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Fortpflanzungsmedizin Schöne neue Kinder

Autor: Michael Brendler

Schon jetzt Realität ist laut Prof. Strohmer die Anwendung von Algorithmen, die aus Bildinformationen errechnen, welche der künstlich befruchteten Eizellen am ehesten eine erfolgreiche Schwangerschaft verspricht. Schon jetzt Realität ist laut Prof. Strohmer die Anwendung von Algorithmen, die aus Bildinformationen errechnen, welche der künstlich befruchteten Eizellen am ehesten eine erfolgreiche Schwangerschaft verspricht. © Tom – stock.adobe.com
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Schwanger werden mit sich selbst, das Designerbaby nach Wunsch – ein Reproduktionsmediziner wirft einen Blick in die Zukunft seines Fachs. Dieser fasziniert und erschreckt zugleich.

Fast 50 Jahre nach der Geburt von Louise Brown, des ersten in vitro gezeugten Menschs, verhilft die Fortpflanzungsmedizin immer mehr Menschen zu einem Kind. Dieser Trend hält nicht nur an, durch neue Technologien rückt gleichzeitig bislang Undenkbares in greifbare Nähe: z.B. dass ein Mensch mit sich selbst ein Kind zeugt.

Bei Mäusen ist dieser Versuch gelungen und damit der Proof of Principle erbracht: Adulte Körperzellen können in pluripotente Stammzellen und die wiederum in zeugungsfähige Ei- und Samenzellen umgewandelt werden. „Noch ist nicht abzusehen, wie lange es dauern wird, bis das beim Menschen möglich ist“, schreibt Prof. Dr. Heinz Strohmer­ vom österreichischen Kinderwunschzentrum an der Wien. „Das würde die Kinderwunschtherapie völlig revolutionieren.“ Und wäre letztendlich der letzte Schritt in einer Reihe von erfolgreichen Versuchen, immer größeren Bevölkerungskreisen die Fortschritte der Reproduktionsmedizin zugänglich zu machen.

Die intrazytoplasmatische Spermieninjektion hat Prof. Strohmer zufolge als Weiterentwicklung der klassischen In-vitro-Fertilisation (IVF) beispielsweise dafür gesorgt, dass inzwischen mehr IVF-Zyklen wegen männlicher als weiblicher Zeugungseinschränkung vorgenommen werden. Medical Egg Freezing ermöglicht es inzwischen vielen Patientinnen, denen unfruchtbar machende Therapien bevorstehen, durch das Einfrieren von Eizellen später ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Eizell-, Samen- und Mitochondrienspende erlauben heute theoretisch sogar die Option, dass an der Entstehung eines Kindes bis zu sechs Personen beteiligt sind – falls die eine Leihmutter das Kind austrägt und das Paar mit dem Kinderwunsch an dem Prozess biologisch nicht beteiligt war, berichtet der Reproduktionsmediziner. Nur zeige sich, „dass die Gesetzgebung den rasanten medizinischen und gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherhinkt“.

Ist die neue Diagnostik ein Fluch oder Segen?

Und es zeichnet sich ab, dass die zuständigen Behörden in Zukunft noch mehr unter Druck stehen könnten. „Jedem Menschen sein gesundes Kind!“, formuliert Prof. Strohmer eine der Forderungen, mit der sein Fach zukünftig wohl konfrontiert werden wird. Bislang dürfen Präimplantationsdiagnostik wie die Blastomerenbiopsie oder die Polkörperchendiagnostik und das Aussortieren von Embryonen mit Chromosomenstörungen oder monogenetischen Erkrankungen nur in ganz bestimmten Fällen in Anspruch genommen werden. Jedoch entwickelt sich die mögliche Diagnostik kontinuierlich weiter, z.B. durch das Wissen aus dem Human Genome Project und der verbesserten Technik. Mittlerweile kostet eine Genomsequenzierung weniger als 1.000 Euro – Tendenz fallend. Unter Umständen könnte es bald zum Standard werden, Embryos vor dem Einsetzen in die Gebärmutter vollständig zu sequenzieren und theo­retisch „damit das Erkennen von Krankheiten in einem großen Ausmaß zu ermöglichen“.

Der chinesische Forscher Jiankui He probierte bereits aus, welche neuen therapeutischen Optionen sich damit eröffnen. Mithilfe der Gen­schere CRISPR/Cas führte er mutmaßlich 2018 den ersten Eingriff in die menschliche Keimbahn durch, mit dem Ziel, die entstandenen Kinder gegen eine HIV-Infektion zu schützen. Welche Konsequenzen sich daraus ergeben – auch im Hinblick auf Nebeneffekte – bleibt abzuwarten. Es sei allerdings möglich und wahrscheinlich, dass bei dem ein oder anderen Begehrlichkeiten geweckt werden, prognostiziert Prof. Strohmer. Das beinhalte auch, dass man über Eingriffe an Embryonen diskutieren wird, „die nicht zwingend einen medizinischen Hintergrund haben müssen“.
Frei nach dem Motto „Jedem Menschen sein gesundes, hübsches und kluges Kind“ verweist er damit auf ein weiteres Szenario: „Genetic phenotyping“, d.h. das Aussehen eines Menschen anhand der Gene zu prognostizieren. Zwar gelang dies Craig Venter 2017 nur sehr beschränkt, aber das Interesse an dieser Option sei definitiv vorhanden.

Ein Blick in die Zukunft der Medizin kommt heutzutage nicht mehr um das Thema Künstliche Intelligenz herum. Bislang richten sich die Bemühungen in der Reproduktionsmedizin v.a. darauf, das Potenzial der KI zukünftig für bessere Voraussagen zu nutzen. Zum Beispiel hinsichtlich der Frage: Welche Patientin hat gute Chancen, schwanger zu werden? Oder: Welcher Embryo in der Petrischale weist die besten Erfolgschancen auf?

Entscheidet ein Algorithmus darüber, wer geboren wird?

Schon jetzt Realität ist laut Prof. Strohmer die Anwendung von Algorithmen, die aus Bildinformationen errechnen, welche der künstlich befruchteten Eizellen am ehesten eine erfolgreiche Schwangerschaft verspricht. Dabei wird die Entwicklung aber nicht stehen bleiben, glaubt der Fortpflanzungsmediziner. Seiner Meinung nach könnte die Gesellschaft sogar irgendwann an den Punkt kommen, an dem einige Menschen ihre Geburt dem „undurchschaubaren Algorithmus einer Maschine verdanken“, der relevante genetische Informationen vorsortiert.

Quelle: Strohmer H. intern praxis 2023; 66: 670-677