die routinemäßige Behandlung auf der Intensivstation, Hyperventilation und osmotische Therapie fehlt es an Daten. Die Intensivbehandlung wird befürwortet, Hyperventilation und osmotische Therapie dagegen nicht. Letzere kann man bei steigendem Hirndruck als Notfallintervention erwägen.

Ein wichtiger Punkt ist natürlich das „wann“. Je mehr Zeit vergeht, umso mehr Gewebe geht zugrunde. Als wichtigstes Kriterium gilt die klinische Verschlechterung, doch wie genau soll sie definiert werden? Die Mittellinienverlagerung hat ebenfalls große Bedeutung, aber wenn sie auftritt, liegt meist schon großer Schaden vor. „Der intrakranielle Druck steigt, wenn eigentlich schon eine Herniation vorliegt“, warnte der Neurologe. Daher wird die kontinuierliche Druckmessung auch nicht als sinnvoll erachtet. Es bleibt daher wohl vorläufig bei dem bisher avisierten Zeitfenster von weniger als 48 Stunden. Generell sollte die Entscheidung für oder gegen die Trepanation immer in Abstimmung mit den Betroffenen bzw. seinen Angehörigen getroffen werden.

Der Stellenwert invasiver Interventionen bei der zerebralen Venen-/Sinusthrombose (CVST) war das Thema von Prof. Dr. Silvia Schönenberger von der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Sie fasste zunächst noch einmal die klassischen Therapieprinzipien zusammen. In der Akutphase erfolgt die Heparinisierung der Patienten – unabhängig davon, ob eine intrazerebrale Blutung (ICB) vorliegt oder nicht. 

In der klinisch stabilen Phase schließt sich die orale Antikoagulation an. Sie erfolgt vorzugsweise mit NOAK für mindestens drei, bei hoher Thrombuslast für zwölf Monate. Die Entscheidung für oder gegen eine Sekundärprophylaxe fällt dann nach Abwägung von Rezidiv- gegen Blutungsrisiko. Solange erhöhte Gefahr für einen erneuten Verschluss besteht, lässt man die Antikoagulation unbefristet weiterlaufen.

Die transarterielle Lyse wird nicht mehr durchgeführt

Patienten mit Hirndruckzeichen sollte man in ein Zentrum mit Neuroradiologie/-chirurgie verlegen. Die interventionelle Therapie stützt sich auf die transvenöse Thrombektomie mit Stentretrievern oder Aspirationskathetern, eine transarterielle Lyse wird heute nicht mehr durchgeführt.

Lyse trotz NOAK

Die meisten Menschen, die wegen Vorhofflimmern antikoaguliert sind, erhalten heute ein NOAK. Doch so effektiv die Substanzen sind: Jedes Jahr erleiden bis zu 10 % der so behandelten Patienten einen ischämischen Infarkt. Viele von ihnen sieht man in einem lysierbaren Zeitfenster, berichtete Prof. Dr. Simon Nagel von der Klinik für Neurologie am Klinikum Ludwigshafen. Aber höchstens 10 % derer, die dafür infrage kommen, erhalten die Therapie.

Eine weniger als 48 Stunden zurückliegende NOAK-Einnahme ist zwar den Leitlinien zufolge eine Kontraindikation. Doch diese Sichtweise könnte angesichts neuerer Erkenntnisse zu kurz greifen, sagte Prof. Nagel.

Für Dabigatran stellt sich die Situation am einfachsten dar, weil es mit Idarucizumab antagonisiert werden kann. Anschließend führt eine Lyse nicht zu vermehrten Komplikationen, wie Studien zeigen. Nehmen die Patienten Anti-Xa-Hemmer, bestimmen manche Zentren zunächst den Wirkspiegel und entscheiden dann über die Behandlung.

In Ludwigshafen gehen die Kollegen folgendermaßen vor: Zunächst wird geprüft, ob eine klare Lyseindikation vorliegt, d.h., es muss ein klares Perfusionsdefizit nachgewiesen sein und der Patient sollte möglichst keine andere relative Kontraindikation haben (Zeitfenster, schwerste Mikroangiopathie etc.). Zudem erhalten nur Patienten eine Lyse, bei denen keine Möglichkeit für eine mechanische Thrombektomie besteht oder bei denen die CT-to-groin-Zeit zu lang ausfallen würde. Aktuell gilt zudem noch, dass die letzte Xa-Hemmer-Einnahme vor mehr als acht Stunden erfolgt sein muss.

Patienten unter Dabigatran erhalten die Antagonisierung. Bei allen anderen werden die Wirkspiegel zwar bestimmt, mit der Lyse aber nicht auf das Ergebnis gewartet. Stattdessen erfolgt eine erweiterte Off-Label-Aufklärung.

Für dieses Vorgehen spricht unter anderem eine große Metaanalyse aus dem vergangenen Jahr. Sie ergab, dass die Vortherapie mit einem NOAK nicht mit einem erhöhten Risiko für eine intrazerebrale Blutung nach Lyse einhergeht.

Ob die Entfernung des Gerinnsels alleine oder additiv zur Antikoagulation das klinische Outcome verbessert, ist noch unklar. Die Leitlinie empfiehlt, die endovaskuläre Rekanalisation im Einzelfall in Betracht zu ziehen, wenn sich der Patient unter ausreichender Antikoagulation klinisch verschlechtert.

Die dekompressive Hemikraniektomie mit oder ohne Hämatomausräumung bei einer CVST mit Parenchymläsion(en) und drohender Einklemmung hat in einer Auswertung von 69 Patienten zu guten medianen mRs-Werten geführt. Sie wird daher in diesen Fällen von den Leitlinienexperten befürwortet.

Quelle: Wolf ME et al. J Clin Med 2021; 10, 1599; DOI: 10.3390/jcm10081599; CC-BY 4.0