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Sturzrisiko Standardisierte Verfahren wie den Timed-Up-and-Go-Test nutzen

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Die Gefahr zur stürzen, erhöht sich im Alter - besonders für neurogeriatrische Patient:innen steigt das Risiko. Die Gefahr zur stürzen, erhöht sich im Alter - besonders für neurogeriatrische Patient:innen steigt das Risiko. © acle Fotodesign – stock.adobe.com
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Ein gezieltes Screening kann gefährliche Stürze verhindern. Es sollte nicht nur neurologischen Patienten mit Gangstörung angeboten werden. Alle älteren Menschen können davon profitieren. 

Zur Identifikation besonders sturzgefährdeter Personen empfehlen Ken Möhwald und PD Dr. Roman Schniepp von der Neurologischen Klinik der LMU München drei einfache Fragen: 

  • Sucht der Patient die Praxis wegen eines akuten Sturzes auf? 

  • Ist in den vergangenen zwölf Monaten mehr als ein solches Ereignis aufgetreten und 

  • besteht eine (neurologische) Erkrankung mit relevanter Stand- oder Gangstörung? 

Diese Fragen sollten allen Patienten ab 65 Jahren gestellt werden, nicht nur Personen mit eingeschränktem Gehvermögen. Wenn mindestens eine bejaht wird, ist zusätzlich zur Routinediagnostik das Sturzrisiko einzuschätzen. Auch wenn die Fragen verneint werden, kann je nach sonstiger Sturzanamnese, Gangbild und posturaler Stabilität eine genauere Abklärung erfolgen. Andernfalls sind regelmäßige Kontrollen sinnvoll. 

Ab 65 Jahren nimmt das Sturzrisiko stetig zu

Beim gezielten Screening steht die Erhebung der Basisdaten an erster Stelle. Ein wichtiger Einflussfaktor ist das Alter des Patienten, ab 65 Jahren steigt die Sturzinzidenz um 10 % pro Lebensdekade. Einen hohen Stellenwert besitzt die Sturzanamnese. Denn vorherige Ereignisse weisen auf künftig drohende Unfälle hin. Osteoporose und Osteopenie begünstigen Frakturen. Auch die Wohnsituation (Stolperfallen, unzureichende Lichtverhältnisse etc.) hat einen großen Einfluss. Zudem ist die Alltagsaktivität betagter Patienten zu erfragen. Sturzangst verleitet zu einem Vermeidungsverhalten und verschlechtert so Koordination und Muskelkraft. 

Zahlreiche Begleiterkrankungen können je nach Störung und Defizit das Sturzrisiko beträchtlich erhöhen. Gleiches gilt für die vor allem im Alter verbreitete Polypharmazie (≥ vier Medikamente). Besonders relevant ist die Einnahme von Antihypertensiva, Benzodiazepinen und Antidepressiva. Eine orale Antikoagulation (Phenprocoumon, DOAK) führt vermehrt zu traumatisch bedingten intrakraniellen Blutungen. 

Besonders gefährdet sind neurogeriatrische Patienten. Bei zentralen Erkrankungen (Parkinson, Ataxie) kommt es bis zu 16-mal häufiger zu wiederholten Stürzen als bei Gesunden, auch Demenzen prädestinieren für derartige Unfälle. Nach einem Schlaganfall ist das Risiko auch zehn Jahre später noch verdoppelt.

Patienten mit Polyneuropathie oder bilateralen Vestibulopathien fallen zu 40 % mindestens einmal im Jahr, generell ist das Risiko aber geringer als bei ZNS-Krankheiten. Funktionelle Störungen hingegen können zwar massive und teilweise permanente Ängste auslösen, erhöhen aber nicht die Sturzgefahr. 

Sämtliche Patienten mit Grund- und Begleiterkrankungen (neurologisch, muskuloskelettal, kardial etc.) sollten fachspezifisch untersucht und behandelt werden. Dabei sind spezifische Defizite und Risiken (z.B. Hypokinese, Festination und Freezing of Gait bei Parkinson) zu berücksichtigen. Bei anamnestisch bekannten Stürzen im Alter ab 65 Jahren wird eine Osteoporosediagnostik (Densitometrie, Vitamin-D-Spiegel) empfohlen. 

Geschwindigkeit beim Gehen Aufstehen als Parameter

Zur genaueren Beurteilung von posturaler Stabilität, Gangbild und Mobilität eignen sich standardisierte Testverfahren und klinische Scores. Eine Methode ist der sog. Timed-Up-and-Go-Test (TUG). Dabei soll der Patient von einem Stuhl mit Armlehne aufstehen, möglichst zügig drei Meter gehen, sich umdrehen, zurückkehren und sich wieder hinsetzen. Ein erhöhtes Sturzrisiko besteht, wenn er dafür mehr als zwölf Sekunden benötigt. Der Test hat eine hohe Sensitivität und Spezifität und kann in diversen Patientengruppen eingesetzt werden. 

Ein weiteres Verfahren ist die Messung der ebenfalls relevanten Ganggeschwindigkeit. Diese lässt sich auf einer definierten Strecke – meist vier bis acht Meter – mit der Stoppuhr messen. Dabei besteht wahrscheinlich eine U-förmige Beziehung zwischen der Schnelligkeit und dem Risiko: Werte unter 0,6 m pro Sekunde und über 0,13 m pro Sekunde signalisieren eine vermehrte Sturzgefahr. Die langsamen Läufer verunfallen vor allem im Innenraum, die schnellen außerhalb des Hauses. 

Die dritte Methode, der Five-Times-Sit-to-Stand-Test (FTSS) bietet den Vorteil, dass er sich auch mit wenig Platz und geringer technischer Ausrüstung einfach durchführen lässt. Der Patient sitzt auf einem normalen Stuhl und soll mit vor der Brust überkreuzten Armen so schnell wie möglich fünfmal aufstehen und sich wieder hinsetzen. Der Schwellenwert für ein erhöhtes Risiko liegt bei einem Zeitbedarf von mehr als 15 Sekunden. Falls sich der Test nicht durchführen lässt, wird diese Tatsache als Hinweis auf künftige Stürze gewertet. 

Als eine weitere Möglichkeit zur Beurteilung der Gang- und Standsicherheit können Fragebögen wie die ABC-Skala (Activities-specific Balance Confidence Scale) oder FES-I (Falls Efficacy Scale – International) eingesetzt werden. Auch ein Hausbesuch beim Patienten kann im Rahmen der klinischen Diagnostik sinnvoll sein, um etwaige Gefahrenquellen erkennen und beheben zu können. 

Als Zusatzuntersuchung eignen sich apparative Ganganalysen, die in spezialisierten Laboren durchgeführt werden. Mit Hilfe der Posturografie lassen sich Gleichgewichtsregulation und Stabilität in aufrechter Haltung beurteilen. Tragbare Sensoreinheiten (z.B. Akzelerometer) ermöglichen eine Kontrolle der Bewegungsdaten über längere Zeiträume.     

Quelle: Möhwald K, Schniepp R. Fortschr Neurol Psychiatr 2022; 90: 589-599; DOI: 10.1055/a-1801-3310