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Europa Prima Klima für Blutsauger

Autor: Alexandra Simbrich

Zustechen, rein mit dem Rüssel und saugen: Wenn der Holzbock Erreger im Gepäck hat, kann das für den Menschen gefährlich werden. Zustechen, rein mit dem Rüssel und saugen: Wenn der Holzbock Erreger im Gepäck hat, kann das für den Menschen gefährlich werden. © shishiga – stock.adobe.com
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Zecken gehören zu den Nutznießern des Klimawandels, denn die Spinnentiere vermehren sich bei mildem Wetter schneller. Für uns Menschen bedeutet das ein erhöhtes Risiko für zeckenübertragene Erkrankungen.

Europa erwärmt sich durch den Klimawandel am schnellsten von allen Kontinenten. Die steigenden Temperaturen bieten Zecken ideale Bedingungen: Sie beschleunigen ihre Vermehrung und verlängern ihre aktive Zeit. Zudem ziehen wärmere Wetterperioden die Menschen häufiger in die Natur, schreiben Laura Jung vom interdisziplinären Zentrum für Infektionsmedizin des Universitätsklinikums Leipzig und Kollegen. Dadurch steigt das Risiko für Infektionskrankheiten. Wie Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), aber auch seltenere zeckenübertragene Erkrankungen mit dem Klimawandel zusammenhängen, haben die Autoren für mehrere Gattungen der Schildzecken (Ixodidae) näher beleuchtet.

FSME

FSME zählt zu den gefährlichen Folgen eines Zeckenstichs und kann zu dauerhaften neurologischen Schäden führen. Etwa 1 % der Infektionen verläuft tödlich. Dass der Erreger sich hierzulande ausbreitet, zeigen Daten des RKI: Von 2002 bis 2022 haben sich die Fallzahlen gegenüber den 20 Jahren davor verdreifacht. Das FSME-Virus wird vor allem durch den gemeinen Holzbock (Ixodes ricinus) und die Auwald- oder Wiesenzecke (Dermacentor reticulatus) übertragen. Sie sind in Deutschland und im Großteil Europas die am häufigsten vorkommenden Schildzeckenarten. Hohe Luftfeuchtigkeit und milde Temperaturen begünstigen ihre Entwicklung. Daher wird erwartet, dass sie sich insbesondere in Nord- und Osteuropa weiter ausbreiten. Als möglicher Überträger gilt zudem die Reliktzecke (Haemaphysalis concinna). Sie kommt vor allem in den warmgemäßigten Klimazonen Eurasiens vor; ihre Verbreitung reicht in Nord-Süd-Richtung etwa von Nordspanien bis Mecklenburg.

Borreliose

Borreliose ist die häufigste vektorübertragene Infektion in Deutschland. Die Inzidenz in Europa liegt bei 23/100.000. Als Vektor fungiert vor allem I. ricinus. Heiße, trockene Sommer sind ungünstig für die Spinnentiere, dennoch haben sie von den klimatischen Veränderungen bislang profitiert: Ihre aktive Zeit startet inzwischen früher und dauert länger, wodurch sie öfter in Kontakt mit Menschen kommen. Vor allem in Nordeuropa hat dies bereits dazu geführt, dass die Borreliose häufiger und mit einer veränderten Saisonalität auftritt. Als weiterer Überträger wird I. inopinatus vermutet.

Humane granulozytäre Anaplasmose

In Europa sind bisher nur wenige meist milde Fälle der humanen granulozytären Anaplasmose (HGA) bekannt. Zu den Symptomen zählen Fieber, Kopfschmerzen, Myalgien und Arthralgien. Aufgrund fehlender Meldepflichten gibt es keine Daten zur Inzidenz. Die Erkrankung wird vor allem durch den feuchtwarmes Klima liebenden Holzbock (I. ricinus) übertragen. Das HGA-Risiko wird den Autoren zufolge in Europa zunehmen. Sie berichten von einem spanischen Ausbruch im Jahr 2014, den sie dem günstigen Klima und dem engen Kontakt von wilden und domestizierten Wiederkäuern zuschreiben.

Tularämie

Bislang ist die Tularämie selten, wobei die Zahlen in der Europäischen Union zuletzt auf 876 Fälle im Jahr 2021 angestiegen sind. Die meisten Meldungen stammten dabei aus Finnland, Frankreich, Deutschland und Schweden. Die Zahlen gipfeln in den Sommer- und Herbstmonaten, wenn es häufiger zum Kontakt mit Menschen kommt. Wirte des Erregers F. tularensis sind insbesondere Hasen, Kaninchen und Mäuse, aber auch andere Wild- und Haustiere. Neben Stechmücken fungieren vor allem die Schildzecken I. ricinus und D. reticulatus als Vektoren. Modellrechnungen zufolge könnten Tularämie-Ausbrüche in Teilen Schwedens klimabedingt zukünftig länger dauern. Auch H. concinna gilt nachweislich als Überträger von F. tularensis, für Deutschland ist jedoch noch kein Fall bekannt.

Hämorrhagisches Krim-Kongo-Fieber

Das Krim-Kongo-Fieber (Crimean-Congo haemorrhagic fever, CCHF) ist bislang in über 30 Ländern in Afrika, Asien und Süd- bzw. Südosteuropa beschrieben worden und damit die am weitesten verbreitete zeckenübertragene Erkrankung. Das CCHF-Virus wird durch Hyalomma-Zecken übertragen. Über 80 % der Fälle verlaufen asymptomatisch oder mild. Als kritisch gelten die schweren Verlaufsformen. Diese sind durch hämorrhagisches Fieber mit Schock und Multiorganversagen sowie eine relativ hohe Letalität (ca. 30 %) gekennzeichnet.

Als wichtigster Vektor in Europa und Asien fungiert H. marginatum. In Mitteleuropa wurde 2006 erstmals eine Hyalomma-Zecke entdeckt. Seit Sommer 2018 hat die Zahl der Funde zugenommen, wobei das CCHF-Virus in den Zecken bislang nicht nachgewiesen wurde. Prognosen zufolge wird sich H. marginatum in Europa klimabedingt zunehmend verbreiten: Die Zecke bevorzugt hohe Sommertemperaturen und kann Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen gut tolerieren.

Andere zeckenübertragene Infektionen

Auch das Risiko für andere zeckenassoziierte Erkrankungen wie das Mittelmeerfleckfieber und andere Rickettsiosen, die viszerale Leishmaniose und das Q-Fieber könnte zukünftig steigen. Denn die Vektorzecken, darunter die braune Hundezecke (Rhipicephalus sanguineus), I. inopinatus und H. concinna, etablieren sich in Deutschland oder breiten sich weiter aus. Eine kontinuierliche Surveillance, präventive Maßnahmen und aktiver Klimaschutz sind den Autoren zufolge daher von enormer Bedeutung, um die Risiken für die Bevölkerungsgesundheit zu minimieren.

Quelle: Jung L et al. Flug u Reisemed 2024; 31: 13-24; DOI: 10.1055/a-2168-0527