Hirn-OP ließ Tics verschwinden Seltener Tumor war für Zuckungen an Augenlid und Mundwinkel verantwortlich

Autor: Dr. Vera Seifert

Auslöser für eine solche Dysfunktion könnten genetische Faktoren, aber auch z. B. Infektionskrankheiten, Medikamente oder Umweltgifte sein. Auslöser für eine solche Dysfunktion könnten genetische Faktoren, aber auch z. B. Infektionskrankheiten, Medikamente oder Umweltgifte sein. © ZETHA_WORK - stock.adobe.com

Alle paar Tage Blinzelanfälle des rechten Auges: So äußerte sich die vermeintliche Tic-Störung eines neun Jahre alten Jungen aus der chinesischen Provinz Guizhou. Vor einem Bildschirm verschlimmerten sich die Symptome. Die Eltern suchten zwar ärztlichen Rat, weil die Anfälle aber als habituell gewertet wurden, erfolgten zunächst keine diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen.

Zunahme der Symptome nach einem halben Jahr

Nach etwa sechs Monaten kam ein Tic der rechten Mundhälfte dazu. Nun suchten die Eltern die Abteilung für pädiatrische Neurologie im Volkskrankenhaus der Provinz Guizhou auf, wie ein Team um Yun Chen von der dortigen Klinik schreibt. Die Anfälle von Auge und Mund ließen sich nicht willkürlich unterdrücken, zeigten sich nie im Schlaf und traten nicht immer synchron auf. Das Routinelabor ergab Normalwerte. Das EEG deckte keine Krampfaktivitäten auf.

Wie es zu Tic-Störungen kommt, ist noch nicht vollständig geklärt. Meist bleibt die Ursache unklar. Weil die Tics sich in diesem Fall aber kaum durch bestimmte Sensationen ankündigten und sie streng einseitig blieben, machte sich das Ärzteteam auf die Suche nach möglichen sekundären Ursachen.

Tatsächlich fand sich in der Hirn-MRT ein hyperintenser Bezirk von 15 x 18 x 19 mm im linken Thalamus. Die neuropathologische Analyse ergab eine Mischung aus Nerven- und Gliagewebe, wie sie typischerweise bei einem Gangliogliom auftritt. Daraufhin wurde der Tumor chirurgisch entfernt, was den Jungen von der Tic-Störung befreite. Allerdings zeigten sich nach dem Eingriff Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen. Letztere waren nach vier Monaten verschwunden, die Sprache blieb aber verlangsamt.

Die meisten Tics bestehen aus kurzen, ruckartigen Bewegungen im Bereich von Gesicht, Nacken, Schultern oder Stamm. Bei den idiopathischen Tics unterscheidet man transiente und chronische Tics sowie das Tourette-Syndrom. Komorbiditäten wie ADHS, Zwangs- oder Angststörungen sowie Lernprobleme und selbstverletzendes Verhalten kommen häufig vor. Bei dem beschriebenen Patienten fand sich keine dieser Erkrankungen.

Ursprung von Tics ist noch nicht vollständig erforscht 

Neuroanatomische und pathophysiologische Mechanismen sind noch nicht vollständig erforscht. Man nimmt aber an, dass ein gestörter kortiko-striato-thalamo-kortikaler Regelkreis sowie Ungleichgewichte von Neurotransmittern eine Rolle spielen. Auslöser für eine solche Dysfunktion könnten genetische Faktoren, aber auch z. B. Infektionskrankheiten, Medikamente oder Umweltgifte sein. 

Bei atypischen Symptomen eine MRT erwägen

Dass ein Tumor zu einem Tic führt, komme äußerst selten vor, schreibt das Autorenteam aus China. Bisher sind nur sechs derartige Fälle beschrieben. Der Thalamus scheint eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Tic-Störungen zu spielen, vermuten die Forschenden, obwohl es bei den meisten Thalamusläsionen nicht zu Tics kommt. Eine MRT wird bei Tic-Störungen nicht routinemäßig durchgeführt. Das Autorenteam rät aber bei atypischen Symptomen dazu. Dazu zählen fehlende Vorboten, einseitiges Auftreten, neue neurologische Symptome nach dem Sistieren des Tics, neurokutane Stigmata und eine Verschlechterung neuropsychiatrischer Symptome.

Quelle: Chen Y et al. Neurology 2024; 103: e210101; DOI: 10.1212/WNL.0000000000210101