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Sport Myokine und Exerkine in Bewegung

Autor: Dr. Andrea Wülker

Regelmäßige Muskelarbeit regt unter anderem die Bildung von entzündungshemmenden Stoffen an. Regelmäßige Muskelarbeit regt unter anderem die Bildung von entzündungshemmenden Stoffen an. © LIGHTFIELD STUDIOS – stock.adobe.com
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Körperliche Aktivität hat etliche positive Auswir­kungen auf die physische und psychische Gesundheit, weshalb man sie gerne mit einer Polypill vergleicht. In den letzten Jahren konnte die Forschung zumindest teilweise aufdecken, welche Biomoleküle hinter den gesundheitsfördernden Effekten stecken.

Die Skelettmuskulatur ist nicht nur für Bewegung zuständig, sondern setzt auch zahlreiche Signalmoleküle frei. Diese Zytokine, Chemokine und Peptide, die von der Skelettmuskulatur produziert bzw. sezerniert werden und auto-, para- und endokrine Wirkungen entfalten, werden unter dem Begriff Myokine zusammengefasst, schreiben Prof. Dr. Dr. ­Christine ­Joisten und Dr. ­Nina ­Ferrari von der Deutschen Sporthochschule Köln. Vor ein paar Jahren wurde zusätzlich der Begriff Exerkine eingeführt. Darunter versteht man belastungsinduziert freigesetzte Zytokine, Peptide und Metaboliten anderer Organe/Gewebe (Leber, Herz, Fettgewebe u.a.), die das antiinflammatorische Potenzial von Bewegung abbilden.

Ein wichtiges Myokin ist das pleio­trope Zytokin Interleukin-6 (IL-6). Bereits vor 25 Jahren konnte ein Anstieg von IL-6 nach einem Marathonlauf um das etwa 100-Fache nachgewiesen werden. Der IL-6-Anstieg ist nicht wie früher angenommen Ausdruck eines Muskeltraumas, sondern tatsächlich Folge der Muskelkontraktion. Die intramuskuläre IL-6-Expression verläuft anders als die bei einer klassischen Entzündungsreaktion relevante IL-6-­Signalgebung in Makrophagen und sie ist nicht von einer IL-1- bzw. TNF-a-Steigerung begleitet. Stattdessen kommt es parallel zu einer erhöhten Produktion des IL-1-Rezeptorantagonisten sowie von ­IL-10, die beide proinflammatorische Signaltransduktionen hemmen.

Weißes wird in braunes Fett umgewandelt

Neben IL-6 sind Hunderte weiterer Myokine beschrieben. Dazu gehören z.B. IL-7, brain-derived neurotrophic factor (BDNF), Myostatin und der leukämiehemmende Faktor (LIF), die im Wesentlichen den Muskelumbau und die Hypertrophie induzieren. An der Stimulierung der Oxidation freier Fettsäuren und der Lipolyse beteiligt sind neben IL-6 und IL-15 der meteorin-like glial cell differentiation regulator (METRNL) und die Beta-Amino­isobuttersäure (BAIBA). Sie induzieren unter anderem die Umwandlung von weißem in braunes Fett, das die Thermo­genese des Körpers unterstützt. Des Weiteren verbessern Myokine die Endothelfunktion. Sie regen die Angiogenese an und unterstützen die Knochenbildung zum Beispiel durch follistatin-related protein 1.

Wie viel Sport sollte es sein? Welche Effekte sind zu erwarten?

Aktuell werden pro Woche 150 bis 300 Minuten moderat intensive oder 75 bis 150 Minuten intensive körperliche Aktivität oder eine Kombination daraus empfohlen. Erwachsene sollten zusätzlich an zwei oder mehr Tagen pro Woche ein Krafttraining absolvieren, das alle großen Muskelgruppen einbezieht. Bewegung wirkt sich in vielerlei Hinsicht positiv aus. Dazu zählen z.B.:

  • Reduktion der kardiometabolischen und Gesamtmorbidität und -mortalität
  • Verbesserung der Lipidwerte
  • Verbesserung des Kohlenhydratstoffwechsels (Verbesserung von HbA1c und Insulinsensitivität)
  • Reduktion von Inflammation
  • Abnahme von BMI und Körperfett
  • psychosoziale Benefits (weniger Depressionen, Ängste, psychosozialer Stress etc.)
  • Ökonomisierung der Herzarbeit
  • Verbesserung der Fließeigenschaften des Blutes

Ein überwiegend sitzender Lebensstil gilt heute als eigenständiger Risikofaktor für nicht übertragbare Erkrankungen. Bei inaktivem Lebensstil muss von einer vermehrten Produktion entzündungsfördernder Faktoren ausgegangen werden. Daher sollte die tägliche Sitzzeit möglichst reduziert werden.

Außer Muskelfasern tragen auch Fibroblasten, Immunzellen, Endothelzellen sowie die extrazelluläre Matrix zur Freisetzung von Zytokinen bei. Hinzu kommen weitere Biomoleküle, die als Peptide oder Metaboliten infolge einer Belastung oder eines Trainings von fast jedem Organ in den Blutkreislauf entweder direkt oder durch extrazelluläre Vehikel wie Exosomen abgegeben und zu den jeweiligen Rezeptoren und Zielmolekülen transportiert werden. Ziele für diese Exerkine finden sich unter anderem in der Skelettmuskulatur, im Fettgewebe, in Leber, Bauchspeicheldrüse, Knochen, Herz, Gehirn und Immunzellen. Exerkine bilden unter anderem das antiinflammatorische Potenzial von Bewegung ab. Beispiele für Exerkine, die das kardiometabolische System betreffen, sind Adiponectin, Angiopoietin-1, IL-6, IL-7 und IL-8, Katecholamine und VEGF.

Komplexe Vorgänge noch nicht abschließend geklärt

Die genannten Biomoleküle stellen nur einen Ausschnitt der vielfältigen Vorgänge im Zusammenhang mit körperlicher Aktivität und Inflammation dar – die tatsächlich Verhältnisse sind deutlich komplexer. Viele Fragen z.B. zu den Signalwegen, aber auch zu Bewegungsformen, Intensität und Dauer körperlicher Aktivität sind derzeit noch offen.

Insgesamt bestätigt sich jedoch immer wieder die große Bedeutung von körperlicher Bewegung – sowohl epidemiologisch wie auch auf molekularbiologischer Ebene. Vor diesem Hintergrund sind die zunehmend zu beobachtende körperliche Inaktivität und deren Folgen für die individuelle und öffentliche Gesundheit höchst bedenklich. Daher fordern die beiden Autorinnen ein Public-Health-Konzept, das Bewegung und körperliche Aktivität nachhaltig fördert.

Quelle: Joisten C, Ferrari N. internistische praxis 2023; 67: 101-116