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Chronische Lebererkrankungen Stark gegen Sarkopenie

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Die Handkraft der Patienten lässt sich mit einem Dynamometer erfassen. Die Handkraft der Patienten lässt sich mit einem Dynamometer erfassen. © Microgen – stock.adobe.com
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Viele Patienten mit chronischer Lebererkrankung leiden zusätzlich an einer Sarkopenie. Diese ist ein unabhängiger Risikofaktor für Komplikationen und eine erhöhte Mortalität. Aber sie lässt sich früh erkennen und wirksam behandeln.

Charakteristisch für die Sarkopenie ist der kombinierte und progrediente Verlust an Muskelmasse und -funktion. Sie ist zu differenzieren von einer Mangel­ernährung, bei der nur das muskuläre Volumen verringert ist, die aber oft in Verbindung mit einer Leberzirrhose auftritt. Verwechslungsgefahr besteht zudem mit der Kachexie, die ebenfalls mit einer Reduktion von Kraft und Muskelausdehnung einhergeht. Allerdings geschieht dies im Rahmen einer schweren Erkrankung mit allgemeiner Gewichtsabnahme. Zusätzlich bestehen weitere Symptome wie Fatigue und Anorexie, schreibt Privatdozentin Dr. ­Monika Rau vom Universitätsklinikum Würzburg.

Die Sarkopenie tritt nicht nur als Folge einer Zirrhose auf. Sie findet sich auch vermehrt bei der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) sowie alkohol- oder virusbedingten hepatischen Störungen und sie nimmt mit deren Progression zu. In Leitlinien wird deshalb empfohlen, bei allen Patienten mit den genannten Diagnosen eine Sarkopenie auszuschließen. Dies gilt auch für die Steatohepatitis ohne Alkoholabusus (NASH).

Heute stuft man die generalisierten Muskelveränderungen als unabhängigen Prognosefaktor für Morbidität und Mortalität bei Leberzirrhose ein. Das Sterberisiko ist etwa zweifach erhöht. Außerdem drohen häufiger Komplikationen wie hepatische Enzephalopathie und Infektionen. Nicht zuletzt sind die Überlebenschancen auf der Warteliste und nach einer Transplantation geringer. Bei der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung gilt die Sarkopenie als eigenständiger Risikoparameter für deren Progredienz bis zur Zirrhose.

Zur Prophylaxe wird eine Spätmahlzeit empfohlen

Die Pathogenese der Sarkopenie beruht bei chronischen Leber­erkrankungen auf einem komplexen Zusammenwirken metabolischer Veränderungen, die das Gleichgewicht zwischen Proteinsynthese und -abbau modulieren. Zu den Einflussfaktoren zählt eine reduzierte orale Kalorienzufuhr – begünstigt beispielsweise durch Aszites oder hepatische Enzephalopathie – bei gleichzeitig verminderter hepatischer Glykogenspeicherung. Dadurch kommt es bereits bei kurzen Nüchternperioden zu einem vermehrten Proteinkatabolismus besonders in der Skelettmuskulatur. Zur Prophylaxe wird eine zusätzliche Spätmahlzeit empfohlen.

Auch ein erhöhter Ammoniakspiegel kann via Muskelschädigung zur Sarkopenie beitragen. Ebenfalls negativ wirken sich hormonelle Veränderungen (Vitamin-D-Mangel, niedrige Testosteronspiegel) aus. Zudem besteht bei der Zirrhose ein chronischer proinflammatorischer Zustand mit vermehrter Zirkulation von Zytokinen, die den Muskelabbau fördern.

Die Diagnosekriterien der EWGSOP2* beinhalten eine Kombination von reduzierter Muskelkraft, -masse und -funktion. An erster Stelle steht ein Sarkoidosescreening, das mit dem auch auf Deutsch erhältlichen SARC-F-Fragebogen durchgeführt werden kann. Bei einem positiven Ergebnis erfasst man als Nächstes die Handkraft mit einem Dynamometer. Berücksichtigt wird der Mittelwert von drei Messungen an der nicht-dominanten Seite. Der Cut-off-Wert liegt bei Männern unter 27 kg und bei Frauen unter 16 kg. Für die untere Extremität eignet sich im Praxisalltag zudem der Chair-Stand-Test, bei dem der Patient fünfmal vom Stuhl aufstehen muss, ohne die Hände zu gebrauchen. Bei einer verminderten Kraft ist eine Sarkopenie wahrscheinlich und eine Intervention angezeigt, so Dr. Rau.

Zur Bestätigung des Verlusts an Muskelmasse und -qualität dienen apparative Verfahren. Bei Patienten mit Leberzirrhose wird dazu überwiegend die abdominelle Schnittbildgebung per CT oder MRT eingesetzt. Ein muskuläres Defizit kann auch bei beleibten Patienten auftreten, man spricht dann von einer sarkopenen Adipositas.

Kombination aus Ernährungs- und Bewegungstherapie

Die körperliche Leistungsfähigkeit lässt sich mit verschiedenen Scores messen. Der SSBP-Test** zum Beispiel erfasst Tandemstand, 4-Meter-Gehtest und Chair-Stand-Prüfung. Bei Einschränkungen liegt bereits eine schwere Sarkopenie vor, die Rückschlüsse auf eine Gebrechlichkeit ermöglicht. Ein weiteres Verfahren ist der Liver Frailty Index* (LFI). Er differenziert zwischen drei Gruppen: rüstig, prefrail und frail.

Die therapeutischen Interventionen zur Verbesserung der Prognose beruhen auf einer Kombination von optimierter Ernährung und Bewegungstherapie. Zuerst sollte auf eine ausreichende Kalorienzufuhr geachtet werden. Empfohlen werden 30–35 kcal/kgKG und Tag. Wichtig ist auch eine genügende Eiweißaufnahme (täglich 1,2–1,5 g/kgKG). Beides wird auf vier bis fünf Mahlzeiten verteilt –  einschließlich des Spätgerichts.

Die Physiotherapie kann bei der kompensierten Zirrhose die Sauerstoffaufnahmekapazität steigern. Auch Muskelmasse, Kraft, Fatigue und Lebensqualität bessern sich deutlich. Vor Beginn der gezielten Aktivität müssen jedoch Risiken wie erhöhte Sturzneigung und große Ösophagusvarizen erfasst und ggf. behandelt werden. Empfohlen wird eine Kombination aus Krafttraining (Treppensteigen an 3–4 Tagen/Woche) und Ausdauerübungen (z.B. 150 min Gehen pro Woche verteilt auf 4–7 Tage).

*    EWGSOP: European Working Group on Sarcopenia in Older People
**    SPPB: Short Physical Performance Battery

Quelle: Rau M. Innere Medizin 2023; 64: 525-531; DOI: 10.1007/s00108-023-01526-w