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Thrombosetanz der Moleküle So hängen Tumorprogress, Blutgerinnung und die Checkpoint-Blockade zusammen

ADO 2023 Autor: Dr. Susanne Gallus

Die gelb angefärbten Mikrokörperchen enthalten den von Willenbrand Faktor. Die gelb angefärbten Mikrokörperchen enthalten den von Willenbrand Faktor. © Science Photo Library/Zbaeren, J./EURELIOS
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„Tumoren machen Thrombosen.“ So simpel das der Experte zusammenfasste, so komplex sind die Mechanismen, die dahinterstecken. Allerdings steht man thrombotischen Ereignissen nicht hilflos gegenüber. Die richtige Intervention könnte unnötig frühe Todesfälle oder schwere thrombotische Komplikationen bei Krebspatient:innen verhindern. Potenziell geeignete Zielstrukturen gibt es einige.

Krebskranke haben ein vier- bis siebenfach erhöhtes Throm­boserisiko. Oder aus dem anderen Blickwinkel betrachtet: Jedes fünfte venöse thromboembolische Ereignis (VTE) hängt mit einer malignen Erkrankung zusammen, berichtet Prof. Dr. Thomas ­Renné, Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.­­1 „Tumoren machen Thrombosen“ und thrombotische Komplikationen stehen bei den Todesursachen der Krebskranken auf dem zweiten Platz.

Die Mechanismen, die hinter der erhöhten tumorassoziierten Koagulation stecken, sind vielseitig. Wichtige Komponenten sind 

  • der Tissue-Faktor (TF), 
  • eine gehemmte Fibrinolyse, 
  • die Aktivierung von Koagulationsfaktoren sowie 
  • Exosomen, die vom Tumor freigesetzt werden (siehe Kasten). 
  • Auch durch den Tumor aktivierte NET (neutrophil extracellular traps) spielen in der Koagulation eine Rolle, da die ausgestülpten DNA-Fäden ebenfalls prothrombotische Reaktionen auslösen. 

Derzeit wird untersucht, wie gut sich rekombinante DNAsen bezüglich der NET in der Therapie eignen. 

Woher kommt die Gerinnung?

„Der Tissue-Faktor ist einer der Starter der Gerinnung und den gibt es auf den Tumorzellen vermehrt“, erläuterte Dr. Renné. „Mehr Starter heißt mehr Aktivität, heißt mehr Gerinnung.“ Für das Mehr an TF sorgen allerdings nicht nur Krebszellen. Die tumorassoziierten, 150 nm großen Mikropartikel vergrößern die prokoagulante Oberfläche. Ein weiterer Mechanismus betrifft die langkettigen Polyphosphate. Diese sind als dichte Granula Bestandteil der Blutplättchen und führen über die Faktor-XII-Aktivierung zur selektiven Thrombusbildung. Allerdings tragen auch die Tumormikropartikel bzw. Exosomen solche Polyphosphate auf der Oberfläche, die für den aktivierten Faktor-XII und damit für Gerinnsel sorgen.

Im Gegensatz zur TF-Blockade führt eine Faktor-XII-Hemmung (alternativ Faktor-XI-Hemmung) allerdings nicht zum Verbluten der Behandelten, sondern verhindert selektiv die Thrombusbildung. Dieser Ansatz wird daher auch in laufenden klinischen Studien verfolgt.

Die thrombotischen Ereignisse bringen nicht nur selbst das Leben der Patient:innen in Gefahr, sondern wirken sich zusätzlich negativ auf die Prognose aus. Wie Dr. Alexander­ Bauer von der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie am UKE berichtete, fördern VTE die Tumorprogression.2 Traten bei Melanompatient:innen unter Immuncheckpoint-Blockade VTE auf – eine häufige Komplikation in dieser Konstellation –, sank das Zwei-Jahres-Gesamtüberleben in einer Untersuchung von 71,3 % auf 50,8 %. Und die Patient:innen starben in der Regel nicht an den Thrombosen, ergänzte Dr. Bauer. 

Einer der Gründe dafür ist, dass Tumoren das Endothel aktivieren und damit den von-Willebrand-Faktor (vWF) induzieren – indirekt über den TF und direkt über den ­VEGF-A. 

Die vWF-Fäden sorgen wohl nicht nur für die Thrombozyten­adhäsion und Thrombosen. Im Mausmodell ließen sich Hinweise darauf finden, dass vWF an der Tumormetastasierung beteiligt ist bzw. eine Antikoagulation mit Tinzaparin sowohl den aktivierten vWF im Gefäßlumen reduzierte als auch die Metastasenbildung verhinderte, wie Dr. Bauer weiter ausführte. Blut­untersuchungen bei Menschen zeigten zusätzlich, dass bei besonders aggressiven Tumoren, wie Melanom oder Pankreaskarzinom, deutlich mehr vWF im Plasma vorhanden war im Vergleich zu den weniger aggressiven Basalzellkarzinomen. Gleichzeitig waren hohe vWF-Plasmawerte zu Therapiebeginn mit einem schlechteren Gesamt­überleben (OS) assoziiert.

Möglicher neuer Tumormarker

Da der plasmatische vWF bei Tumorpatient:innen erhöht ist und mit dem Gesamtüberleben assoziiert ist, könnte er als Biomarker für Progress und Therapie dienen. Dipl.-Inf. Christian Meß, ebenfalls vom UKE verdeutlichte anhand von Studiendaten von 83 Melanompatient:innen (Stadium IV) unter CPI, dass vWF und D-Dimere deutlich mit dem progressionsfreien Überleben und dem OS korrelieren. Das Therapieansprechen bzw. die Resistenzentwicklung zeigte eine signifikante Assoziation nur mit dem vWF. „Das Koagulationssystem zu messen im Rahmen von einer Checkpoint-Inhibition, ist ein unfassbar wertvoller Parameter“, findet auch Dr. Haist.

Quelle:  Mess C. 33. Deutscher Hautkrebskongress; Vortrag „Prognostische Bedeutung der Von-Willebrand-Faktor-Konzentration bei Patienten mit metastasierendem Melanom unter Immuncheckpoint-Inhibitortherapie“

Wie verhält sich die Checkpoint-Blockade in diesem komplexen Gefüge? Bei Melanompatient:innen unter Checkpoint-Inhibition beträgt die kumulative Inzidenz für VTE nach zwölf Monaten bis zu 16 %, berichtete Dr. ­Maximilian­ Haist­ von der Mainz Research School of Translational Biomedicine, Universitätsmedizin Mainz.3 In einer Studie hat das bei bis zu 40 % der Patient:innen dazu geführt, dass die Therapie verzögert oder abgebrochen werden musste. Risikofaktoren sind eine kombinierte CPI und eine positive TE-Anamnese. 

Der gemeinsame Nenner ist wohl Faktor-X, der über das Koagula­tionssystem und die Makrophagen ausgeschüttet wird. „Dadurch schaukelt sich das ganze System selbst hoch“, erklärte Dr. Haist. Der Faktor-Xa moduliert über Signalwege allerdings auch das Immunsystem, das heißt, „umso mehr Faktor-X im System ist, umso eher ist auch ein immunsuppressives Mikro­milieu beim Melanom vorhanden“. Dadurch erkläre sich eventuell die schlechtere Prognose. Das Wissen um die Vorgänge mache jedoch auch ein Eingreifen möglich, betonte der Experte.

Niedermolekulares Heparin, Rivaroxaban oder Apixaban

Zugelassen für die Antikoagulation bei VTE-Risikopatient:innen mit Krebserkrankung sind niedermolekulares Heparin und die Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban und Apixaban. Unter Chemotherapie ließ sich zeigen, dass eine prophylaktische Antikoagulation die VTE-Rate der Behandelten um 6 % reduziert, ohne dass das Blutungsrisiko deutlich steigt. Prospektive klinische Studien bei Patient:innen unter Checkpoint-Inhibition stehen derzeit noch aus. 

Wie der synergistische Effekt der prophylaktischen Antikoagulation bei den Patient:innen auf die CPI ausfällt, muss ebenfalls noch detailliert untersucht werden. Da eine Therapie mit Faktor-Xa-Hemmern in die Vorgänge in der Tumorumgebung eingreift, könnte es auch die Entwicklung einer Checkpoint-Resistenz hemmen. Bisherige Studien im Mausmodell ergaben zumindest eine Verbesserung der Wirksamkeit der Immuntherapie unter Faktor-X-Blockade. Auch retrospektive Untersuchungen lassen einen positiven Effekt vermuten – natürlich immer unter Abwägung des individuellen Blutungsrisikos (u.a. bei Hirnmetastasen).

Quellen:
1. Renné T. 33. Deutscher Hautkrebskongress; Vortrag „Coagulation and Cancer – eine unheilvolle Allianz“
2. Bauer AT. 33. Deutscher Hautkrebskongress; Vortrag „Von Willebrand Faktor und Tumor-assoziierte Thrombosen als Treiber der Melanomprogression“
3. Haist M. 33. Deutscher Hautkrebskongress; Vortrag „Interventionelle Studienkonzepte für Antikoagulation zur Verbesserung der Immuncheckpoint-Inhibition beim Melanom“